Sonntag, 19. Mai 2013

Missions impossible - Taschendiebstahl und das schottische Moorhuhn


Den September und Oktober verbrachte ich damit, meine interessanten Ergebnisse zu Firmengründungen in Europa vor Delegierten in allen möglichen Ausschüssen und Arbeitskreisen vorzutragen. Hervorzuheben ist, dass ich in Rom weniger Glück hatte als mein Vater, denn das Portemonnaie, das man mir bei einem kurzen Spaziergang mit einem amerikanischen Statistiker während der Konferenzmittagspause aus der Handtasche zog, ist und bleibt spurlos verschwunden. Darias Oma sagt, das waren „extracommunitari“, also keine Außerirdischen, sondern Römer ohne EU-Pass. Aber das kann sie ihrer Großmutter erzählen.

Auch erwies sich das Schengener Abkommen als wertlos für EU-Bürgerinnen, die in einem EU-Mitgliedsstaat leben, das nicht ihr Heimatland ist, und von einem dritten EU-Land aus mit dem Flugzeug nachhause möchten. Die Air France teilte mir telefonisch mit, dass sie mich - Schengen hin, Schengen her - ohne Personalausweis nicht würde fliegen lassen, und alles, was Herr Herse aus der Deutschen Botschaft mir geben konnte, war ein vorläufiger Ausweis zur Wiedereinreise in die Bundesrepublik. Es bedurfte einiger List und Tücke, um es rechtzeitig zu Dienstbeginn wieder nach La Défense zu schaffen, ohne über Berlin zu fahren.

Mein erster Vortrag fand im September in London bei einer Mikrodatenkonferenz statt. Dort unterzogen mich die Engländer gleich mehreren Feuerproben. Deren erste präsentierte sich in Form einer schnurlosen Maus, die man mir in die Hand drückte, damit ich mich trotz defekter Tastatur des Saalcomputers während meines Vortrags bequem von Folie zu Folie klicken konnte. Niemand hatte dabei jedoch bedacht, dass ich bei Vorträgen vor großer Audienz keinesfalls so ruhig bin, wie ich mich gebe. Es war überhaupt nicht daran zu denken, den Mauszeiger als modernen Zeigestock zu verwenden, um die Aufmerksamkeit des Publikum auf besonders aussagekräftige Zahlen zu lenken. Die erratischen Zickzackbewegungen des Pfeils auf gleich zwei Großbildschirmen im größten Hörsaal der Cass Business School entzogen sich völlig meiner Kontrolle. Leider fehlte mir im Unglück die Geistesgegenwart, die Maus in Klickpausen einfach auf den Tisch zu legen. Während ich verzweifelt versuchte, meinen Arm soweit von mir zu strecken, dass der rasende Pfeil so weit wie möglich am Bildschirmrand verschwand, fasste mich Panik, die Zuhörer könnten meinen Vortrag für eine Foltergymnastikstunde bei Heike halten und versuchen, meine bizarren Übungen nachzuahmen. Als ich mich nach den zwanzig längsten Minuten meines Lebens endlich wieder hinsetzen durfte, hätte ich am liebsten meine Nachbarin um deren Riechfläschchen gebeten.

Wenn ich geglaubt hatte, dass damit das Schlimmste überstanden sei, so hatte ich mich jedoch sehr getäuscht. Am Abend wartete auf uns das Konferenzdinner im National Liberal Club. Eigentlich hatte ich erwartet, dass mir dort ein knorriger englischer Butler mit dem Hinweis „No dogs, no ladies“ die Tür weisen würde. Statt dessen saßen auf dem hochherrschaftlichen Steinbalkon des Clubs Inder mit Turbanen und ihre Frauen im Sari, tranken Portwein und blickten wohlwollend auf die weiten Parkanlagen zu Füßen des historischen Baus. Dieses Bild führte mir plastisch vor Augen, dass die Briten in den vergangenen Jahrhunderten einige Entwicklungen durchgemacht haben und ich mich bei der Formung meines Englandbildes nicht ausschließlich auf Jane Austen verlassen kann.

Vor meiner Abfahrt auf die britischen Inseln hatte ich mir noch dicke Rügen von Katia wegen dummer Witze über die englische Küche eingefangen. Schließlich sei ich es immer, die Zurückhaltung mit stereotypen Vorurteilen über ganze Länder predige. Jedoch übertraf, was mich nach Besichtigung der imposanten Bibliothek und des Rauchzimmers im Bankettsaal erwartete, meine schlimmsten Phantasien. Nach einer Standardvorspeise trugen die vornehmen britischen Kellner jedem von uns einen Vogel auf, dessen Fleisch an Zähigkeit das Carne do Sol um Längen übertraf, das Silke und mich auf der Insel Itaparica damals dazu gezwungen hatte, anschließend vor staunenden Brasilianern Cachaca aus Wassergläsern zu trinken. Jeder, der mutig genug war, das Tier zu verzehren, konnte von roh bis mehr als well-done alle Stufen der Garheit bei einem einzigen Mahl hautnah erfahren. Das Schlimmste jedoch war der Anblick: Jeder Vogel wurde mit intakten Beinen serviert einschließlich der scharfen Krallen und einiger Federn, die augenscheinlich der Verzierung dienen sollten. Meine irische Nachbarin, die in Oxford studiert hat, unterrichtete mich darüber, dass es sich bei dem Federvieh um schottisches Moorhuhn handelte und sich unsere Gastgeber mit dieser Menüwahl darum bemüht hätten, ein umfassendes Zeugnis einer langen und stolzen englischen Jagdtradition abzulegen. Das beeindruckte mich sehr und ich wäre jederzeit bereit gewesen zu glauben, Prinz Charles hätte alle servierten Moorhühner persönlich geschossen. Aber obwohl es für mich nichts Schlimmeres gibt als Deutsche, die auf Mallorca nur Frankfurter Würstchen essen wollen und Italiener, die überall auf der Welt jammern, dass die Barilla-Nudeln nicht so schmecken wie zuhause, neige ich seit dieser Erfahrung doch zu der Auffassung, dass die Offenheit gegenüber fremden Kulturen und deren Küche ihre Grenzen haben darf.

Zum Glück war das Wetter strahlend schön und der Ausflug in Schluckis offenem Auto aufs Land ein großer Spaß. Englische Gartenbaukunst und das Londoner Nachtleben taten ihr Übriges, um mich mit dem Inselvolk und seinen Gepflogenheiten wieder zu versöhnen, und das obwohl ich diesmal im 333 in punkto Heiratsanträge enttäuschend leer ausging. Dafür erwies sich Elisas Verlobter, Stefano, als sehr nett und vielseitig einsetzbar. Jetzt freue ich mich auf die Hochzeit im nächsten Jahr in Venedig. Ich frage mich nur, was wir zum Hupen verwenden können, wenn wir hinter dem Brautpaar in der Gondel herrudern.