Mittwoch, 20. August 2008

Lebemänner in New York

Email aus New York, Februar 2001

Mein Heimweh ist überwunden und in Williamsburg habe ich mich wunderbar eingelebt. Ich genieße meinen Blick aus dem Schlafzimmer auf Manhattan und das Gefühl, am Meer zu leben. Wenn ich morgens zur U-Bahn laufe, fliegen die Möwen über meinen Kopf hinweg.

Williamsburg ist wie das Schanzenviertel, jedenfalls, was den Look der Leute angeht. Ich warte immer nur darauf, daß mich jemand anpfeift, ich solle doch zurück nach Eppendorf gehen, so wie es mir dort einst widerfuhr. Ansonsten ist es den Williamsburgern mit dem Hippsein etwas ernster - sie haben alle entweder ein Skateboard unter den Fueßen oder einen Geigenkasten unter dem Arm. Und das nicht nur zur Zierde.

Am Sonnabend wollten Jeanette und ich eigentlich Salsa tanzen gehen. Irgendwie bogen wir aber falsch ab, und ließen uns von Bartender A ( eigentlich Fotograf) auf die "Künstlerloftparty" von Bartender B ( eigentlich "Maler") abschleppen. Leider ließ die Malerei von Bartender B nach meinem Geschmack etwas zu wünschen übrig. Darüberhinaus stellte er sich als dermaßen betrunken heraus, daß ich ihn bei unserem Tänzchen nicht nur führen mußte - was ich zugegebenermaßen ganz gerne tue - sondern im Prinzip auch allein dafür verantwortlich war, daß er sich in der Vertikalen hielt. Das war mir dann doch ein bißchen zu viel. Wobei der mir noch lieber war, als der noch wesentlich betrunkenere junge Man an der Bar, der die Morde der RAF als notwendigen Gewaltakt gegen den Kapitalismus einstufte, allerdings weder Ulrike Meinhof noch Joschka Fischer kannte, dem es auch als Nicht-RAF-Mitglied zur Zeit mühelos gelingt, es mit seinen Straßenschlachten aus der Jugend in die New York Times zu schaffen. Sein Gehalt bezieht der RAF-Sympathisant übrigens vom kommunistischen, amerikanischen Staat - als Geschichtslehrer. Und macht sich jetzt jemand von Euch ein Vorstellung davon, welche Sorgen ich mir um amerikanische Kinder mache?

N. setzte mir neulich beim Mittagessen auseinander, daß die Deutschen mit ihrem Krieg und ihrer Judenverfolgung neben allem andern zwar ihre eigene akademische Basis komplett zerstört, dafür aber die der Amerikaner weit nach vorne katapultiert hätten. Mit anderen Worten, wär der Krieg nicht gewesen, dann müßte Nadiri jetzt mich besuchen und ich bräuchte kein Heimweh zu haben. Wußtet ihr, daß Fritz Machlup nicht nur dermaßen gutaussehend war, daß er immer eine Traube von Frauen hinter sich herzog (auch noch mit achtzig), sondern auch ein derart hingebungsvoller Ökonom, daß er regelmäßig auf Festen um elf Uhr aufsprang, um an die Uni zu fahren und weiterzuforschen? Konsequenterweise ist er auf einer Konferenz tot umgefallen, als er gerade eine Frage stellte. Auch Oskar Morgenstern glänzte an der NYU nicht nur mit der Erwartungsnutzentheorie, sondern auch mit Schönheit und österreichischem Charme. N. bezeichnet die beiden als deutsch, aber das muß ich meiner Tante und meinem Onkel zuliebe korrigieren, die sehr strenge Leser meines Bulletins sind.

Mal sehen, ich heute abend Lucas treffe. Inzwischen habe ich auch richtigen Kaffee gekauft, das heißt, wenn ich wir uns begegnen, kann ich dann auch nicht mehr schlafen. Und sonst finde ich morgens immer ein Zettelchen von ihm. Vorgestern hatte er gekocht. Weil ich es ab und zu mal wage, eine schmutzige Schüssel für ihn mitabzuspülen, hat er einen Zettel an das Geschirr gehängt:

"Spülen verboten - ich mache das!"


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