Sonntag, 9. Dezember 2007

Bad Data from Florida

Email aus New York, November 2000

Im Moment dreht sich mein Leben um italienische Industriepaneldaten. Ob ihr es glaubt oder nicht, die Italiener waren die Ersten, die ihre Daten vollständig bei der OECD abgegeben haben. Nd. sagt, er glaubt im Leben nicht, daß die schneller waren als die Deutschen. Er vermutet, sie haben sich Daten einfach ausgedacht. Trotzdem fangen wir jetzt erst einmal mit Italien an - "to check on these guys".

Das Gute an der älteren Generation ist, dass sie als Nebenprodukt ihrer Ablehnung des Computers darüber hinwegsieht, daß Deutschland inzwischen den Anschluss an moderne Technologien verpasst hat. Ab und zu sonne ich mich mal ganz gerne in dem längst vergangenen Ruhm.

Wie ihr alle wißt, tun sich die Amerikaner derzeit schwer damit herauszufinden, wen sie zum Präsidenten gewählt haben. Irgendwie kommt beim Zählen jedesmal etwas anderes heraus und von den Hochrechnungen wollen wir mal gar nicht sprechen. Vielleicht können die mal ein paar italienische Statistiker gebrauchen? In jedem Fall ist eine gewisse Schadenfreude bei den italienischen Staatsbürgern auf meinem Gang nicht zu überhören. Der allgemeine Konsens lautet in etwa: "Na, jetzt wollen wir mal sehen, wie DIE mit politischer Instabilität klarkommen.

Anfangs hat mich solche Erlebnisse hier noch schockiert, aber inzwischen scheint sich mir alles wie ein Mosaik zusammenzufügen: Altertümliche Badewannen auf 30 cm Höhe direkt neben der Spüle, Heizungen ohne Wärmeregulierung, Präsidentschaftswahlen ohne Ergebnisse und Waschmaschinen, in denen die Wäsche nicht sauber wird... Zu alledem schreibe ich Euch gerade aus dem achten Stock eines Gebäudes, dessen fünfter bis siebter Stock gestern wegen einstürzender Decken evakuiert wurde. Als ich meine Eltern telefonisch über dieses Malheur unterrichtete, lautete die - wie mir schien eher ungerührte - Antwort: "Na, dann bist ja aus dem Gröbsten 'raus."

Trotz aller Mißgeschicke ist und bleibt Amerika eine Leistungsgesellschaft. Leider macht sich das ausgerechnet beim Tango bemerkbar. Ach wenn Ihr es nur sehen könntet! Alle Ethnien dieser Welt, Inderinnen, Schwarzamerikaner, Iraner, Afrikanerinnen, wie sie hingebungsvoll aneinander angelehnt in anmutigen, weichen Bewegungen über die Tangotanzflächen dieser Stadt schweben.

So etwas Schönes!

Ich frag mich nur, wo sich die ganzen Anfängerinnen und die "intermediate" Tänzerinnen verstecken. Offensichtlich wagt sich ohne perfekte Tanzausbildung außer mir keine tanguera zu diesen prácticas. Die Männer sind da natürlich wie immer unerschrockener.
Tango besteht - für die, die es noch nicht wissen - zu einem Großteil aus Pausen. Aber die muß man beherrschen! Eine versierte tanguera lehnt sich dabei noch ein bißchen hingebungsvoller an ihren Partner, wiegt sich anmutig hin und her oder streicht mit einem Fuß an ihrem - gelegentlich auch seinem - Standbein entlang. Bei mir hingegen rächt sich in solchen Pausen, daß Antonio freitags immer in Poppenbüttel kellnern und danach allerlei gesellschaftlichen Verpflichtungen am Schulterblatt nachgehen muß. Wenn ich besonders geistesgegenwärtig bin, bemühe ich mich das Spielbein anmutig anzuwinkeln. Aber meistens stehe ich ratlos auf beiden Beinen herum und frage mich, ob ich mich wohl noch mehr als Stümper entlarve, wenn die nächste Figur ein Mühle ist, oder sollte ich kichern müssen, wenn der Tänzer plötzlich aus einer Drehung heraus ganchos tanzt - will sagen wie ein Pferd nach hinten ausschlägt und zwar zwischen meine Beine.

Und weil ich so ziemlich die einzige Dame auf der Tanzfläche bin, die nicht die Perfektion erreicht, ergibt es sich, daß ich mich vor allem bei der älteren Generation größter Beliebtheit erfreue. Nicht daß das grundsätzlich schlimm wäre. Das Schöne am Tango ist, daß der Tanzpartner zwei Köpfe kleiner und vierzig Jahre älter sein kann, wenn er nur gut tanzt, sieht es wunderbar aus. Nein ich spreche von den älteren Herren, die gar nicht tanzen können. Dafür sind sie vom Schlage "oh, how are you supposed to lead someone, if you have to stay so far away from them". Die Startänzer tanzen gelegentlich mit mir, aber nur wenn sie mich noch nicht haben tanzen sehen, und nie länger als zwei Tänze. Deswegen wechsele ich jedesmal den Tangoschuppen, um unerkannt zu bleiben. Und wenn Ihr da wärt, könntet Ihr sehen, wie ich zwischen den Tänzen sternförmig durch den Saal eile, immer auf der Flucht vor den Nichttänzern und in der Hoffnung, einen Startanguero in eine Milonga zu locken, bevor ihm klar wird, worauf er sich da einläßt. Glaubt nur nicht, daß einem hier irgendetwas geschenkt wird...

Aber auch mit den Deutschen ist das Leben nicht immer ein Kinderspiel. Mich haben hier die kultivierten Frauen unter ihre Fittiche genommen und sorgen dafür, daß ich regelmäßig in die Carnegie Hall und in die Metropolitan Opera komme (daher auch meine profunden Kenntnisse darüber, wie der Champagner dort ausgeschenkt wird). Mein kulturelles Sahnehäubchen ist Jeanette, die am Lincoln Center für anderthalb Jahre Geigen baut. Nur sehr widerwillig allerdings, denn ihr Freund - ein armenischer Geiger - ist in Berlin zurückgeblieben. Am Montag haben wir uns die Zauberflöte angesehen. Daß Sarastro ein Desastro war, habe sogar ich gehört. Aber bei der zweiten Arie der Königin der Nacht (ahahahahahaaaaaa...) konnte ich nicht mehr an mich halten und wollte mit Janine teilen, wie schön mir das erschien. "Unsauber" raunt sie streng zurück. Wie ihr seht, habe ich noch viel zu lernen.

Vorgestern abend saß ich doch bei Aggie's mit meiner Tomatensuppe, da steht auf einmal- passenderweise - Klaus Noser vor mir. Wißt Ihr, dieser langmonatige Verehrer und Ballherr unsere alten Freundin Agnes Vogel...Er wußte zu berichten, daß Agnes pünktlich jeden Sonnabend in dem Laden in der Susannenstraße aufkreuzt, wo er Seventies-Klamotten verkauft, und sich über ihre verschiedenen Freunde beklagt. Irgendwo muss die Welt ja normal bleiben und so, wie man sie kennt.

Und so schließe ich heute mit einer kleinen Variation einer alten Lebensweisheit, die seinerzeit unter Passauer Studenten sehr verbreitet war: "Warnung an alle - die Schanze ist überall!"

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