Samstag, 3. November 2007

Alles über Baseball

Email vom 18. Oktober 2000:

Vergeßt die Presidential Debate (wie war's?) - hier in New York haben wir uns gestern nur für die Yankees interessiert.

Dem Bummel durch unsere Puschenkneipen haben Curzio und ich es zu verdanken, daß wir jetzt große Baseballexperten sind. Woody Allen hat uns die Regeln erklärt. Woody Allen heißt eigentlich John und wohnt in Brooklyn. Er begleitet seine Mitbewohnerin Susan ab und zu in unser Viertel - sie hat früher mit ihrem Mann in unserer Straße gewohnt.

Eigentlich wollte Susan mir Baseball erklären . Wie es sich mit den Mets und den Yankees verhält, habe ich auch sofort verstanden. Die Yankees sind erfolgreicher, aber die Mets sind das Working Class Team und jeder ECHTE New Yorker ist Mets Fan. Das ist einfach, wie beim HSV und St. Pauli eben...Danach war Susan jedoch zu sehr damit beschäftigt, Witze mit sexueller Konnotation in Überzimmerlautstärke zu erzählen und dabei ihren Rock hochzureißen, um dem Barkeeper ihre halterlosen Strümpfe zu zeigen. Woody Allen, alias John, vornehm und ein wenig verklemmt, wie er nun einmal ist, war das alles sichtlich peinlich, besonders als sie mit schriller Stimme die übrigen Gäste wissen ließ, daß sie ihre Sexualpartner nicht mit nach Hause bringen dürfe. "Please don't talk for me...", bat er sie gequält.

Ergebnis der ganzen Affäre war, daß ich bis zu diesem Punkt noch nicht mehr über Baseball wußte, als was es bedeutet, wenn ein Mann bei einer Frau "first base toucht" (er darf ihre Brust berühren). Second base - unbestimmte Handbewegung in Richtung Schoß - third base haben wir aus irgendeinem Grund übersprungen und homerun - "oh, you know, he got there all the way...". Einer Rückfrage meinerseits konnte John schließlich entnehmen, dass ich nach einer halben Stunde die Grundprinzipien des Baseballs noch nicht kannte. Schließlich übernahm er den Unterricht mit rührender Geduld. Susan führte meine Verständnisschwierigkeiten übrigens darauf zurück, daß ich nicht middle-aged und desperate sei, so wie sie. Aber seit John mich instruiert hat, weiß ich bestens Bescheid: two outs and one inning, to steal a base, baseball is game of threes etc. pp. Wenn ich das nächste Mal in diese Kneipe gehe, werde ich John die Abseitsfalle erklären.

Daß die Yankees gewonnen haben - Einzug in die Final Division zum ersten mal seit Eisenhowers Präsidentschaft - weiß ich deswegen, weil Curzio heute morgen, als er aufgewacht ist, unsere Nachbarn imitiert hat: Yeahhh, we got it, yeaaah, yeaaaahh. Offenbar hat der Ärmste nicht so gut geschlafen.

Wenn Curzio die Nachrichten einschaltet, brüllt er immer laut "CNN breaking news". Dann steht er vorm Fernseher, fuchtelt wild mit den Armen und ruft „okay, okay“. Er sagt, er muß Englisch üben.

Seit wir über das entsetzliche Sprachchaos, das wir anfänglich verbreiteten, beide drohten die Kenntnis unserer Muttersprache zu verlieren, haben wir einen strengen Plan: montags, mittwochs und freitags Italienisch und dienstags, donnerstags und sonnabends Deutsch. Was wir mit dem Sonntag machen wissen wir noch nicht so genau. Wir haben erst einen zusammen erlebt, und da waren Jenny und Rodrigo zu Besuch, und sind mit uns durch den Central Park gehetzt, als würden die Russen kommen oder als müßten sie zur Arbeit. Jenny mußte sich alle fünf Minuten hinsetzen, weil sie nicht mehr konnte. Langsamer gehen wollte sie aber auch nicht: "Oh nooo, that way I won't burn any fat..." Für mich hat das vor allem zur Folge, daß Curzio jetzt immer "fat burn, fat burn" ruft, wenn er spazieren geht.

Übrigens wohnen Curzio und ich in Hell's Kitchen, haben wir herausgefunden. Kennt einer diesen Film mit den vier Jugendlichen, die irgendein Bagatell-Delikt begehen und dafür ins Jugendgefängnis kommen, wo sie jahrelang sexuell missbraucht werden - Robert de Niro (Robert de Niro?) spielt den Priester? Das ist bei uns.

Ich bin inzwischen dick befreundet mit dem albanischen Türsteher eines italienischen Restaurants in unserer Strasse. Er hat lange Zeit in Düsseldorf gearbeitet, und seit er weiß, daß ich Deutsche bin, wedelt er immer aufgeregt mit seinen deutschen Fußballmagazinen ("Otto Rehhagel - Pro und Kontra") , die er gerne liest, wenn gerade nicht so viel Kundenverkehr ist. Er wohnt in den Bronx und fühlt sich da sehr wohl. Hell’s Kitchen findet er überteuert. Da ist allerdings etwas dran...

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