Sonntag, 20. Januar 2008

Die Kunst und ihr Publikum - Neue Musik

Heute waren wir in einem Neue-Musik-Konzert. Das ist eine Musikrichtung, die niemand kennt und sich niemand anhört, es sei denn er spielt sie selbst. Außer uns, aber wir sind mit einem Neuen Musiker befreundet und so auf den Geschmack gekommen. Bester Beleg für die Publikumsferne dieser Kunstrichtung ist, dass Freiburg - oder besser gesagt Donaueschingen - ein Epizentrum der Neuen Musik ist und ich mindestens vier Jahre dort gelebt habe, ohne irgendetwas davon merken. Daniel und ich waren sehr beschämt und deprimiert, als wir davon erfuhren. Wir hätten nie gedacht, dass Freiburg das Epizentrum für irgendetwas ist ausser für Fahrradwege und Häuser mit Solarzellendächern. Nur weil meine Freundin eine Magisterarbeit mit dem schönen Titel "Die Neue Musik auf dem Weg zum Publikum" schrieb, ist mir dieser neue Blick auf meine alte Wahlheimat zuteil geworden. Und auf die Musik...

Neue Musik bedarf einer langen Gewöhnungszeit, aber die Mühen zahlen sich aus. Wenn man ein paar Mal miterlebt hat, wie der Klavierspieler mit Xylophonklöppeln direkt auf den Saiten klöppelt, die Geigenspieler mit Telefonkarten ihr Instrument zupfen oder alle Musiker einfach immer nur zischend ausatmen, um die Geräusche kurz vor Beginn des Konzerts stärker in den Mittelpunkt zu rücken, dem kommt Schönberg bald wie Mozart vor.

Überhaupt verstehe ich, seit man mich an diesen Musikstil herangeführt hat, gar nicht mehr, warum er sich nicht größerer Beliebtheit erfreut und statt dessen im Werner-Otto-Saal außer uns immer nur Neue Musiker und besonders beflissene Zehlendorfer sitzen, die sich einfach bei jeder Kulturveranstaltung zeigen müssen, egal wie sehr sie sich gruseln. Das sind die, die beim Aufbereitungsgespräch nachher fragen, warum sich der Lautmalerei-Poet bei seinem Vortrag nicht auf eine Videogroßleinwand übertragen ließe, es sei doch so schön anzusehen und so sinnlich. Dazu muß man wissen, dass der Poet, der sich in der Tradition obskurer russischer Lyriker der 1910er Jahre sieht, beim Lautmalen ("ppppffffff", "zzzzzzzz", schschllll", "tttzzz tz tz tz tz") so sagenhaft spuckte, dass sogar mir das ohne Brille nicht entging.

Wer sich wirklich nicht für Geiger erwärmen kann, die mit Leitern klappern, oder mit Bratschistinnen, die das Geräusch des Tee-Einschenkens aus der Thermoskanne evozieren, dem sollten schon allein diese Aufbereitungsgespräche einen Konzertbesuch wert sein. Spätestens wenn der russische Lautmaler beschreibt, wie sein großes Vorbild in den 1910er Jahren beim Spaziergang dichtete, "aber wenn späterrr er Gedicht aufschrrreibt, er zerrstörrt Gedicht" , und sich die Leadmusikerin des Quartetts besorgt erkundigt, ob das vielleicht impliziere, das Quartett zerstöre jedesmal beim Spielen das Werk des anwesenden Komponisten ("Erinnern-Wiederholen-Durcharbeiten", komponiert für den Weltjahrestagung der Psychoanalytiker), hat man das Eintrittsgeld 'raus. Nur für den Fall, dass man der einzige Stoffel im Saal sein sollte, der weder freien Eintritt, noch Steuerkarten bekommen hat.

Und erst der theoretische Überbau! Diese Werke sind nämlich nicht einfach nur Musikstücke. Sie sind konzeptuell. Fragt mich bloß nicht, warum nun konzeptuell und nicht konzeptionell. Vielleicht wollen die Neuen Musiker nur nicht ganz so vermessen sein , wie es zunächst scheint, und mit dem Betonen des Konzeptuellen keinesweges ausdrücken, dass die klassischen Musiker völlig plan- und konzeptlos komponiert haben, sondern sie wollen einfach nur sagen, dass sie Neue Konzepte in petto haben. Konzeptuelle Konzepte anstatt konzeptionelle Konzepte.

Und was für Konzepte! Das Stück der kanadischen Preisträgerin heute etwa beruhte auf dem Konzept der Laufente. Aber nicht irgendeiner Laufente, sondern einer Laufente, die an Gerhard Schröder in der Spätphase seiner politischen Karriere erinnert, der "auch nicht lahm beobachten, sondern weitergehen und dabei seine eigenen Wurzeln und Ziele nicht vergessen wollte", wie im Programmheft zu lesen war. Damit dürfte die Preisträgerin die einzige Angelsächsin unter der Sonne sein, die in Gerhard Schröders "Streben in fremde Gegenden" (Programmheft) ein lediglich paar lahme Flügel gepaart mit Prinzipientreue und eisernem Willen sieht und sich dadurch auch noch zu dem schönen Gedicht -Laufente - lauf!/Geh weiter/Vergiß nicht: Dein Weg - und zu einer losen Anordnung von zwanzig numerischen Verhältnissen inspirieren läßt, verwirklicht nicht nur mit klassischen Instrumenten, sondern auch mit Schreibmaschinenklappern und dem Rascheln von Papierplastiktüten. Ungeachtet allen Spotts und aller Häme ein tolles Stück übrigens. Nichtsdestotrotz war alles sonst, was ich aus dem diesem oder anderen Kulturräumen über Schröders Streben in ferne Gegenden gelesen habe, nicht nur weniger konzeptuell, sondern auch weniger schmeichelhaft.

Ein weiterer Höhepunkt der Veranstaltung war der Professor und Laudator der zweiten Preisträgerin, der mit leichten Herrenmenschenallüren seinem Zögling ungeachtet seiner koreanischen Herkunft Selbstzweifel, Entdeckergeist und eine Seele bescheinigte - aber sicher nur von ihm persönlich eingehaucht. Wo doch sonst aus ihrem Erdteil nur Nähmaschinen bei ihm vorspielten und ihn nervten. Er beglückwünschte sich und seine Schülerin dazu, dass der üppig mit 2500 Euro dotierte Preis sie zunächst einmal vor dem traurigen Schicksal bewahrt, an der Universität von Seoul Nähmaschinen das Musizieren beibringen zu müssen, und ich verfluche mich noch jetzt, dass ich zu wenig spontan und vielleicht auch zu feige war, um in der Akademie der Künste einen Skandal zu riskieren und ihn auszubuhen. Ich hoffe, dass die Preisträgerin ihre zusätzliche Zeit in der Heimstätte der Musik mit Geist und Tiefe dazu nutzt, sich nicht nur von falsch verstandener Disziplin zu befreien, sondern auch von dem in ihrer Heimat traditionellen Respekt für Alter, Seniorität und sonstiges Honoratiorentum, insbesondere in Gestalt ihres Förderers, der sich nicht entblödete, auf ihren Deutschkenntnissen ("nach sieben Jahren bei hoher Konzentration 80%, sonst 40%") herumzuhacken, und das auch noch als Kompliment verstanden wissen wollte (keine Nähmaschine!). Ich bin mir sicher bei ihm reicht bei so viel Selbstgefälligkeit die Disziplin nicht einmal für 2% Koreanisch, selbst wenn er für sieben Jahre hinginge, um sein Expertenwissen über Korea auf den Prüftsand zu stellen.

Ihr seht, auch wem Loriot nicht fehlt, für den gibt es nach diesen Konzerten immer etwas zu erzählen. Und nach dem ersten Schock, gefallen einem auch einige dieser Stücke. Nicht selten ist etwas Elektronisches dabei, wenn das nichts für Berliner ist. Also los Publikum, auf zur Neuen Musik!

Samstag, 12. Januar 2008

Dating is difficult

Email aus New York, Dezember 2000

Amerika zählt wieder Stimmen, aber wir wollen uns heute mit der bemerkenswerten amerikanischen Sitte des Dating befassen. Ich habe mir lange überlegt, ob ich bei diesem etwas pikanten Thema meine Eltern und meine Tante ausnahmsweise vom Verteiler nehmen soll. Aber meine Eltern wissen genau, daß ich mich in allen Gebieten des Lebens intensiv fortbilde, wenn ich zur Verfeinerung meiner persönlichen und beruflichen Entwicklung im Ausland weile. Und wenn die heutige Ausgabe meines Bulletins im fernen Österreich ein wenig frivol erscheinen sollte, dann darf sie eben ausnahmsweise nicht als hardcopy zum Nachbarn getragen werden. Der Verteiler bleibt wie er ist!

Wenn meine Kollegen zu Hause in Hamburg jemals darüber nachdächten, was es bedeutet, wenn ich mit ihnen ein Bier trinken möchte (ich bezweifele, daß sie das tun - normalerweise fahren sie ohne sichtlichen Widerstand den Computer herunter und kommen mit), dann würden sie wohl allenfalls den Schluß ziehen, daß ich durstig bin. Hier in Amerika ist das alles nicht so einfach. Seit ein paar Wochen hat Nd ein neuen Sekretär. Ich hatte schon vermutet ,daß Ayda tatsächlich bei einer ihrer zahlreichen Demonstrationen verhaftet worden sei, und wollte mich gerade bereit machen, sie im Sing-Sing zu besuchen. Anscheinend verhält es sich aber einfach so, daß die NYU nervös geworden ist, seit die Assistenten sich mit ihrer Forderung nach einer Gewerkschaft durchgesetzt haben. Jetzt dürfen Studenten wie Ayda nur noch einen Job an der Uni haben. Da sie bereits unterrichtet, haben wir keine armenische Türkin mehr als Sekretärin. Statt dessen haben wir Brian, der auch keineswegs übel ist. Er ist gerade von seiner Peacecorps-Mission aus Bulgarien zurückgekommen und liest am liebsten historische Romane. Mich hat er neulich erfreut, indem er mir ein German Phrase Book mitgebracht hat, daß der Pentagon im Zweiten Weltkrieg verteilt hat. Interessanterweise enthielt das Buch nicht nur Sätze wie "Wir müssen die Toten und Verwundeten retten", "Helfen Sie mir, ich bin verletzt" oder "Was ist Ihr Marschbefehl?", sondern auch "Kommen Sie mit mir" und "Ihnen wird gar nichts passieren". Offenbar verstanden sich die GIs schon damals aufs Daten, womit wir auch schon wieder beim Thema wären.

Also dieser Brian ist ein netter Kerl, und ich hätte nicht übel Lust, mal einen Kaffe mit ihm trinken zu gehen, damit wir uns ein bißchen anfreunden und über Bulgarien plaudern können. Irgendwie habe ich mich aber dann doch an verschiedene Komplikationen erinnert, die bei solchen Gelegenheiten damals in Michigan aufgetreten waren. Da keiner so gut gelernt hat wie ich, daß man Kollegen besser Kollegen sein läßt, habe ich mich sicherheitshalber noch einmal bei Dan , Jeanette Rademachers amerikanischem Freund, erkundigt. Entsetzter Aufschrei: Um Gottes Willen, er wird sofort denken, daß Du ihn "daten" möchtest". Jenny war auch dieser Ansicht, meinte aber ich solle mich nicht so anstellen. Wieso kompliziert? Das kommt immer auf die Umstände an, ob man mit einem Kollegen auch mal einen Kaffee trinken gehen kann. Und unter welchen Umständen man denn dann einen Kaffee trinken gehen könnte, wollte ich wissen. Na wenn man sich gut kennt. Und jetzt kommt Ihr: Wie bitte schön soll man seine neuen Kollegen kennenlernen, wenn man noch nicht einmal gefahrlos zusammen Kaffee trinken darf?

Amerikaner machen nie irgendetwas ohne Ziel. Wenn man in eine Bar geht, dann bestimmt nicht, um sich langsam durch den Abend zu trinken. Man möchte möglichst interessante und vor allem ertragreiche Bekanntschaften machen. So habe ich bei meinen Gute-Nacht-Bieren, die ich mir gelegentlich in Hell's Kitchen gönne, und bei meinen Streifzügen mit Freundinnen schon allerhand interessante Abenteuer erlebt. Ein Klassiker war der schon leicht ergraute Enddreißiger, der sich trotz zahlreicher Damen, die er bereits im Schlepptau hatte, neben mich setzte und folgende - ich möchte fast sagen - prototypische Konversation begann:
1. Frage
-"What's your name?"
-"N"
-"Beautiful name" (sehr beliebte Reaktion- ich glaube, das würden sie sogar ohne rot zu werden bei "Waldtraut" sagen)
2. Frage
-"How old are you?"
Die Gegenfrage hat ihn sichtlich irritiert.
3. Frage
-"Are you married?"
Alarmglocken melden sich leise, antworte aber wahrheitsgemäß.
4. Frage (man weiß ja nie)
-"Are you single?"
Amerikaner verlieren nun mal nicht gerne Zeit. Das ist übrigens immer der Punkt, an dem ich - seit neuestem geistesgegenwärtig in diesen Dingen - einen jungen Anwalt erfinde, der in Hamburg sehnsüchtig auf meine Heimkehr wartet. Jeder, der mich nur ein bißchen kennt, weiß genau, daß ich viel lieber einen IT-Mann haben möchte, der überall spielend Job findet, und deswegen mit mir einige Jahre in Paris, Rom und Lissabon ein wildes Leben führen kann, bevor wir zusammen zurück nach Berlin gehen. Dort steigt er ein wenig auf Telearbeit um, damit wir unsere Kinder ordnungsgemäß betreuen können, obwohl ich einen anspruchsvollen Beruf im Finanzministerium ausübe. Aber in dieser Schrecksekunde direkt nach der Frage nach dem Boyfriend fällt mir immer nur dieser elende Anwalt ein (ich vergaß zu erwähnen, daß sie immer nach seinem Beruf fragen und ob er auch zu Besuch kommt - wahrscheinlich um herauszufinden, ob sie ihn notfalls ausstechen können). Kindheitserfahrungen sitzen eben tief...

Der Boyfriend zu Hause hilft aber nicht immer. Einmal lernte ich einen kennen, den ich ganz nett fand. Ich lud ihn deswegen ein, mich und ein paar Freunde in der Tenth Avenue Lounge zu treffen. Leider hat er statt dessen in der Tenth Street Lounge auf uns gewartet, und es gab einen ziemlichen Skandal. Um das ganze wieder geradezubiegen, wollte er mich zum Essen einladen, aber ich - Holzauge sei wachsam - habe das ganze in eine lockeres Feierabendbierchen umgewidmet. Hilft in Amerika nichts. Das Bier ist hier genauso erotisch wie der Kaffee. Als schließlich die obligatorische Frage in Form von "Any boy-friends left in Germany?" kam, habe ich mich so geärgert, daß ich mich für besonders schlau hielt, mit einem frechen Filmzitat von Christiane Paul zu antworten: "Na klar, drei!" "Wieso drei?" "Na einen für die Karriere, einen fürs Bett und einen für den Rest." Dabei wagte ich einen erfolgheischenden Blick aus den Augenwinkeln zu den Barnachbarn. Ich war naiv genug zu glauben, daß ich ihn zum Lachen bringen und ihn gleichzeitig auf die Absurdität seiner Frage aufmerksam machen würde. Plan B war, ihn in seiner amerikanischen Prüderie so zu schocken, daß er sprachlos würde. Statt dessen erkundigte er sich angelegentlich, ob diese Positionen auch in Amerika zu besetzen seien. Er würde sich besonders für die mittlere interessieren. Wer jetzt argumentiert, daß ich mir das selbst eingebrockt habe, hat sicherlich recht. Aber ihr könnt mir erzählen, was ihr wollt, bei so viel Direktheit komme ich persönlich nicht in die Gänge.

Neben all diese interessanten zwischenmenschlichen Erfahrungen, widme ich mich intensiv der Vorweihnachtszeit. Zeremonienmeisterin Jeanette hat uns alle in den Nußknacker gescheucht und dafür gesorgt, daß wir mit einer zehnköpfigen Mannschaft Weihnachtskekse gebacken haben. Die bot ich mit großem Erfolg trotz aller Bedenken nicht nur den koreanischen und italienischen Kollegen an, sondern auch Brian. Sogar der Italiener, der mich immer so angeguckt hat, als wolle er mich lieber töten, anstatt mich zurückzugrüßen (anscheinend ist er gerade von seiner Freundin verlassen worden, aber das akzeptiere ich nur bedingt als Entschuldigung), ist nach zwei Weihnachtskeksen weich geworden. Jetzt grüßt er, wenn auch mit sichtlich mit Widerwillen.

I say, people just don't realize what a powerful icebreaker a German christmas cookie can be!