Samstag, 12. Januar 2008

Dating is difficult

Email aus New York, Dezember 2000

Amerika zählt wieder Stimmen, aber wir wollen uns heute mit der bemerkenswerten amerikanischen Sitte des Dating befassen. Ich habe mir lange überlegt, ob ich bei diesem etwas pikanten Thema meine Eltern und meine Tante ausnahmsweise vom Verteiler nehmen soll. Aber meine Eltern wissen genau, daß ich mich in allen Gebieten des Lebens intensiv fortbilde, wenn ich zur Verfeinerung meiner persönlichen und beruflichen Entwicklung im Ausland weile. Und wenn die heutige Ausgabe meines Bulletins im fernen Österreich ein wenig frivol erscheinen sollte, dann darf sie eben ausnahmsweise nicht als hardcopy zum Nachbarn getragen werden. Der Verteiler bleibt wie er ist!

Wenn meine Kollegen zu Hause in Hamburg jemals darüber nachdächten, was es bedeutet, wenn ich mit ihnen ein Bier trinken möchte (ich bezweifele, daß sie das tun - normalerweise fahren sie ohne sichtlichen Widerstand den Computer herunter und kommen mit), dann würden sie wohl allenfalls den Schluß ziehen, daß ich durstig bin. Hier in Amerika ist das alles nicht so einfach. Seit ein paar Wochen hat Nd ein neuen Sekretär. Ich hatte schon vermutet ,daß Ayda tatsächlich bei einer ihrer zahlreichen Demonstrationen verhaftet worden sei, und wollte mich gerade bereit machen, sie im Sing-Sing zu besuchen. Anscheinend verhält es sich aber einfach so, daß die NYU nervös geworden ist, seit die Assistenten sich mit ihrer Forderung nach einer Gewerkschaft durchgesetzt haben. Jetzt dürfen Studenten wie Ayda nur noch einen Job an der Uni haben. Da sie bereits unterrichtet, haben wir keine armenische Türkin mehr als Sekretärin. Statt dessen haben wir Brian, der auch keineswegs übel ist. Er ist gerade von seiner Peacecorps-Mission aus Bulgarien zurückgekommen und liest am liebsten historische Romane. Mich hat er neulich erfreut, indem er mir ein German Phrase Book mitgebracht hat, daß der Pentagon im Zweiten Weltkrieg verteilt hat. Interessanterweise enthielt das Buch nicht nur Sätze wie "Wir müssen die Toten und Verwundeten retten", "Helfen Sie mir, ich bin verletzt" oder "Was ist Ihr Marschbefehl?", sondern auch "Kommen Sie mit mir" und "Ihnen wird gar nichts passieren". Offenbar verstanden sich die GIs schon damals aufs Daten, womit wir auch schon wieder beim Thema wären.

Also dieser Brian ist ein netter Kerl, und ich hätte nicht übel Lust, mal einen Kaffe mit ihm trinken zu gehen, damit wir uns ein bißchen anfreunden und über Bulgarien plaudern können. Irgendwie habe ich mich aber dann doch an verschiedene Komplikationen erinnert, die bei solchen Gelegenheiten damals in Michigan aufgetreten waren. Da keiner so gut gelernt hat wie ich, daß man Kollegen besser Kollegen sein läßt, habe ich mich sicherheitshalber noch einmal bei Dan , Jeanette Rademachers amerikanischem Freund, erkundigt. Entsetzter Aufschrei: Um Gottes Willen, er wird sofort denken, daß Du ihn "daten" möchtest". Jenny war auch dieser Ansicht, meinte aber ich solle mich nicht so anstellen. Wieso kompliziert? Das kommt immer auf die Umstände an, ob man mit einem Kollegen auch mal einen Kaffee trinken gehen kann. Und unter welchen Umständen man denn dann einen Kaffee trinken gehen könnte, wollte ich wissen. Na wenn man sich gut kennt. Und jetzt kommt Ihr: Wie bitte schön soll man seine neuen Kollegen kennenlernen, wenn man noch nicht einmal gefahrlos zusammen Kaffee trinken darf?

Amerikaner machen nie irgendetwas ohne Ziel. Wenn man in eine Bar geht, dann bestimmt nicht, um sich langsam durch den Abend zu trinken. Man möchte möglichst interessante und vor allem ertragreiche Bekanntschaften machen. So habe ich bei meinen Gute-Nacht-Bieren, die ich mir gelegentlich in Hell's Kitchen gönne, und bei meinen Streifzügen mit Freundinnen schon allerhand interessante Abenteuer erlebt. Ein Klassiker war der schon leicht ergraute Enddreißiger, der sich trotz zahlreicher Damen, die er bereits im Schlepptau hatte, neben mich setzte und folgende - ich möchte fast sagen - prototypische Konversation begann:
1. Frage
-"What's your name?"
-"N"
-"Beautiful name" (sehr beliebte Reaktion- ich glaube, das würden sie sogar ohne rot zu werden bei "Waldtraut" sagen)
2. Frage
-"How old are you?"
Die Gegenfrage hat ihn sichtlich irritiert.
3. Frage
-"Are you married?"
Alarmglocken melden sich leise, antworte aber wahrheitsgemäß.
4. Frage (man weiß ja nie)
-"Are you single?"
Amerikaner verlieren nun mal nicht gerne Zeit. Das ist übrigens immer der Punkt, an dem ich - seit neuestem geistesgegenwärtig in diesen Dingen - einen jungen Anwalt erfinde, der in Hamburg sehnsüchtig auf meine Heimkehr wartet. Jeder, der mich nur ein bißchen kennt, weiß genau, daß ich viel lieber einen IT-Mann haben möchte, der überall spielend Job findet, und deswegen mit mir einige Jahre in Paris, Rom und Lissabon ein wildes Leben führen kann, bevor wir zusammen zurück nach Berlin gehen. Dort steigt er ein wenig auf Telearbeit um, damit wir unsere Kinder ordnungsgemäß betreuen können, obwohl ich einen anspruchsvollen Beruf im Finanzministerium ausübe. Aber in dieser Schrecksekunde direkt nach der Frage nach dem Boyfriend fällt mir immer nur dieser elende Anwalt ein (ich vergaß zu erwähnen, daß sie immer nach seinem Beruf fragen und ob er auch zu Besuch kommt - wahrscheinlich um herauszufinden, ob sie ihn notfalls ausstechen können). Kindheitserfahrungen sitzen eben tief...

Der Boyfriend zu Hause hilft aber nicht immer. Einmal lernte ich einen kennen, den ich ganz nett fand. Ich lud ihn deswegen ein, mich und ein paar Freunde in der Tenth Avenue Lounge zu treffen. Leider hat er statt dessen in der Tenth Street Lounge auf uns gewartet, und es gab einen ziemlichen Skandal. Um das ganze wieder geradezubiegen, wollte er mich zum Essen einladen, aber ich - Holzauge sei wachsam - habe das ganze in eine lockeres Feierabendbierchen umgewidmet. Hilft in Amerika nichts. Das Bier ist hier genauso erotisch wie der Kaffee. Als schließlich die obligatorische Frage in Form von "Any boy-friends left in Germany?" kam, habe ich mich so geärgert, daß ich mich für besonders schlau hielt, mit einem frechen Filmzitat von Christiane Paul zu antworten: "Na klar, drei!" "Wieso drei?" "Na einen für die Karriere, einen fürs Bett und einen für den Rest." Dabei wagte ich einen erfolgheischenden Blick aus den Augenwinkeln zu den Barnachbarn. Ich war naiv genug zu glauben, daß ich ihn zum Lachen bringen und ihn gleichzeitig auf die Absurdität seiner Frage aufmerksam machen würde. Plan B war, ihn in seiner amerikanischen Prüderie so zu schocken, daß er sprachlos würde. Statt dessen erkundigte er sich angelegentlich, ob diese Positionen auch in Amerika zu besetzen seien. Er würde sich besonders für die mittlere interessieren. Wer jetzt argumentiert, daß ich mir das selbst eingebrockt habe, hat sicherlich recht. Aber ihr könnt mir erzählen, was ihr wollt, bei so viel Direktheit komme ich persönlich nicht in die Gänge.

Neben all diese interessanten zwischenmenschlichen Erfahrungen, widme ich mich intensiv der Vorweihnachtszeit. Zeremonienmeisterin Jeanette hat uns alle in den Nußknacker gescheucht und dafür gesorgt, daß wir mit einer zehnköpfigen Mannschaft Weihnachtskekse gebacken haben. Die bot ich mit großem Erfolg trotz aller Bedenken nicht nur den koreanischen und italienischen Kollegen an, sondern auch Brian. Sogar der Italiener, der mich immer so angeguckt hat, als wolle er mich lieber töten, anstatt mich zurückzugrüßen (anscheinend ist er gerade von seiner Freundin verlassen worden, aber das akzeptiere ich nur bedingt als Entschuldigung), ist nach zwei Weihnachtskeksen weich geworden. Jetzt grüßt er, wenn auch mit sichtlich mit Widerwillen.

I say, people just don't realize what a powerful icebreaker a German christmas cookie can be!

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