Samstag, 3. November 2007

Harlem für Ignoranten

Email vom 27. Oktober 2000:

Mein "Ethnic New York" Buch ist ein Juwel. Es hat mich nach "Little Odessa" in Brooklyn geführt, wo ich Borscht essen und mich in Russland wähnen durfte (weil ich es nicht von der Ukraine unterscheiden kann) und es hat mich alles gelehrt, was ich über deutsche Einwanderer in New York und über die jüdische Bevölkerung von der Lower East Side weiß. Na klar fühlte ich mich wunderbar beraten, als ich mich am Sonntag einem Hinweis dieses Buches folgend nach Harlem aufmachte, um einer Gospel-Messe in der New Canaan Baptist Church beizuwohnen!

Wer außer mir kommt schon auf solch eine exotische Idee? Alle! Und der nette Türsteher vor der New Canaan Baptist Church, gab uns deutlich zu verstehen, dass Kirchgänger in Harlem nicht viel von Besuchern halten, die südlich der 110ten Strasse - womöglich noch in einem Hotel - leben.

Trotzdem waren wir so leichtsinnig, uns in die Nachbarkirche lotsen zu lassen, wo sie doch tatsächlich eine Galerie für Menschen wie mich haben - die Gemeinde sitzt unten. Was soll ich sagen - ich habe mich schon lange nicht mehr so geschämt! Die Leute sind aufgestanden, haben laut geredet, gut die Hälfte hat die Kollekte ignoriert, einer hat fotografiert (!) und alle sind früher gegangen...

Nun, inzwischen bin ich zu der schlauen Erkenntnis gekommen, daß es vielleicht nicht so eine gute Idee ist, in anderer Leute Gottesdienst zu gehen, "weil man es gerne mal sehen möchte". Aber soll ich ehrlich sein? Ich bin doch froh, daß ich einmal gedankenlos genug war, es doch zu tun. Der Priester war ein Bild von einem Zwei-Meter-Mann und hat bei seiner Predigt, die auch nicht die Spur an irgendein Evangelium angelehnt war, Witze gemacht, gelacht, und sich manchmal richtig in Rage geredet. Die Gemeinde antwortet "yeah", "that's right" und klatscht, und natürlich sind Gesang und Instrumentalmusik unschlagbar.

Wenn Pastor Gildemeister nur ein bißchen mehr so gepredigt und womöglich dadurch die alten Damen vom Ebersberg zu frenetischem Klatschen und "Ja, das ist richtig"-Rufen animiert hätte, dann wären wir auch nach unserer Konfirmation noch das eine oder andere Mal in der Kirche aufgelaufen, anstatt immer im TV Springe herumzulungern...

Wie auch immer, das Soul-Food bei Sylvia's hinterher war lecker. Nachdem wir Curzio auf unergründete Weise im Central Park verloren hatten, fingen Sybille und ich - aus Frust - an, uns die Westseite von Manhattan herunterzutrinken. Ich bin nur froh, dass wir zwischen der 50ten und der 14ten Strasse doch auch mal in eine U-Bahn geklettert sind. Bei einem "Dirty Martini" (70te Strasse) stellte sich heraus, dass sie zwar mit 23 BWL-Examen hatte, mit 26 Steuerberaterexamen und mit 29 Prokura bei der KPMG, aber mit 30 immer noch keine Zigarette in der Hand. Bei Rotwein, Margaritha und Corona hat sie gelernt, wie man so geschickt pafft wie ich. Jetzt sind wir alle beide cool und haben nie Kopfschmerzen.

Besonders gefällt die New Yorker Institution des spontanen Passanten-Komplimentes! Am häufigsten hoere ich "ooooh, coooooool". Damit die Ladykiller aus dem 439 nun nicht um ihre Position fürchten müssen, sollte ich dazu sagen, dass sich dieser Ausruf nicht auf mich als Person, sondern auf meine Jeans mit dem irren Muster am Aufschlag bezieht (danke, Mama!). Neulich wäre ich fast nicht mehr zu Hause angekommen, weil ein Passant anfing, seine eher allgemeine Bemerkung über mein angenehmes Äusseres mit blumigsten Beschreibungen zu präzisieren. Ich wäre ihm soooo gerne gefolgt, um noch ein bißchen zuzuhören... Meine Lieblingsgeschichte handelt allerdings von dem jungen Mann, der mich erst mit einem Plastikbecher in der Hand anbettelte, und mir, als ich abwinkte und eilig weiterging, hinterherrief: "I like the way you walk!" Können sie so etwas nicht auch auf der Osterstrasse einführen?

A propos Plastikbecher, ob Ihr es glaubt oder nicht, in der Metropolitan Opera perlt die Witwe Cliquot nicht im Glase, sondern - im Plastikbecher. Da haben wir es mal wieder, die Amerikaner und die Kultur.

Die Subway Series haben wir gestern auch hinter uns gebracht. Aus irgendeinem Grund haben die Mets und die Yankees (erinnert Ihr Euch?) vergangene Woche JEDEN EINZELNEN Abend gegeneinander Baseball gespielt. Da lob ich mir doch den Fußball, da ist der Ball rund und man kann sich sicher sein, daß das Spiel nach 90 Minuten vorbei ist...

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