Samstag, 6. Oktober 2007

Indien und Spiritualität

Der See in Pushkar - so will es die Legende - ist entstanden, als Brahma eine Lotusblume fallen ließ. Brahma ist der Chef des Hindu-Olymps. Vielleicht ist er sogar der einzige Hindu-Gott und alle weiteren Götter, die uns hier verwirren, sind lediglich andere Erscheinungsformen von ihm. Ich muss noch ein bisschen studieren, bis mir das ganz klar wird. In jedem Fall ist Pushkar wegen der Lotusblüte und des Sees ein heiliger Ort. In dem See können Hindus heilige Bäder nehmen und ausnahmsweise verbieten sie uns Touristen dort das Fotografieren.

Der Heiligkeit von Pushkar ist es geschuldet, dass es hier weder Fleisch noch Alkohol gibt. Es könnte sein, dass M. und ich es hier nicht allzu lange aushalten, obwohl es ausnahmsweise in den Straßen des Basars weder Autos noch Rikshas gibt und uns lediglich Motorräder und Kühe nach dem Leben trachten.

Von himmlischer Ruhe kann trotzdem nicht die Rede sein. Aus den Tempeln
rund um den See von Pushkar dröhnen Hare-Krishna-Gesänge im Multistereosound und mit ihren grell-bunt blinkenden Lichtern erinnern sie mich ein wenig an die Diskos, die ich in den achtziger Jahren regelmäßig besuchte.

Mehr noch als die gläubigen Hindus zieht die Spiritualität von Pushkar alle möglichen Weißen an, die mit langen Bärten undwallenden bunten Röcken auf der Suche nach Seelenheil und Drogen sind.Es mag zwar hier kein Bier geben, dafür schenken die Wirte in den verfallenen Baracken des Basars Bhang Lassi aus, ein indisches Joghurtgetränk, das jedem Berliner geläufig ist. Nur wird hier noch ein wenig Marihuana beigemischt wird. Auch an Yoga-Kursen, Ayurveda-Massagen, Reiki und Shiatsu fehlt es hier nicht.

In Pushkar habe ich manchmal das Gefühl, dass wir uns dem Greisenalter nähern. Wir erinnern mich erschreckend an meine Oma und ihre Putzfrau, Frau Tessma, die auf ihre alten Tage in identischen Kitteln mindestens drei Mal die Woche mit unbeschreiblichem Eifer, ja ich möchte fast sagen mit einem gewissen Fanatismus ein enwandfrei sauberes und nur von einer einzigen Person bewohntes Haus steril reinigten. Meiner Oma war es sehr wichtig, sich dafür rühmen zu können, dass man bei ihr ohne Bedenken vom Fußboden essen konnte. Leider sind die Leute im Calenberger Land in der Regel steif und interessieren sich nicht für ein Abendbot im Schneidersitz. Ich könnte heulen, wenn ich daran denke, was für eine tolle Inderin an meiner Oma verloren gegangen ist.

Um also auf die Paralellen zwischen Oma und Frau Tessma einerseits und M. und mir andererseits zurückzukommen: Während die Zwanzigjährigen Israelis hier unbekümmert in jede Basar-Baracke einkehren und sich an Bhang-Lassis und anderen lokalen Köstlichkeiten laben, betrachten wir mit Argusaugen und kaum verhohlenem Ekel die heilige Kuh, die über die Zutaten sabbert oder den Kellner, der in unseren von Raju - wie das Eingangsschild verheißt - mit Liebe zubereiteten Daal hustet. Dabei denken wir insgeheim mit Abscheu darüber nach, wie verfallen und heruntergekommen die Baracken aussehen, in denen die wahren Indienreisenden meditieren und konsumieren. Dann führen wir längere Diskussionen über Magenleiden, Typhus, Hepatitis A und Meningokokken-Meningitis. Demnächst fange wir an, uns gegenseitig aufzuzählen, wer von unseren Freunden noch alles am Leben ist.

Aber wir machen auch Fortschritte: Inzwischen springen wir schon ganz unbekümmert und behende über Kuhfladen- das ist schließlich auch nichts anderes als der Hundedreck in Paris. Man muss lediglich wegen der Größe zu einem noch etwas beherzteren Sprung ansetzen. Die Hamburger Kreischziegen werden sich noch mehr dafür interessieren, dass ich inzwischen auch an den heiligen Kühen nahezu unerschrocken vorbeiflaniere, die mangels Gras auf den Basaren gerne im Plastikabfall grasen. Diesen Mut kann nur würdigen, wer weiß, mit welcher Panik ich mich früher über saftig Wiesen mit friedlich grasenden Schweizer oder Schwarzwaldkühen gestürzt habe und welchen Schrecken mir die Enten an der Alster einjagten, wenn sie mit weit aufgerissenem Schnabel, wild zischend auf mich zustürmten.

Mal sehen, ob Yoga mir heute die Erfrischung schenkt, die die Nachtruhe mir nicht geben konnte. Schlafen kann bei diesen dröhnenden Hare-Krishna-Gesängen wohl nur, wer im Hinduismus sein Seelenheil gefunden hat. Zum Glück hat mir der Schatz versprochen, dass er mich mit geeigneten Gegendrogen aus Pushkar herausholt, sollte ich in drei Wochen hier immer noch im Lotussitz sitzen und nur aufstehen, um in den Basarbaracken Bhang-Lassi zu trinken.

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