Samstag, 19. Januar 2013

Umwelt-Al-Quaida aus Germany


Email aus New York, Sommer 2002

Als ich mich letzten Sonnabend so richtig in Rage geschrieben hatte und mich gerade ausschweifend über die Hasenfüßigkeit der Amerikaner nach dem 11. September ausließ, erloschen auf einmal alle Lichter, auf der Straße heulten Feuerwehrsirenen und als ich vorsichtig aus dem Fenster lugte, konnte ich gerade noch drei Militärflugzeuge erspähen, die in Richtung Brooklyn schossen.

Etwas eingeschüchtert dachte ich mir "Hochmut kommt vor dem Fall", und weil ich nicht auf das Internet zugreifen konnte, rief ich vorsichtshalber in Deutschland an, um herausfinden, was in New York gerade vor sich ging. In den Sieben-Uhr-Nachrichten waren indes keine besonderen Vorkommnisse aus der Neuen Welt gemeldet worden, außer der, daß Doris Schröder-Kopf New York City liebt und gerne zu mir stoßen würde. Der Kanzler, so wurde mir berichtet, stritt energisch ab, daß dieser Plan mit seiner Amtsmüdigkeit im Zusammenhang stehen könnte, und ich konnte auch nach langem Überlegen keinen Zusammenhang mit den Feuerwehrsirenen und den Düsenjets herstellen.

Ohne Licht und ohne die Möglichkeit Euch meine Erlebnisberichte zu schicken, irrte ich also hilflos in den Straßen herum, bis es Zeit war Jenny am Bahnhof abzuholen. Wie sich herausstellte war ein Transformator in einem Elektrizitätswerk in Flammen aufgegangen. Jetzt bekomme ich immer Sammelemails vom Präsidenten der NYU-Verwaltung, ich möchte doch immer schön das Licht ausschalten und Strom sparen helfen. Ihr könnt Euch vorstellen, daß ich dies nur als blanken Hohn empfinden kann, denn nichts wäre mir lieber, jemand würden endlich mal die Klimaanlage ausschalten und aufhören, mein Büro in ein Gefrierfach zu verwandeln.

Wieland von der Humboldt-Uni hat ähnliche Empfindungen, zumal seine Mitbewohnerin grundsätzlich alle Lichter anläßt, wenn sie die Wohnung verläßt. Der arme Elektriker, der am Mittwoch in unseren Büros Bewegungsmelder zum Energiesparen anbrachte, die dafür sorgen, daß automatisch das Licht nach DREISSIG Minuten ausgeht, wenn sich niemand mehr im Raum bewegt, sah sich völlig schuldlos bohrenden Fragen und hitzigen Anschuldigungen der gesamten deutschen Gemeinde auf dem achten Stock ausgesetzt. Wir alle meinten, ihm auf das Energischste mitteilen zu müssen, daß man viel effizienter Energie sparen könne, wenn einfach alle selbständig das Licht ausschalten (und die Klimaanlage), wenn sie den Raum verlassen.

Am Wochenende besuchte mich Sabrina mit Schatzi und wir machten uns gemeinsam einen Spaß daraus, beim Betreten von Museen, öffentlichen Gebäuden und U-Bahnen jedesmal umständlich unsere Pullover anzuziehen, uns heftig die Nase zu schneuzen und dann anklagend zu gucken. Gestern Abend stellten wir nach einem langen Marsch durch Brooklyns ethnische Stadtviertel zusammen mit Schatzi mal so richtig New York auf den Kopf, indem wir uns am Küchentisch einen Eßlöffel Hustensaft nach dem andern die Kehle herunter jagten, bevor wir um zehn Uhr ins Bett fielen. Hoffentlich legt sich das wieder.

Neben meinen akademischen Errungenschaften bemühe ich mich intensiv meine Szenescout-Qualitäten fortzuentwickeln und stürme sämtliche Open-Air-Tanzveranstaltungen der Stadt. Eines meiner Highlights ist das PS1, ein Museum für moderne Kunst in Queens, wo sonnabends im Innenhof wechselnde DJs die neuesten Scheiben auflegen. So kann man den Nachmittag damit verbringen, ein bißchen zu tanzen, Bier zu trinken und sich zwischendurch über die letzten Trends sowohl der modernen Kunst als auch der Sonnenbrillenmode zu informieren. New York ist bekanntlich eine kleine Stadt und natürlich liefen mir vor dem PS1 Niamh and Turlock, zwei irische Freunde von Yvette über den Weg. Nach und nach trudelten auch Turlocks Kollegen ein, deren erster ein Inder war, der zweite ein Chinese, der dritte ein Jamaicaner und ein weiterer ein Afro-Amerikaner. Das ist New York!

Etwas anderes als Afro-Amerikaner kann man hier nicht in den Computer tippen. Wenn man die Hautfarbe zur näheren Personenbeschreibung hinzuzieht, erschrillt eine Uni-eigene Alarmglocke, man wird verhaftet und ohne Berücksichtigung der Menschenrechte nach Guantamo Bay gebracht. Helen berichtete mir neulich, daß sie für einen Freund, der ein Drehbuch für den deutschen Markt verfaßt, eine bekannte Süßigkeit, die gerne auf Kindergeburtstagen serviert wird - außen schokoladig und innen weiß - beim deutschen Namen nennen mußte. Um diese email zu schreiben, ist sie extra vom Büro nachhause gefahren, aus Furcht vor den Konsequenzen für ihre Anwältinnen-Karriere.

Wie auch immer, der Afroamerikaner war sehr nett, und berichtete mir von seiner Kindheit in einem Brooklyner Stadteil, wo er aus Furcht um sein Leben seine Wohnung nie verlassen konnte. Inzwischen ist er zurück in Brooklyn, anscheinend jedoch in einer sichereren Gegend. Der Jamaicaner war auch sehr nett und bot mir beim Tanzen sofort Marihuana an. Das wäre gar nicht nötig gewesen, denn obwohl wir im Freien tanzten, konnte man lässig auch vom Mitrauchen high werden. Jeder ,der meine Erfahrungen auf einer inzwischen legendär gewordenen Hasch-Kekse-Party kennt, deren Ausrichter ich hier aus Datenschutzgründen nicht namentlich nennen möchte, wird sich denken können wie meine Antwort lautete. Ich lehnte höflich ab, mit dem Hinweis, daß ich nicht Marihuana rauche. "It's okay", meinte der Jamaicaner gelassen:"everybody has their limitations." Hier in New York ist man eben entspannt und gelassen, und jeder darf so sein, wie er will.

Auf dem Bootsanleger in Chelsea trainiere ich bei "Spice" jetzt jeden Mittwoch Samba und neulich war ich in einem tschechischen Biergarten in Queens tanzen zusammen mit Brian und seinem entzückenden bulgarischen Freund Ruman. Der erfreute mich mit seinen Schwärmereien darüber, daß alle seine Bekannten die nach Deutschland auswanderten ganz verliebt in unser Land sind, weil dort alles so schön grün und sauber ist. Das war Balsam für meine geschundene Seele, denn ansonsten hat man ja als Deutsche im Ausland nichts als Kummer und Sorgen. Der Höhepunkt war Antonio, der mich gestern beim Mittagessen wissen ließ, daß Nordeuropäer sich nicht so gut zu amüsieren verstehen wie Südländer. Dazu muß man wissen daß Antonio zwar ein guter Junge, aber alles andere als eine Stimmungskanone ist. Nun gut ich versuche das sehr philosophisch zu sehen. Vielleicht gewöhne ich mir hier dadurch neben Szenescoutqualitäten noch echte Gelassenheit an und bewege mich bald so elegant wie N.

Am Freitag habe ich es geschafft mir einen italienischen Kommunisten anzulachen, der nicht älter als 32 ist. In seiner Freizeit singt er am liebsten Partisanenlieder und liest Adorno auf Deutsch. Komischerweise versteht er in der gesprochenen Sprache jedoch die einfachsten Sätze nicht. Ich habe ihm mein Beileid ausgedrückt, weil er nicht dreißig Jahre früher geboren wurde. Aber er meint er sehe sich nicht als Überbleibsel einer längst vergangenen Zeit, sondern als Vorbote einer neuen Revolution. Na da bin ich ja mal gespannt!

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