Sonntag, 23. November 2008

Gepriesen...

Email aus New York, Februar 2001

... sei der Tag, an dem der Vermieter in Hell's Kitchen auf die Idee kam, Vladi, Curzio und mich aus der Wohnung zu schmeißen - Williamsburg ist wunderbar! Es vereint alles in sich, was schön ist. An einem Sonnabendmorgen ist die Bedford Avenue wie die Osterstraße. Alle Einwohner, die nicht Künstler sind - also die Polen und ich - laufen eilig von Geschäft zu Geschäft und erledigen ihre Einkäufe oder halten an der Ecke noch einen kleinen Schnack. Das Schöne daran ist, daß man nicht bis ins Schanzenviertel radeln muß, um in ein hippes Kaffee zu gehen oder Second-Hand-Klamotten einzukaufen, denn die sind auch alle in der Bedford Avenue. Des nachts ist Williamsburg wie Ostberlin. Die Gebäude sind ein bisschen heruntergekommen, aber überall schießen kleine Bars, Clubs und Kaffees wie Pilze aus dem Boden. Wenn ich mich nur genug von den Outfits inspirieren lassen, die nach zwölf Uhr im L-Zug von Manhattan in die Bedford Avenue getragen werden, dann habe ich demnächst in der Hamburger Szene die Nase ganz vorne.

Wenn man von mir zu Hause aus ein bißchen in den Süden läuft, landet man in Mexiko und Puerto Rico. Aus allen Läden schallt laute Salsa-Musik und Spanisch ist die Landessprache. Dorthin unternahm ich heute morgen einen kleinen Ausflug, nur um hinterher beim Kaffeetrinken im "Time Out" zu lesen, es sei in der Gegend vor zehn Jahren noch so gefährlich gewesen, daß sich die Künstler immer ganz fest beieinander eingehakten, um sich gegenseitig nachhause zu bringen, wenn sie ihr Atelier verließen. Die Vorstellung hat mir im Nachhinein doch noch einen kleinen Schreck versetzt, zumal ich mir Sorgen um den letzten Künstler mache, den niemand mehr nachhause bringen konnte.

Aufgeheitert in meinen trüben Gedanken wurde ich von einer netten israelischen Künstlerin, die als Kind einen Schüleraustausch nach Hannover gemacht hatte. Meine weitschweifigen Entschuldigungen dafür, daß Hannover nicht das Schönste ist, was unser Land zu bieten hat (wie gut, dass meine Eltern das nicht hören konnten), wies sie empört zurück. Hannover sei beautiful, so schön grün und neighbourhoody. Ha! Was für ein guter Tag!

Hochmotiviert davon lief ich ein paar Straßenzüge in den Norden und fand mich tiefsten Polen wieder. Solche Fleischereien, wie man sie auf der Manhattan Avenue findet, habe ich seit meiner Radtour durch Ostpommern nicht mehr gesehen. Anstatt Telefonkarten kauft man dort kartyie telefonczkie, man ist im restauranczkaia polskaia, und wenn man sich amüsieren möchte, geht man in den club nocznyi.

Eigentlich hatte ich in die hippen Klamotten-Läden gehen wollen, die es in bei uns um die Ecke zu Hauf gibt. Bloß hatte ich nicht mit den Künstlern gerechnet, von denen natürlich niemand vor ein Uhr aufsteht. Da neun- bis zehntausend davon in Williamsburg leben, sind auch die Öffnungszeiten dementsprechend. Lucas weiß schon, warum er mich immer auslacht, wenn ich während der Woche schon um zwölf oder ein Uhr ins Bett gehe. Ich habe mich des amerikanischen Traums bedient, um ihm mein auffälliges Verhalten zu erklären. Ich müsse gut arbeiten, damit es meine Kinder einmal besser haben könnten als ich. Das hat ihn wenig beeindruckt. So wie ich arbeitete, meinte er, würden sie bis hin zu meinen Urenkeln ein besseres Leben haben.

Aber selbst die Einführung der Mülltrennung in unserer WG konnte unser herzliches Verhältnis nicht ernsthaft trüben. Ich wählte einen Kompromiss, und trenne nur Flaschen, Papier und den Rest. Irgendwie hörte ich zu häufig das Wort "loco" aus Lucas' Telefongesprächen mit Argentinien heraust, als wir noch eine Extratüte für Plastik hatten.

Übrigens kann ich jetzt endlich von mir behaupten, ich hätte Placido Domingo in der Met gesehen. Nur unter uns Pastorentöchtern gebe ich zu, daß er dirigiert hat, anstatt zu singen (der Torfkopf!). Ansonsten hätte ich wohl aber auch keine Karten bekommen.

Am Donnerstag habe ich zusammen mit meiner Kollegin Anna zwei PhD-Studenten aus dem ersten Jahr von ihren Ökonometrie-Aufgaben aufgescheucht, um mit ihnen Salsa tanzen zu gehen, oder genauer Son Cubano. Mein russischer Tanzpartner hatte erstens noch nie Salsa getanzt und sah zweitens aus wie ein typischer russischer Intellektueller: groß, dünn und ein bißchen linkisch. So nett er ist, machte ich mir keinesfalls größte Hoffnungen, was das Tanzen anging. Jedoch weit gefehlt! Die russische Seele verschafft einem offensichtlich auch das richtige Gefühl für Rhythmus. Nach einer halben Stunde flogen unsere Hüften nur so, bis Giovanni beeindruckt meinte, noch eine Stunden bei dieser Lehrerin, und Artem und ich würden in Kuba eingebürgert.

Und Washington habe ich ganz vergessen! Ich hatte eigentlich zumindestens so etwas wie Chicago erwartet. Aber obwohl es sehr schnuckelige Ecken und schöne Museen gibt, ist es alles in allem wie Bonn ohne Rheinländer. Dennoch haben Moni und ich uns ordentlich in den Museen gebildet und alles losgemacht, was sich irgendwie losmachen ließ. Sie hatte dort ein gute Zeit, wurde von allen geliebt und auf Händen getragen - wen wundert's? Jetzt sitzt sie für vier Monate in College Station, Texas, und gruselt sich ein bisschen. Sollte sie nicht, sie macht alles richtig. Schließlich werden wir alle von Amerika aus regiert. Und so schön und spannend New York ist, dass Leute wie George W. Bush hier Präsident werden, wird nicht in New York entschieden, sondern in Kalamazoo, Michigan, und College Station, Texas. Wer dort nie gewesen ist, kann die Welt nicht wirklich verstehen.

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