Samstag, 13. Dezember 2008

Der Pfandflaschenprofi vom Prenzlauer Berg

Ich laufe seit einer dreiviertel Stunde durch den Kiez von einem Tante-Emma-Laden zum nächsten, um endlich die Pfandflaschen loszuwerden, die die Maschine beim Flirt-Kaisers nicht annehmen will. Ein zäher Prozess. Der vietnamesische Kramladen nebenan gibt sofort zu, dass ich die Bionade-Flaschen bei ihm gekauft habe, bestreitet aber rundheraus jegliche Urheberschaft für das Flens. Genau genommen verhandele ich mit der Tochter des Hauses. Sie ist 14 und sehr bestimmt. Ich ärgere mich. Nach langem hin und her gelingt es mir, ihr noch zwei Hefeweizenflaschen aufzuschwatzen. Als ich ihr die Bio-Apfelsaftflasche unter die Nase halte, lacht sie trocken, ein bißchen verächtlich, wie mir scheint. Bei ihren Eltern gibt es Tütensuppen und Bier, keinen Bio-Apfelsaft.

Der Vietnamese an der Prenzlauer Allee nimmt anstandslos die Flens-Flaschen, eine andere Biersorte lehnt er jedoch ab. Ich habe aber noch eine und weiss der Teufel, wo der Schatz das gekauft hat. Oder irgendein Gast hat es zur Party mitgebracht. Jedenfalls laufe ich jetzt damit rum und werde es nicht los. Ich kaufe Rosinen und Mandeln für den orientalischen Karpfen. Der vietnamesiche Ladenbesitzer fragt mich enttäuscht, ob ich kein neues Bier brauche. Das fehlte noch! Sehe ich aus wie Sysiphos, oder was? Am Ende kaufe ich aus Mitleid einen billigen Rotwein zum Kochen. Erst als ich schon beim nächsten Tante-Emma-Laden angekommen bin, fällt mir ein, dass das Karpfen-in-Weinsauce Rezept das war, wogegen ich mich zugunsten der orientalischen Variante entschieden hatte.

Ich sage dem Schatz immerzu, er soll seine Pfandflascheneinkäufe nicht über den ganzen Berg verteilen, sondern wenigstens auf einen Laden konzentrieren. Glaubt der vielleicht, es macht mir Spaß, stundenlang mit klappernden Taschen durch das Viertel zu ziehen und in jedem Kramladen lange Verhandlungen zu führen? Mir reicht's! Der Schatz verbietet mir zwar strengstens, Pfandflaschen einfach in den Container zu schmeissen, aber bei meinen Stundenlohn lohnt es sich einfach nicht, länger als eine halbe Stunde hinter 30 Cents herzulaufen. Opportunitätskosten und so weiter. Das habe ich damals an der Uni gelernt. Und ja, das gilt auch, wenn ich den Umweltsau-Faktor mit einrechne. Ich habe schließlich am Sonnabend auch mal mein Recht darauf, mich zu amüsieren.

Ich schleiche mich vorsichtig an die Flaschencontainer vorm Flirt-Kaisers und blicke mich diskret nach allen Seiten um, ob auch keiner von den aufrechten Öko-Nachbarn guckt. Es guckt aber einer und zwar sehr penetrant. Allerdings sieht er nicht wie ein Nachbar aus mit seinem verschlissenen Anorak und dem wilden Vollbart. Er schleicht unruhig um die Container herum, fast so als seien sie seine Kinder und er müsse sie bewachen, aber ich bin jetzt so entnervt, dass ich mich entschließe, es notfalls auf eine offene Konfrontation ankommen zu lassen.

Ich ziehe selbstbewußt die Bio-Apfelsaftflasche aus meinem Jutebeutel und setze schwungvoll zum Wurf an. Leider ist die Flasche weiß und ich stehe vor dem grünen Container. Schon steht der Mann mit dem wilden Vollbart neben mir. Es hat nur noch gefehlt, dass er mir in den Arm fällt und laut nach der Polizei ruft.

"Die ist vom Bio-Laden da unten", klärt er mich auf, und weist mit der Hand straßabwärts. Er ist durchaus kooperativ, jedenfalls nicht feindselig.

"Aber das ist doch keine Pfandflasche, steht nirgendwo", wende ich müde zu meiner Verteidigung ein. Auf dem selbstgemalten Etikett steht tatsächlich nichts und einen Moment lang schöpfe ich Hoffnung. Aber der Mann kennt sich aus, im Unterschied zu mir. Im Kiez und mit Pfandflaschen sowieso. Er macht das offensichtlich hauptberuflich. Er fährt mit seinen schwarzen, schwieligen Händen über die Schrift, die aus der Flasche heraustritt dort, wo sie sich verjüngt. Irgendetwas mit "Mehrweg" steht da. Ich fühle mich geschlagen, überführt und schuldig.

"Wollen Sie die Flasche zurückbringen?" biete ich ihm an. Vielleicht kann man aus der peinlichen Situation noch ein Geschäft machen. Er nimmt mir die Flasche ab und betrachtet die nächste, die ich gerade aus dem Beutel gezogen habe.

"Die is von Stücker da oben", sagt er und nickt kundig. Als ich ihm die Flasche hinhalte, winkt er ab. "Dit is mir zu weit, da jeh ich heute nich' mehr hin!"

Er guckt interessiert in den Beutel, in dem sich noch die Kochweinflasche befindet, die ich überflüssigerweise gekauft habe. "Und die ist von...", setzt er an. Er scheint Gefallen daran zu finden, mir seine Fachkunde vorzuführen. Und ich finde allmählich Gefallen an dem Mann.

"Die ist voll", muss ich ihm dann aber doch sagen. "Die brauche ich noch."

"Ach", sagt er, blickt von der Flasche zu mir und strahlt mich mit seinen vergilbten Zähnen an. "Zum Trinken, wa?"

Wir verabschieden uns herzlich und ich ziehe meiner Wege. Ich frage mich, wo er den Charme hernimmt und den Stolz eines echten Fachmanns - bei dem Beruf. Der kann es sich nicht leisten, meine verquasten Opportunitätskostenrechnungen aufzustellen oder Rotwein nur zum Kochen zu kaufen, weil er seine Karpfenrezepte durcheinander gebracht hat. Ich ärgere mich, dass ich ihm nicht die Rotweinflasche gegeben habe, er hätte sie bestimmt gerne getrunken. Oder wenigstens ein bisschen Wegegeld dafür, dass er für mich zum Bio-Laden schnürt und damit meine Beziehung über ein weiteres Wochenende rettet.

Ich beschließe zufriedener zu sein. Mit meinem Stundenlohn, mit klappernden Einkaufstaschen am Sonnabendnachmittag und überhaupt...

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