Montag, 22. Oktober 2007

Die Ökospießer vom Kollwitzplatz

Es ist ein herrlich sonniger Oktobernachmittag am Kollwitzplatz. Unter den herbstlich verfärbten Bäumen bieten Gemüse-, Fisch und Fleischhändler schweigend ihre Waren an. Weil man damit allein hier niemanden mehr dazu bringen kann, den eifersüchtig gehüteten Sparstrumpf anzutasten, verkaufen außerdem Buchbinder ihre handgefertigte Ware zu Schleuderpreisen, Esoteriker bieten Drähte an, mit denen man sich selbst den Kopf kraulen kann, und der Falafelverkäufer macht sogar ein bißchen Stimmung auf arabische Art. Ein ganz besonders großer Witzbold versucht, sich von dem sinnenfeindlichen Zeitgeist loszusagen und gleichzeitig eine Tugend daraus zu machen, indem er voll feiner Ironie zu Currywurst Champagner anbietet.

Vor mir am Gemüsestand steht eine Frau, die danach aussieht, als hätte sie noch nie in ihrem Leben einen Lippenstift in die Hand genommen.

"Bela, haben wir noch Karotten?", ruft sie einem Mann mit Kinderwagen zu. Ich suche nach einem unterwürfigen Unterton, der meiner Meinung nach zu der schmucklosen Frau und ihrem streng dreinblickenden Mann passen würde. Aber wenn ich ehrlich bin, kann ich ihn nicht entdecken.

Bela ist groß, trägt weite, labbrige Leinenhosen und eine Frisur, die man in den achtziger Jahren als Pottschnitt bezeichnet hat.

"Ich will nicht, daß wir wieder den gleichen Fehler wie jedesmal machen und lauter Sachen einkaufen, die wir dann nicht kochen," antwortet er spitz. "Ich will erstmal zuhause in den Kühlschrank sehen.

Ich frage mich, warum er das nicht längst getan hat.

Die gleiche Konversation wiederholt sich in kaum abgewandelter Form für Äpfel, Zwiebel, Eier und Petersilie. Am Ende hat Belas Frau nichts gekauft und wir beschließen, daß dieser Ort eigentlich völlig tabu sein müßte, wenn es nicht überall sonst in Berlin noch viel schwieriger wäre, Nahrungsmittel von annehmbarer Qualität zu finden.

Wir kaufen Lammkeule mit ganz viel Gemüse für den Schmortopf, Bohnen, Pfifferlinge und Unmengen Käse. Wir müssen schließlich das Leben genießen, bis die Chinesen auch uns eingeholt haben und es endgültig vorbei ist mit dem Wohlstand. Dann ruft Heike an und schlägt uns vor, abends in die Oper zu gehen. Macht gar nichts, beschließen wir. Wir essen die Keule einfach morgen Abend um sechs nach einem verkürzten Arbeitstag kurz bevor ich abreise.

Die Lammkeule ißt der Schatz allein, oder das, was er schafft. Von den Bohnen bleibt fast nichts übrig, aber die Pfifferlinge muß er ungewaschen bei den Nachbarn abliefern, zusammen mit dem Käse.

Es wäre wahrscheinlich besser, wenn einer von uns mit Bela zusammenlebte.

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Ach, geht ja, mit dem Kommentieren! Die "Neu-Potsdamer", wie mein Schatz sie immer nennt, meinten nämlich, das ginge nicht.
Ich find ihn sehr gut (also nicht nur meinen Schatz, sondern hier jetzt den Blog ;-) - hat mich grad mal wieder vom Arbeiten abgehalten. Aber jetzt Schluss hier und zurück an den Artikel...
Ach, so, Du hättest ws. auch meinen Namen nennen können, oder?
VlG E