Sonntag, 9. Dezember 2007

Election Day+9 oder so

Email aus New York, November 2000

Amerika hat immer noch nicht herausgefunden, wer der neue Präsident ist und Nd. kommt jeden Tag gramgebeugter an die Uni: "This has turned into a circus country!" Ich habe ihm vorgeschlagen, dass wir das nächste Mal ein paar internationale Beobachter schicken könnten.

Am Freitag war ich in der hippesten und teuersten Bar von New York. Alex, meine israelische Fotografin, hat dort Geburtstag gefeiert. Warum, ist mir heute noch ein Rätsel. Sie hat keine müde Mark in der Tasche, und als sie einen Tisch bestellen wollte, mußte sie feststellen, daß man nur schlappe 400$ dafür haben wollte. Also ohne Tisch. Dafür kamen wir dort richtig zur Geltung. Während alle anderen Frauen so aussahen, als hätten sie vier bis fünf Stunden gebraucht, um sich zu präparieren, hatte die Mehrzahl von Alex‘ Freundinnen einen flotten Kurzhaarschnitt, war betont ungeschminkt, hatte den Pullover in die Hose gesteckt und konkurrierte energisch den Männern um all die Schönheiten, die sich an der Bar räkelten. Sehr schön! Dazu hatten wir noch ein paar Tunten im Schlepptau und der Rest bestand aus Alex' Kollegen aus dem Fotolabor, die allesamt heimliche Fotografen sind und nur im Labor arbeiten, um billig das Material nutzen zu können. Hab' mich nie so recht getraut zuzugeben, daß ich versuche, Volkswirtin zu sein.

Meine Brooklyn-Safari am Sonntag begann in Park Slope, der Heimat von Paul Auster. Ich habe immer fleißig nach ihm Ausschau gehalten, aber außer daß ich mal in der Villagevoice gelesen hatte, er sei wahnsinnig gutaussehend, war mir nichts Näheres über die Details seines Äußeren bekannt. Also wieder keinen Dichter geangelt. Dafür wußte Jeanette, wo es den besten Flohmarkt gibt. Ich habe jedoch von dem Erwerb von Postkarten mit dem Stempel "Wir sind heim ins Reich gekommen -Schlesien" Abstand genommen.

Die nächste Station führte uns nach Crown Heights, wo die Einwanderer aus den West Indies leben. Die Frauen tragen Turbane auf dem Kopf, das hat mich gefreut, aber es roch dort nicht so gut nach exotischen Früchten, wie ich mir das vorgestellt hatte. Eigentlich hatte wir uns nach kreolischer Küche gesehnt, aber das einzige Restaurant, das wir entdecken konnten hieß zwar "La higienica", sah aber nicht so aus. Deswegen stiegen wir noch einmal in die U-Bahn und fuhren an die russische Ostsee. Die liegt hier in New York ganz am Ende von Brooklyn am Meer. Wenn man aus der U-Bahn steigt, hört man nur noch russisch und sieht kyrillische Schrift, die Strandpromenade ist gesäumt von bobonfarbenen Cafés und Restaurants, alle jungen Frauen sind figurbetont gekleidet und sexy, und alle Frauen mittleren Alters tragen Tigerlook. Und hhhhmmmmm schmecken die Pelmeni lecker!

Der Kellner konnte nicht so recht Englisch, kam aber jedesmal aus der Küche mit einem neuen deutschen Wort zurück. Später machten wir an der Strandpromenade noch die Bekanntschaft eines Polen mit imposantem Cowboyhut und einem Schnauzer der neben den Mundwinkeln bis zum Kinn herunterwuchs. Der konnte auch kein Englisch, brachte es aber trotzdem fertig, uns zu erzählen, daß er am Wochenende gerne mal einen hebt, aber montags immer wieder pünktlich auf dem Bau ist.

Am Ende waren wir so geschafft von all diesen Kulturen, dass wir uns erst einmal bei einem Bier im "Hallo Berlin" davon erholen mussten. Dort stießen wir auf eine Argentinierin, die sich über die französische Küche beschwerte und glücklich war, endlich mal wieder ein Schnitzel essen zu können - wie zu Hause. Sie kellnert in New York, um für die Uni zu sparen. Ich kann mir eigentlich keinen schlechteren Ort zum Sparen vorstellen als New York. Außer vielleicht Buenos Aires - da ist alles genau so teuer, dafür verdient man die Hälfte.

Sandra hat mich am Dienstag zusammen mit ihrem deutsch-jüdischen Freund Dan in eine Charity-Veranstaltung nach Harlem geschleppt. Wir haben Geld für die Reparatur des Kirchturms der St. Martin's Church gesammelt. Diesmal leckeres kreolisches Essen und ich durfte mich ein wenig willkommener fühlen, als damals in der Kirche. Wurde sogar ständig gefragt, ob ich auch in St. Martin's zur Kirche ginge.

Und damit Corinna nun nicht glaubt, dass hier lediglich zwei jämmerliche Gestalten aus Freiburg herumlaufen, sollte ich dazu sagen, dass ich unlängst meinen alten Kollegen und Tennispartner Jörn Paoadopoulos in Erwartung seines zweiten Kindes an der Colombia University ausgegraben habe. Wir treffen uns morgen auf halbem Wege (Westseite, fünfziger) zum "lunch".

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