Samstag, 29. Dezember 2007

Paris ist nichts für Pariserinnen

Gestern ist mir schmerzlich klar geworden, dass ich schon zu lange in Paris gelebt habe, um mich noch als Paris-Touristin zu eignen.

Das fängt bei den Schuhen an.

Früher habe ich Witze darüber gemacht, dass Französinnen Angst davor haben, ihre Weiblichkeit zu verlieren, sobald sie bequeme Schuhe tragen. Ich konnte es nicht fassen, dass nur Tschechinnen und anglo-amerikanische Frauen, aber niemals Französinnen zu meinen legendären gemischten Fussballpartien vor dem Hotel des Invalides kamen parce que ce n'est pas pour les filles. Und als Véronique mir beim Sonnenbaden anvertraute, dass sie niemals mit einem Mann, der ihr gefällt, in die Badeanstalt gehen würde, weil sie mit Badekappe einfach nicht gut aussieht, verschlug es mir endgültig die Sprache.

Jedoch kaum nach Berlin zurückgekehrt, war ich so erfreut über die stattliche Durchschnittsgröße der ortsansässigen Männer (und entsetzt über die wettbewerbsfähige Durchschnittsgröße der ortsansässigen Frauen), dass ich mir ein Paar hochhackiger Schuhe nach dem anderen zulegte. Wenn man alles durchkalkuliert, dann bringen hohe Absätze auch dann noch Schwung in die Hüfte und Länge in das Bein, wenn man eine Badekappe auf dem Kopf hat.

Das war Fehler Nummer eins.

Fehler Nummer zwei bestand in meiner überheblichen und herablassenden Haltung gegenüber dem 16. Arrondissement. Auch damit befinde ich mich wenigstens unter Parisern keineswegs in schlechter Gesellschaft. Schon Heinrich Heine verlangte nach langer, schwerer Krankheit im 16. Arrondissement, man möge ihn umgehend wieder in die Stadt bringen. Den Friedhof von Passy stellte er sich sehr langweilig vor, und er wollte dort unter keinen Umständen begraben liegen. Ich habe im 16. Arrondissement gearbeitet und kann es ihm nicht verdenken. Selbst auf den Haupteinkaufsstraßen dieses Bezirks herrscht Friedhofsruhe. Reiche, alte Damen im Pelz, die ihren Schoßhund spazieren führen, reiche alte Damen, die auswärts mit Hut auf dem Kopf Mittag essen, etwas jüngere, reiche Damen mit Sophia-Loren-Sonnenbrille, die in Geländewagen huldvoll mit behandschuhten Händen den Füßgängern, die sie im Begriff sind umzufahren, bedeuten, sich aus ihrer Parklücke zu entfernen. Keine Kinder, keine Araber, keine Mopeds, kein Trubel auf den Straßen. Das geht soweit, dass man ohne den Einsatz ausgefeilter Nahkampftechniken den Bürgersteig benutzen kann, was einmalig sein dürfte in Paris.

Wer sein französisches Blut nicht bis auf die Zeiten vor der Revolution an den Hof verschiedener Ludwigs zurückführen kann, ist Ölscheich, vielleicht noch Au-Pair-Mädchen mit Chambre de Bonne und einem einjährigen Kursus über französische Sprache und Kultur, sonst aber bestimmt Dienstbote. Mein Freund Mosahid hat früher einmal den Fehler gemacht, in das 16. Arrondissement zu ziehen. Als er es wagte mit seiner bengalischen Haut in den Hausflur zu treten, um eine für ihn bestimmte Waschmaschine entgegenzunehmen, wollte ihn die Hausbesitzerin zunächst verscheuchen und als er ihr endlich klargemacht hatte, dass er Mieter und damit zurecht im Haus sei, wies sie ihn schrill an, künftig den Boteneingang zu benutzen und der sei hinten. Wen wundert es, dass Sebastien mich damals daran hinderte ins 16. Arrondissement zu ziehen mit der Begründung, dass ich dort niemals mit Besuchen von Freunden rechnen könnte und selbst mindestens 45 Minuten unterwegs wäre, um in erträgliche Teile dieser Stadt zu gelangen.

Natürlich hat er recht und in den Pariser Osten zu ziehen, war alles andere als ein Fehler. Aber dass ich mir das 16. Arrondissement vor lauter Ärger über die ebenso versnobten wie bepelzten Omas mit Hut nie so richtig angesehen habe, das war ein Fehler. Fehler Nummer zwei, der mir in Verbindung mit Fehler Nummer eins zum Vehängnis werden sollte.

Zum Glück gibt es den Schatz, seine alternativen Reiseführer und seine Schwäche für gescheiterte und geglückte urbane Entwicklungsprojekte. Er zeigte mir das Balzac-Haus mit seiner verborgenen Treppe, über die der große Künstler vor seinen Gläubigern flüchtete, ja er geriet bei jeder verborgenen Treppe des Viertels in Verzückung und bestand darauf, sie zu erklimmen. Er führte mich in das alte Dorfzentrum von Auteuil und setzte dem achtlosen Vorbeigehen an den Jugenstiljuwelen der Avenue Mozart ein lang überfälliges Ende. Er sorgte dafür, dass ich die ebenso märchenhafte wie verrückte Häuserfassade des damals sechsundzwanzigjährigen Guimard endlich ausgiebig würdigte, für die der Künstler damals völlig zurecht den Pariser Fassadenpreis gewonnen hatte. Er machte mich auf die zurückhaltenden und eleganten, aber - wie man aus heutiger Sicht hinzufügen muss - nicht sehr klimafreundlichen Eisenfensterrahmen von Le Corbusier aufmerksam und auf die extravaganten Fassaden von Mallet-Stevens, die angeblich den Überseedampfern seiner Zeit nachempfunden sind.

Vor dem Musée Marmottan, das bedeutende Impressionisten beherbergt, aber weder den von kulturellem Informations-Overflow überwältigten Touristen noch Einheimischen geläufig ist, begrüßte uns ein Bettler mit "bonjour les amoureux". Paris kam mir romantisch, schillernd und voller unermeßlich schöner und wertvoller Schätze und Geheimnisse vor bis in den finstersten Winkel der Friedhofsruhe seines Westens.

Ich verfluchte meinen Hochmut, der mich das 16. Arronissement und seine Wunder bislang hatte links liegen lassen, und meine neue Weiblichkeit, die mich dazu gebracht hatte, unsere letzten vier Tage in Paris, die einem ambitionierten Sightseeing-Programm gewidmet sind, mit drei Paar hochhackigen Schuhen anzutreten.

Vor den iranischen Miniaturmalereien im Louvre verlor ich schließlich die Nerven, die Eitelkeit und die Kraft, um weiter elegant durch die Stadt zu stöckeln. Den Rest des Abends verbrachte ich auf dem Sofa mit meinen Blutblasen in einem Eimer heißen Wasser. Die Sex-and-the-City-DVD, die ich dabei sah, war weit davon entfernt, Wünsche auf Manolo Blahniks in mir zu wecken.

Der heutige Tag begann trotzdem mit Shopping. Blasenpflaster in der Apotheke für sechs Euro und braune Turnschuhe, Berliner Modell: cool, unweiblich und bequem.

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