Mittwoch, 29. September 2010

Deutschland am Mittelmeer

Unser kleiner Badeort am Mittelmeer ist ganz entzückend. Eine Templerburg ziert den Hafen. Das Städtchen ist umsäumt von den Hängen der Pyrenäen, an denen seit Jahrtausenden der Weinbau blüht. Kunstdrucke von Matisse, die die Stadtverwaltung überall in den verwinkelten Sträßchen aufgestellt hat, sollen daran erinnern, dass dieser Ort einst die Fauvisten inspirierte. Heute verwirklichen sich hier talentlose Gattinnen von Industriemagnaten gemeinsam und andere Abenteurern. Sie stellen mit ihren Galerien sicher, dass das Städtchen in Prospekten und Reiseführern als Künstlerort auftreten kann.

An unserem Badestrand in windstiller, von milder Septembersonne angenehm erwärmter Bucht herrscht himmlische Ruhe. Zwei, drei Liebespärchen und ein paar Senioren liegen regungslos auf ihrem Handtuch. Wenn jemand die Energie aufbringt, im Wasser ein wenig zu plätschern, verfolgen die am Strand Zurückgebliebenen gebannt jede Bewegung. Neue Wendungen des Bades kommentieren sie verstohlen für den Partner. Selbst die Kinder scheinen lautlos zu spielen.

Und dann kommt sie: Eine deutsche Großfamilie. Großvater, Großmutter, Vater, Mutter, Tochter und Sohn. Und als wenn das nach vierzig Jahren demographischen Niedergangs nicht schon Sensation genug wäre, haben es sich die sechs offenbar zur Aufgabe gemacht, sich das Territorium zu eigen zu machen und am Mittelmeer öffentlich zu demonstrieren, was Deutschland groß, stark und zuweilen gefährlich gemacht hat: Präzision, Organisationstalent und perfekte Vorbereitung.

Die Truppe trägt Gepäck in einem Volumen mit sich, als wollte sie den Dachgepäckträger für einen mehrwöchigen Besuch bei der Familie in Südostanatolien beladen. Als erstes benutzt sie einen Teil des mitgebrachten Materials, um am ein Mehrgenerationenhaus aufzubauen. Auf dem Kopf eine Schirmmütze mit Nackenschutz, die auch für Wüstenexpeditionen geeignet wäre, schlägt der Vater assistiert von Großvater und dem adoleszenten Sohn ein Zelt auf, das jedem Sandsturm standhalten könnte. Die Feinjustierung erfolgt auf Basis heftig umstrittener Vorhersagen des weiteren Sonnenverlaufs. Am Ende wirft die Familienmutter ihrem Mann mit weinerlicher Stimme Ungerechtigkeit vor. Er hat ihrem Bedürfnis, wenigstens aus dem Augenwinkel einen Blick auf das Meer zu erhaschen, bei dem Bau in keiner Weise berücksichtigt. Vor den staunenden Augen der umliegenden Badegäste gibt die Familie eine Zugabe und fängt von Neuem an.

Als das Zelt endlich steht, beginnt das Umkleiden nach deutschen Zeremoniell: Man schlingt ein Badehandtuch um die Hüften, lässt die Unterhose diskret in den Sand gleiten und steigt dann in die Badehose, möglichst ohne dabei das Handtuch zu sehr zu lüften. Trotz größter Sorgfalt bei diesem letzten Schritt stand mein Kollege Christian Schreiber nach dieser Prozedur an einem amerikanischem Badestrand einmal kurz vor der Verhaftung. Aber erstens sind wir hier nicht in Amerika und zweitens haben unsere Helden die Methode längst perfektioniert. Das vermeintliche Badehandtuch ist tatsächlich wie ein Rock geschnitten und mit Gummizug ausgestattet. Kein mühevolles Knüpfen von Knoten über der Hüfte, die sich am Ende doch wieder nur lösen und schwierige Balanceakte erfordern, um die umliegenden Badegäste vor dem ungebetenen Anblick männlicher Blöße zu bewahren. Kein Hochangeln der Badehose mit einer Hand, während die andere verzweifelt die Enden des Badehandtuchs zusammenhält. Statt dessen zieht unser Familienvater seine Umkleidekabine einfach über den Kopf auf die Hüfte, wo sie jetzt sicher sitzt, bis er seine Badehose trägt.

Opa arbeitet beim Umziehen etwas weniger erfinderisch, aber ähnlich effektiv mit einem längeren T-Shirt. Als er endlich in seiner Boxershort-Badehose mit dunkel rot-grünem Karomuster da steht, setzt er sich wie zum Triumph eine breitkrempige Räuber-Hotzenplotz-Mütze auf. Die Einladung zum Bade lehnt er vorerst ab. Erst muss er sich noch einschmieren, belehrt er dröhnend den Badestrand. Danach macht er sich gut gelaunt mit Lichtschutzfaktor 45 an die Arbeit.

Die Frauen legen sich maulend in ihr Zelt. Vater macht sich mit seinem Sohn auf den Weg. In Badeschuhen versteht sich, denn der Strand ist aus Kies und wer wollte freiwillig diese Schmerzen ertragen. Sie gehen surfen, vermutet der Schatz. Ich tippe eher auf zünftigen Sardellenfang.

Nachdem die Männer abmarschiert sind, legt sich der Tumult, und die umliegenden Badegäste lassen ihre Köpfe erschöpft zurück auf das Badehandtuch fallen.

Für den Schatz und mich wird es Zeit, weiter zu ziehen und nach neuen Abenteuern zu suchen. Ein solches Schauspiel bekommen wir hier nicht wieder geboten.

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