Email aus New York, Sommer 2002
Als ich mich letzten Sonnabend so richtig in Rage
geschrieben hatte und mich gerade ausschweifend über die Hasenfüßigkeit der
Amerikaner nach dem 11. September ausließ, erloschen auf einmal alle Lichter,
auf der Straße heulten Feuerwehrsirenen und als ich vorsichtig aus dem Fenster
lugte, konnte ich gerade noch drei Militärflugzeuge erspähen, die in Richtung
Brooklyn schossen.
Etwas eingeschüchtert dachte ich mir "Hochmut kommt vor
dem Fall", und weil ich nicht auf das Internet zugreifen konnte, rief ich
vorsichtshalber in Deutschland an, um herausfinden, was in New York gerade vor
sich ging. In den Sieben-Uhr-Nachrichten waren indes keine besonderen
Vorkommnisse aus der Neuen Welt gemeldet worden, außer der, daß Doris
Schröder-Kopf New York City liebt und gerne zu mir stoßen würde. Der Kanzler,
so wurde mir berichtet, stritt energisch ab, daß dieser Plan mit seiner
Amtsmüdigkeit im Zusammenhang stehen könnte, und ich konnte auch nach langem
Überlegen keinen Zusammenhang mit den Feuerwehrsirenen und den Düsenjets
herstellen.
Ohne Licht und ohne die Möglichkeit Euch meine
Erlebnisberichte zu schicken, irrte ich also hilflos in den Straßen herum, bis
es Zeit war Jenny am Bahnhof abzuholen. Wie sich herausstellte war ein
Transformator in einem Elektrizitätswerk in Flammen aufgegangen. Jetzt bekomme
ich immer Sammelemails vom Präsidenten der NYU-Verwaltung, ich möchte doch
immer schön das Licht ausschalten und Strom sparen helfen. Ihr könnt Euch
vorstellen, daß ich dies nur als blanken Hohn empfinden kann, denn nichts wäre
mir lieber, jemand würden endlich mal die Klimaanlage ausschalten und aufhören,
mein Büro in ein Gefrierfach zu verwandeln.
Wieland von der Humboldt-Uni hat ähnliche Empfindungen,
zumal seine Mitbewohnerin grundsätzlich alle Lichter anläßt, wenn sie die
Wohnung verläßt. Der arme Elektriker, der am Mittwoch in unseren Büros
Bewegungsmelder zum Energiesparen anbrachte, die dafür sorgen, daß automatisch
das Licht nach DREISSIG Minuten ausgeht, wenn sich niemand mehr im Raum bewegt,
sah sich völlig schuldlos bohrenden Fragen und hitzigen Anschuldigungen der
gesamten deutschen Gemeinde auf dem achten Stock ausgesetzt. Wir alle meinten,
ihm auf das Energischste mitteilen zu müssen, daß man viel effizienter Energie
sparen könne, wenn einfach alle selbständig das Licht ausschalten (und die
Klimaanlage), wenn sie den Raum verlassen.
Am Wochenende besuchte mich Sabrina mit Schatzi und wir
machten uns gemeinsam einen Spaß daraus, beim Betreten von Museen, öffentlichen
Gebäuden und U-Bahnen jedesmal umständlich unsere Pullover anzuziehen, uns
heftig die Nase zu schneuzen und dann anklagend zu gucken. Gestern Abend
stellten wir nach einem langen Marsch durch Brooklyns ethnische Stadtviertel
zusammen mit Schatzi mal so richtig New York auf den Kopf, indem wir uns am
Küchentisch einen Eßlöffel Hustensaft nach dem andern die Kehle herunter jagten,
bevor wir um zehn Uhr ins Bett fielen. Hoffentlich legt sich das wieder.
Neben meinen akademischen Errungenschaften bemühe ich mich
intensiv meine Szenescout-Qualitäten fortzuentwickeln und stürme sämtliche
Open-Air-Tanzveranstaltungen der Stadt. Eines meiner Highlights ist das PS1,
ein Museum für moderne Kunst in Queens, wo sonnabends im Innenhof wechselnde
DJs die neuesten Scheiben auflegen. So kann man den Nachmittag damit verbringen,
ein bißchen zu tanzen, Bier zu trinken und sich zwischendurch über die letzten
Trends sowohl der modernen Kunst als auch der Sonnenbrillenmode zu informieren.
New York ist bekanntlich eine kleine Stadt und natürlich liefen mir vor dem PS1
Niamh and Turlock, zwei irische Freunde von Yvette über den Weg. Nach und nach
trudelten auch Turlocks Kollegen ein, deren erster ein Inder war, der zweite
ein Chinese, der dritte ein Jamaicaner und ein weiterer ein Afro-Amerikaner.
Das ist New York!
Etwas anderes als Afro-Amerikaner kann man hier nicht in den
Computer tippen. Wenn man die Hautfarbe zur näheren Personenbeschreibung
hinzuzieht, erschrillt eine Uni-eigene Alarmglocke, man wird verhaftet und ohne
Berücksichtigung der Menschenrechte nach Guantamo Bay gebracht. Helen
berichtete mir neulich, daß sie für einen Freund, der ein Drehbuch für den
deutschen Markt verfaßt, eine bekannte Süßigkeit, die gerne auf
Kindergeburtstagen serviert wird - außen schokoladig und innen weiß - beim
deutschen Namen nennen mußte. Um diese email zu schreiben, ist sie extra vom
Büro nachhause gefahren, aus Furcht vor den Konsequenzen für ihre
Anwältinnen-Karriere.
Wie auch immer, der Afroamerikaner war sehr nett, und
berichtete mir von seiner Kindheit in einem Brooklyner Stadteil, wo er aus
Furcht um sein Leben seine Wohnung nie verlassen konnte. Inzwischen ist er
zurück in Brooklyn, anscheinend jedoch in einer sichereren Gegend. Der
Jamaicaner war auch sehr nett und bot mir beim Tanzen sofort Marihuana an. Das
wäre gar nicht nötig gewesen, denn obwohl wir im Freien tanzten, konnte man
lässig auch vom Mitrauchen high werden. Jeder ,der meine Erfahrungen auf einer
inzwischen legendär gewordenen Hasch-Kekse-Party kennt, deren Ausrichter ich
hier aus Datenschutzgründen nicht namentlich nennen möchte, wird sich denken
können wie meine Antwort lautete. Ich lehnte höflich ab, mit dem Hinweis, daß
ich nicht Marihuana rauche. "It's
okay", meinte der Jamaicaner gelassen:"everybody has their
limitations." Hier in New York ist man eben entspannt und gelassen,
und jeder darf so sein, wie er will.
Auf dem Bootsanleger in Chelsea trainiere ich bei
"Spice" jetzt jeden Mittwoch Samba und neulich war ich in einem
tschechischen Biergarten in Queens tanzen zusammen mit Brian und seinem
entzückenden bulgarischen Freund Ruman. Der erfreute mich mit seinen
Schwärmereien darüber, daß alle seine Bekannten die nach Deutschland
auswanderten ganz verliebt in unser Land sind, weil dort alles so schön grün
und sauber ist. Das war Balsam für meine geschundene Seele, denn ansonsten hat
man ja als Deutsche im Ausland nichts als Kummer und Sorgen. Der Höhepunkt war
Antonio, der mich gestern beim Mittagessen wissen ließ, daß Nordeuropäer sich
nicht so gut zu amüsieren verstehen wie Südländer. Dazu muß man wissen daß Antonio
zwar ein guter Junge, aber alles andere als eine Stimmungskanone ist. Nun gut
ich versuche das sehr philosophisch zu sehen. Vielleicht gewöhne ich mir hier
dadurch neben Szenescoutqualitäten noch echte Gelassenheit an und bewege mich
bald so elegant wie N.
Am Freitag habe ich es geschafft mir einen italienischen
Kommunisten anzulachen, der nicht älter als 32 ist. In seiner Freizeit singt er
am liebsten Partisanenlieder und liest Adorno auf Deutsch. Komischerweise
versteht er in der gesprochenen Sprache jedoch die einfachsten Sätze nicht. Ich
habe ihm mein Beileid ausgedrückt, weil er nicht dreißig Jahre früher geboren
wurde. Aber er meint er sehe sich nicht als Überbleibsel einer längst
vergangenen Zeit, sondern als Vorbote einer neuen Revolution. Na da bin ich ja
mal gespannt!
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