Montag, 3. September 2007

Meeresfrüchteselbstversuch

Wir haben uns am Nordbahnhof unmöglich gemacht. Für fünf Jahre. Mindestens.

Wir haben Entschuldigungen, jede Menge. Na klar. Aber das gilt bei den Franzosen nicht. Die sind für ihren Humor überall bekannt. Nur wenn's ums Essen geht, da hört der Spaß auf.

Das Wochenende war weitgehend ins Wasser gefallen wegen eines hochkomplizierten Nahverkehrsvertrags und kryptischer Vorarbeit eines angeblich genialen Kollegen. Mit den Details wollen wir niemanden langweilen. Jedenfalls ist uns so viel durch die Lappen gegangen, dass wir in Panik meinten, kurz vor der Abfahrt des Nachtzugs nach Berlin noch einmal voll durchstarten und alles nachholen zu müssen.

Aber ausgerechnet im Terminus du Nord bei Meeresfrüchten mit einem Zeitbudget von 55 Minuten, obwohl ich doch aus Erfahrung weiß, dass selbst versierte Meeresfrüchtesser dort ins Schleudern kommen, wenn sie den ganzen Abend Zeit haben? Ich kann mich noch gut an den hilflosen Blick erinnern, den ich mich dem Franzosen neben mir zuzuwerfen genötigt sah, als ich keine Ahnung hatte, wie ich an das Fleisch der winzig kleinen Schnecken gelangen sollte, die man mir serviert hatte. Er überblickte die Lage sofort, nahm ohne weitere Umschweife wie selbstverständlich eine Schnecke der gleichen Größe von seinem Teller und machte mir mit der dafür vorhergesehenen Nadel vor, die meiner Aufmerksamkeit natürlich ansonsten völlig entgangen wäre, wie ich eine Blamage vermeiden konnte. Das sind eben Profis in diesen vornehmen Meeresfrüchterestaurants. Nicht so wie der Durchschnittsfranzose, der gellende Entsetzensschreie ausstößt, wenn ein Tölpel aus Nordeuropa das Baguette aufschneidet und den Käse hineinschmiert, anstatt ihn locker obenauf zu legen. Oder anstatt ihn in der linken Hand zu halten und das Brot in der rechten, um abwechselnd abzubeißen. Ich habe schon wieder vergessen, wie es richtig war.

Immerhin konnte ich den Liebling noch rechtzeitig vor dem Kardinalfehler warnen, die Austern in das Fingerbad zu tunken. Den hat seinerzeit eine liebe Freundin begangen. Ich mache ihr keine Vorwürfe. Das Fingerbad sieht der Essig-Zwiebel-Soße, die wirklich für die Austern ist, verteufelt ähnlich und wird auch noch in der gleichen Schale serviert. Da kann man schonmal durcheinander kommen.

Aber da helfen numal die besten Vorkenntnisse nichts, wenn man innerhalb einer halben Stunde versucht, die Terminus-du-Nord-Platte zu essen, und man bislang Nußknacker immer nur zum Nüsse knacken benutzt hat. Der Hummer war sehr gut und saftig. Deswegen landete auch die Hälfte des Safts auf Lieblings Hemd. Wie die Remouladensoße dorthin kam? Ich weiß es nicht. Meiner Meinung nach dürfte die mit Meeresfrüchten gar nichts zu tun haben. Von der Tischdecke wollen wir mal gar nicht reden, zumal ich mit dem grätigen Fisch in einer Bouillabaisse Marseillaise zu kämpfen hatte, deren Basis bekanntlich einen starken Rotstich hat.
Natürlich hatten wir es uns nicht nehmen lassen, eine Flasche Wein zu bestellen. Nur konnten wir wegen der knappen Zeit leider nicht darauf warten, daß die Sommelière auf unsere leeren Gläser aufmerksam wurde. Deswegen griffen wir in regelmäßigen Abständen tatkräftig selbst zum Kühlkübel, um uns nachzuschenken. Fleckig waren die Hosen schließlich schon, warum sollten sie nicht auch naß sein? Zwischendurch kam in regelmäßigen Abständen der Kellner vorbei und versuchte Liebling die Hummerbeine zu entreißen, indem er so tat, als würde er sie für Reste halten, mit panischem Blick auf den Amerikaner hinter uns, an dessen Stirn er in seinem geistigen Auge wahrscheinlich schon den Hummerunterschenkel landen sah. Ich kann es ihm nicht verdenken. Ich hatte ähnliche Visionen.

Als wir zehn Minuten vor Abfahrt in der gebotenen Eile die Rechnung beglichen und ich bei einem letzten Blick auf unseren verwüsteten Tisch mit dumpfer Stimme nur noch eine verzweifelte religiöse Formel über die Lippen brachte, zwinkerte mir der Kellner vertraulich zu.

Liebling rief später zerknirscht aus dem Nachtzug an, um mir zu gestehen, dass er lange an sich gehalten hatte, schließlich aber doch zu den sechs Nürnberger Rostbratwürstchen aus der Mikrowelle greifen mußte. Er hatte den ganzen Tag nichts gegessen, und da waren Schalentiere einfach nicht ausreichend, zumal die Mehrzahl der ganz kleinen der Eile halber in der Schale bleiben mußte und ein weiteres Viertel auf dem Hemd.

Hhmm, na ja, das war eben nur mal so, um in Windeseile kurz vor Abreise schnell das verlorene Wochenende herauszuholen. Wir üben das noch einmal ganz gesittet und in aller Ruhe ein zweites Mal. Irgendwo da unten in Montparnasse, wo uns niemand kennt.

1 Kommentar:

madame corbeau hat gesagt…

Allerliebste Nicole,
Dein Blog ist so herrlich! Ich fühle mich direkt verjüngt und denke, es war gestern als wir als "visiteuses du soir" im schönen Paris unterwegs waren.