Ganz am Ende unserer Reise entdeckten wir den schönsten Markt der Welt, der noch vor dem Marché d'Aligre rangiert. Wir bestaunten die Vermählung von modernen Glas- und Stahlmaterialien mit islamischen Stilelementen in der Architektur von Kuala Lumpur und wurden Zeugen des ausgehenden Wahlkampfs, dessen Ergebnis ein beeindruckendes Beispiel für einen demokratischen Übergang in einer asiatischen Autokratie sein könnte.
Am Ende sind wir zu dem Schluss gekommen, dass uns Kuala Lumpur doch noch besser gefällt als Singapur. Beiden darf man ein glückliches Händchen attestieren beim Wahrnehmen ihrer großen Chance, fast alles in der Stadt in kürzester Zeit neu zu bauen. Jeder der beiden Städte ist es gelungen, den modernen Gebäuden aus Glas und Stahl einen eigene Note zu geben: Singapur mit Feng Shui und angedeuteten Pagoden auf den Dächern ihrer Wolkenkratzer; Kuala Lumpur mit einer Hommage an islamische Formen und fein ziselierte Ornamentik.
Doch die beiden Städte unterscheidet nicht nur die Religion, die in der architektonischen Gestaltung dominiert. Singapur hat alles, was schmutzig und sündig erschien, auf Hochglanz poliert. In dem Eifer, blitzblanke Shopping-Malls zu kreiieren, haben die Stadtväter auch vor der Bugis-Street nicht Halt gemacht, dem einstigen Herzen des Nachtlebens der Stadt mit köstlicher chinesischer Straßenküche, Alkohol und Prostitution. Entstanden ist bei dieser Grundüberarbeitung ein übertrieben sauberes Zürich in den Tropen, in dem der einfache Reisende zu sehr eingeschüchtert ist, um sich unbekümmert zu amüsieren, und sehr viel Glück braucht, um eine Ahnung davon zu erhaschen, wie die Atmosphäre vor der große Aufräumaktion gewesen sein muss. Wie wir, als wir mit unseren Blasen an den Füßen um elf Uhr viel zu spät in dem zur Bonbonniere hochrenovierten Chinatown einliefen, um dort noch in einem der den Touristen empfohlenen Restaurants oder Food-Courts auf ein Abendessen hoffen zu dürfen. Am Ende hatten wir doch noch in dem einzigen noch offenen Restaurant des Viertels Glück, das einer ausgebauten Garage glich und durstige und hungrige Chinesen bewirtete, wahrscheinlich alles Arbeiter und Angestellte aus dem Gastronomiegewerbe, die sich von einem langen Tag im Dienste der Touristen erholten.
In Malaysia hingegen sind garagenartige Restaurants, Läden und Werkstätten, in denen das traditionelle asiatische Leben wirbelt, keine von den Aufräumern der Stadt vergessene Raritäten. Asiatisches Chaos und Gewimmel, traditionelle, malaysische Holzhäuser mit kleinen Gärten und heruntergekommene Plattenbauten stellen viemehr die Normalität dar zwischen den hochaufgeschossenen Architekturwundern der Moderne, die Asiens Streben nach oben und nach vorne symbolisieren. Noch sind nicht alle Essenstände von den Straßen in blitzsaubere Shoppingmalls verbannt und davon machen in Chinatown und Little India deutlich mehr hungrige Inder und spruckende Chinesen als gebügelte weiße Banker und Touristen Gebrauch. Aus Little India wurde der Straßenstrich in das Viertel zurückgedrängt, wo sich unser Hotel befand, und in einer der Nebenstraßen war das Treiben der rund um die Woks auf den Bürgersteigen gelassen spät zu Abend essenden Bevölkerung so selbstvergessen und malerisch, dass ich mich fast in einer malaysischen Version der Bugis-Street des 21. Jahrhunderts wähnte.
Der bunteste und lebendigste Ort der Stadt ist der Chow-Kit-Markt, wenn er auch für so manche Kreatur den sicheren Tod bedeutet. Unter einem niedrigen Wellblechdach werden dort mit großem Sinn für gekonnt angeordnete Farbpracht Obst, Gemüse und Kräuter verkauft, Fische aus dem Eimer gezogen und noch zappelnd mit Präzision geköpft und ausgenommen und auch die Hühner werden vor Ort vom gackernden Federvieh zu einer traurigen am Haken hängenden, nackten und bloßen Suppenzutat verarbeitet.
Möglich, dass diese Unterschiede daran begründet sind, dass Malaysia doch noch sehr viel ärmer ist als Singapur. Oder vielleicht sind Malaysias Volksfrontführer zwar kaum weniger autokratisch, aber dafür nicht ganz so große Ordnungsfanatiker wie die erfolgsorientierten und -verwöhnten Herrscher in dem kleinen Nachbarstaat. In jedem Fall schien es uns in Malaysia ein bißchen mehr Raum für das ganz normale, asiatische Leben zu geben. In Singapur hingegen schien der sich sich auf das Gemeinschaftsbad neben unserem Hotelzimmer zu beschränken - der einzige Ort, in dem wir in diesem Land je Zeugen befreiten chinesischen Spuckens und Rachenentleerens werden durften, üblicherweise von morgens um fünf bis um neun. Zwar raubte uns das ein wenig Schlaf, aber immerhin konnten wir uns sicher sein, dass die Chinesen nicht überall in der Stadt ihre intimen Bedürfnisse unterdrücken müssen.
Doch Malaysia und Singapur haben auch Gemeinsamkeiten. Zum Beispiel erfreut sich auch in Kuala Lumpur das Shoppen größter Beliebtheit. Das wurde uns schon bei unserem ersten Aufenthalt bewußt, als uns die Rezeptionistin unseres Hotels zum Fönkaufen in einen "Minimarkt" schickte, der die Größe des Karstadt in der Turmstraße bei weitem übertraf. Im Bauch des Drachens, dem Straßenzug, in dem die Chinesen besonderes Glück für ihre Geschäfte vermuten, wurde das noch deutlicher. Besonders gefiel mir die Mall "Fluß des Geldes", wegen ihres Namens im wesentlichen. Der Schatz ärgert sich immer noch, dass er nicht mit der Achterbahn gefahren ist, die sich in einer der Malls über fünf Stockwerke erstreckte. Mir zuliebe, behauptet er, hat er darauf verzichtet, weil mir vor zwei Jahren beim Zugucken schlecht wurde, als Clara beim Kirschblütenfest in Werder mit einer Karussellschaukel fuhr, die sich in einem großen Bogen überschlug und gleichzeitig innerhalb dessen in vielen kleinen. Ich ärgere mich mehr, dass wir solche leblosen, miesepetrigen und übersättigten Westler waren, uns in der glitzernden Marmorshoppingmall der Petronas Towers eine Ausstellung moderner malaysischer Kunst anzusehen und im Fluß des Geldes Bücher zu kaufen und sonst nichts. Unser Shopping-Karma war einfach nicht gut. Als ich einmal auf ein entzückendes Babydolloutfit zeigte, meinte der Schatz, so etwas würde mir nicht stehen.
Dafür bekamen wir abends eine Lektion in nordindischer, vegetarischer Küche. Natürlich hatte der Schatz nichts mit vegetarischem Essen am Hut, aber es war uns nicht gelungen, zur rechten Zeit etwas Fleischigeres zu finden. Als wenn das nicht schlimm genug wäre, machten wir auch noch beim Bestellen alles falsch. Mal stellten wir Vorspeisen zusammen, die nicht passten, mal bestellten wir Brot zu Hauptgerichten, zu denen Reis passte und umgekehrt. Bei jedem Fehler sah uns der sanft sprechende Kellner traurig an und zog sein Kinn leicht zur Seite. Der Schatz wurde sofort hektisch und änderte bei jeder leisen Kritik mit der Spitze des Kinns komplett seine Bestellung, nur um sich dabei erneut dicke Schnitzer zu leisten und sich dafür ein noch heftigeres Kinnzucken einzufangen. Ich - ganz Frau - bemühte mich indessen redlich das Englisch des Kellners zu verstehen und die Bestellung nur soweit zu korrigieren wie notwendig. Das zahlte sich aus. Als der Schatz mit seiner grünen Matschpampe kämpfte und ich mit meiner roten, unter keiner der beiden man noch erkennen konnte, ob man Fisch, Fleisch oder Käse aß, kam der Kellner mit kritischem Blick an unseren Tisch und bedeutete mir, ich sollte nicht nur den Reis mit der roten Matschpampe vermischen, sondern auch gleich noch mit der grünen und dann alles mit dem Brot aufschaufeln. "Mix, mix, mix?" fragten ich ihn ungläubig mit einer großzügigen Handbewegung, die alle Speisen auf dem Tisch umfasste. "Mix, mix, mix", bestätigte er zufrieden. Von da an waren wir Freunde. Der Schatz machte sich zu guter Letzt vollkommen unmöglich, indem er einfachen Tee bestellte, obwohl der Kellner ihm mit sanfter Stimme gewürzten Tee angeboten hatte. Natürlich verhielt ich mich weltgewandter und wählte die Gewürze. Am Ende fragte uns der Kellner: "Madam, where are you from?". Und ich durfte zum ersten Mal in diesen Breitengraden erleben, wie ein Mann dermaßen seinen Kredit verspielte, dass er an meiner Stelle ignoriert wurde.
Der Wahlkampf war ein großes und besonderes Erlebnis auf unserer Reise. Wie bereits erwähnt tobte dieser besonders in den östlichen Provinzen des Landes in Form einer wilden Fahnenschlacht zwischen der regierenden Volksfront und den dort erstarkenden Islamisten. Es gibt aber noch weitere Oppositionsparteien, eine davon religions- und ethnienübergreifend geführt von einem ehemaligen Vizepremier der Volksfront, dem es allerdings noch bis Frühjahr verboten ist, politische Ämter auszuüben. Offenbar sind das Folgen einer Anklage wegen Homosexualität, mit deren Hilfe man dereinst versucht hatte, ihn aus dem politischen Leben zu entfernen. Eine weitere Oppositionspartei hat hauptsächlich unter den erfolgreichen und geschäftsorientierten Chinesen Anhänger. Außer den Fahnen standen den Oppositionellen nicht viele Mittel für Wahlkampf offen, denn die Volksfront hat die Medien fest in der Hand und Zeitunglesen ist ein wahres Ereignis. Die ersten 30 Seiten sind ausschließlich Porträts von Volksfrontvertretern gewidmet, insbesondere Geschichten darüber, wie sie an der Seite ihrer Gattin voll väterlicher Güte in ihrem Wahlkreis erklären, dass nur die Volksfront Regierungserfahrung hat, und wie sie Mitgliedern ihrer Ethnie dringend davon abraten, die Opposition zu wählen, denn wer solle dann noch die Interessen dieser Volksgruppe vertreten. Weitere fünf Seiten sind negativen Nachrichten über Oppositionsvertreter und ihre gewalttätigen Anhänger gewidmet. Diesen Hindernissen zum Trotz nahm die Opposition alle Möglichkeiten wahr, sich bemerkbar zu machen, in den letzten Nächten vor der Wahl zum Beispiel mit Auto- und Motorradcorsi, bei denen sie wild hupend durch Kuala Lumpur fuhren und die Fahnen aller drei Oppositionsparteien schwenkten, so dass ich schon dachte, in Malaysia kämen die Frischvermählten erst nachts um drei aus der Moschee. Die Parteien hatten bei dieser Wahl ihre Kräfte gebündelt und in jedem Wahlkreis nur die aussichtsreichste unter ihnen antreten lassen. Man kann sich fragen, was Islamisten aus ländlichen Gebieten mit geschäftsorientierten, urbanen Chinesen zu tun haben, oder mit einer Partei, die alle Ethnien des Landes ansprechen will. Offenbar ist es die gemeinsame Abscheu vor dem autokratischen Führungsstil der Regierungsparteien und ihrer Politik, die bumiputras, Söhne der Erde - also Malays und Ureinwohner - in der Wirtschaftspolitik besonders zu fördern, um Rassenressentiments vorzubeugen. Wie es scheint, gefällt diese Politik auch den ärmeren Malays aus ländlichen Gebieten nicht, denn sie kommt in erster Linie den bumiputras zugute, die gleichzeitig mit dem langjährigen Premierminister Mahathir und seinen Freunden gut befreundet sind. Was auch immer sie zusammengeschweisst hat, gemeinsam erzielten die drei Oppositionsparteien einen beachtlichen Erfolg, wie wir nach unserer Heimkehr erfuhren. Sie gewannen fünf Bundesstaaten und konnten die Volksfront so weit schwächen, dass sie nun weit von der gewohnten Zweidrittel-Mehrheit entfernt ist. Wir können uns jetzt so fühlen, als hätten wir nicht nur einen eitlen Trauminsel- und Besichtigungsurlaub gemacht, sondern als wären wir gleichzeitig Zeugen eines eindrucksvollen und friedlichen Demokratisierungsprozesses geworden.
Dass die Rassenbeziehungen in Malaysia nicht immer ganz harmonisch verlaufen, erklärte uns eine Inderin nach unserem Besuch ihres Sikh-Tempels, bei dem einer ihrer Glaubensbrüder uns mit großer Geduld unsere ignoranten Fragen zu seiner Religion beantwortet hatte. Wir hatten schon unsere Kopfbedeckung abgelegt und wollte gerade den Tempel verlassen, als uns die ältere Dame ansprach, um uns nach unserer Heimat zu befragen und allerhand aus ihrem Leben zu erzählen. Unter anderem berichtete sie, dass sie Witwe sei und daher nunmehr frei, was aus meiner Sicht ein interessantes Bild auf das Geschlechterverhältnis in diesem Land warf. Ihre Freiheit wollte sie am liebsten nutzen, um das Land zu verlassen. Immerhin nicht, weil sie fürchtete, noch einmal so jemandem zu begegnen wie ihrem Mann. Die Muslime würden immer intoleranter, so klagte sie, und verlangten inzwischen von allen, zum einizigen wahren Glauben überzutreten. Ihre eigene Religion hingegen gebiete es, anderer Menschen Religion zu akzeptieren, und das alles ist nicht mehr so recht miteinander vereinbar. Also will sie in den Punjab ziehen und das, nachdem sie ein Leben lang auf der malaysischen Halbinsel verbracht hat. Ich bestätigte ihr gerne, dass trotz zahlreicher löblicher Ausnahmen der Islam derzeit vieleorts in keiner guten Phase ist, zumal ich während des Urlaubs trotz eines vollkommenen Verzichts auf Sex-Appeal und Mitführens eines Notschleiers fast nie Zugang zu einer Moschee gefunden hatte. Ich weiss sicher, dass das für meine Vettern aus der Türkei und selbst für muslimische Nordafrikaner ein Ding aus dem Tollhaus wäre, also will ich gerne glauben, dass es im malaysischen Islam derzeit eine gewisser Tendenz zur Intoleranz gibt. Ich verschwesterte mich mit der Sikh-Dame zum Abschied und wir wünschte ihr und ihrem Land Entspannung in der Islam-Frage, zumal ich Zweifel hatte, ob sie sich in einem ihr völlig fremden Land wie dem Punjab ganz alleine wohl fühlen würde, auch wenn dort ihre Religion besser repräsentiert ist als in Malaysia.
Als versöhnlichen Abschied durften wir ganz am Ende der Reise noch Zeugen sein, wie in der Coliseum-Bar, wo schon Somerset Maugham trank, Chinesen, Sihks, Hindus und Malays gemeinsam den Alkohol mächtig fließen und ihre Witze immer lauter und derber werden ließen. Die Hälfte von ihnen durfte wahrscheinlich aus religiösen Gründen gar nicht trinken. Was für ein Glück, dass sie sich davon nicht beeindrucken ließen. Denn was der Alkohol nicht alles verbindet, was sonst nichts zu verbinden scheint, dachten wir wohlgefällig, während wie herzhaft in unser Sizzling-Steak bissen - eine Köstlichkeit, die sich niemand entgehen lassen sollte, der zufällig in der Coliseum-Bar in Kuala Lumpur vorbeikommt.
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