Sonntag, 23. November 2008

Waschen in Williamsburg

Email aus New York, Februar 2001

Ich komme gerade schweissüberströmt aus dem Waschsalon in der Bedford Avenue, wo sich am Sonnabendmorgen halb polnisch Amerika ein Stelldichein gibt. Dabei habe ich gelernt, daß in Williamsburg beim Waschen nichts schief gehen darf, wenn man der polnischen Sprache nicht mächtig ist. Man braucht nicht darauf zu vertrauen, daß man mit dem Capo auf englisch verhandeln könnte. Und ohne allerbilligste Clichés bedienen zu wollen, habe ich feststellen müssen, daß die Polen sich bestens darauf verstehen, einem auch solche Sachen vor der Nase wegzuschnappen, die ich ganz persönlich immer für niet- und nagelfest gehalten hatte - wie zum Beispiel Waschmaschinen.

Nach mehreren Stunden erbitterten Kampfes habe ich es dann aber doch geschafft, meine Kleider zu reinigen, soweit das in Amerika eben möglich ist. Wenn ich an Deutschland denken freue ich mich am allermeisten auf den Kochwaschgang...

Die jüngeren Polen sprechen Englisch und auf die Art und Weise konnte ich mich heute morgen selbst davon überzeugen, daß Ostalgie auch in Polen eine weit verbreitete Krankheit ist. Wahrscheinlich in gewisser Hinsicht gar nicht immer zu Unrecht, aber der junge Mann, mit dem ich mich unterhielt, verstieg sich sogar zu der Behauptung, daß man die Präsenz der Russen zu Kommunismuszeiten kaum wahrgenommen hätte. Ach das bißchen Kriegsrecht, ich solle mich mal nicht so anstellen!

Der Valentinstag hat mich - wie sollte es anders sein - einmal mehr in eine äußerst verzwickte Situation gebracht. Der Doorman der NYU, ein gestandenes Familienoberhaupt aus den Bronx im Alter meines nur dem Anschein nach jugendlichen Vaters, hatte es sich nicht nehmen lassen, mir Pralinen in einer Schachtel in Form eines rot flammenden Herzens zu schenken. Das interpretierte ich noch als rührende Geste, die darauf abzielte, kein Heimweh bei mir aufkommen zu lassen, natürlich in Verkennung der Tatsache, daß die Deutschen in der Liebe mit einem geringen Bruchteil der Rituale auskommen, die die Amerikaner dafür benötigen. Verdächtig kam es mir dann allerdings vor, als er sich am nächsten Tag danach erkundigte, ob er mir denn wohl auch Blumen schicken dürfe. Ich weiß nicht mehr, was ich daraufhin stammelte, auf jeden Fall fuhr ich schnell in mein Büro hoch, und schrieb einen Emil an meine Kulturgrabenberaterin Helen, die sich in der amerikanischen wie auch in der taiwanesischen und deutschen Kultur auskennt wie in ihrer Westentasche, Solange es sich um nicht-rote Nicht-Rosen handele, solle ich die Nerven behalten, meinte sie, ansonsten können es sich aber durchaus um einen "dirty old man" handeln. Ich solle die Blumen auf jeden Fall annehmen, wenn sie kämen, mich aber gleichzeitig angelegentlich danach erkundigen, wie er denn den Valentinstag mit seiner Frau verbracht habe. Indem ich eine offene, positive und fokussierte Anerkennung seiner Frau und seiner Kinder zeigte, könnte ich unserem Verhältnis gewisse Grenzen auferlegen. Wer von Euch stimmt nicht mit darüber überein, daß die Frau in den diplomatischen Dienst gehört?

Wenn ein Mensch auf dieser Welt eine argentinische Seele hat, dann ist es Lucas' Vater. Am liebsten würde ich alle seine Nachrichten auf unserem Anrufbeantworter aufbewahren. Corinna würden die auch gefallen: Ein Tango könnte nicht besser sein. "Te quiero muuuucho, te quiero muuuuuucho, cuidate cuiuiuiuiuidate!" Ich habe ein bißchen Angst, die Argentinier könnten glauben, meine Eltern liebten mich nicht, deswegen forderte ich zuhause ähnliche Nachrichten ein. Aber ihr wißt ja, wie das in Norddeutschland ist. Die Männer gehen mit der Keule auf die Jagd, und wenn überhaupt jemand für Gefühle verantwortlich ist, dann sind das die Frauen, und die zeigen sie indem sie Unmengen kochen oder einem sündhaft teure grüne Lederjacken kaufen. Aber wie soll Lucas das merken?

Wenn mein Vater alle drei Jahre mal auf einen Anrufbeantworter spricht, dann diktiert er in aller Regel Satzzeichen - alte Berufskrankheit - und da ich mich dann sofort hinsetze und mitstenographiere, bin ich ganz froh, daß er keine Nachrichten hinterläßt. Lucas hält mich mit meiner Mülltrennung schon für verrückt genug. Meine Mutter hat die Angewohnheit, auf den Anrufbeantworter zu brüllen: " Niciiiiiiii, wo treibst Du Dich schon wieder 'rum?" Das ist ein bißchen zu schwer für Lucas, aber ihr "Halloooooo, Niciiiiiiiii" macht er schon so gut nach, daß ich dauernd das Gefühl habe, ich säße in Springe im Wohnzimmer oder besäße einen Papagei. Gestern hat sie jedoch auf meinen ausdrücklichen Wunsch hin auf das heftigste gesäuselt, darunter auch eigenhändig kreiertes Spanisch: "Te amo, te amo, te queme , te queme" oder so ähnlich. Ich war jedenfalls begeistert. Ich hoffe auch Lucas wird beeindruckt sein, wenn er nachher um fünf mal aufwacht.

Gestern blamierte ich mich ein bißchen beim Kochen, weil ich den Spinat nicht richtig geputzt hatte. Dabei hat mir Cathrin noch zu Studienzeiten mit großer Liebe zum Detail beigebracht, wie man den Feldsalat richtig putzt - eigentlich hätte ich es wissen müssen. Gott sei Dank hat Arnold eine Spinatallergie und Frank hat aß mit Todesverachtung, wenn auch unfreiwillig zähneknirschend. Die Ente in Orangensoße war dafür lecker.

Letzten Sonntag brunchte ich mit der größten jüdischen Großfamilie im Staate Michigan. Ich habe noch mehr Williamsburger (sprich Franzosen und Israelis) in den Kneipen kennengelernt, und weiß jetzt, daß man in Williamsburg sich einer Frau nicht einfach nähert, indem man scheinheilig fragt: " Kennen wir uns nicht von irgendwoher?", sondern wenigstens: " You look familiar, are you an artist?" Vielleicht mache ich es bald so wie mein indischer Freund Rohit, bei dem ich mich unlängst beklagte, was für ein hartes Los es sei, auf einer Künstlerparty in Williamsburg zugeben zu müssen, daß man Volkswirtin ist. " I describe myself as an mathematical artist", sagt er, mit seinem unvergleichlichem, unbezahlbarem indischem Akzent.

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