Sonntag, 30. September 2007

Bollywood

Bei einem modernen Indienurlaub darf ein Kinobesuch auf keinen Fall fehlen. In Ms Reiseführer steht, wie viele Filme jährlich in Bombay produziert werden - das stellt alles in den Schatten, was sich in unserer müden westlichen Traumfabrik abspielt. Dementsprechend hatten wir die höchsten Erwartungen an unseren Besuch im Raj Mandir, dem größten Kinopalast Jaipurs. Wir wurden nicht enttäuscht.

Der Erfolg des Kinobesuchs rechtfertigte auch die halsbrecherische Rikshafahrt mit zwei Franzosen und ihren Rucksäcken, die uns galant in ihr Gefährt eingeladen hatten, damit wir rechtzeitig ins Kino kommen konnten. Nur mussten M. und ich unsmit dem Fahrer auf dessen Einmannsitz drücken und ich war auf die Macht von Stoßgebete angewiesen, als einziges Mittel, um meine aus dem Fahrzeug stakenden Knie zu behalten. Abstand ist nicht der Inder Stärke. Nicht umsonst bitten sie auf der Rückseite ihrer Fahrzeuge in schreienden Farben "please horn" und "keep distance".

Schon der Kinopalast ist aus außen- und innenarchitektonischer Sicht einen Besuch wert und kann es in gewissener Hinsicht mit seinen älteren und edleren Vettern, den Maharadja-Palästen, durchaus aufnehmen. In meinem Führer steht, er sei eine Mischung aus einem dieser Paläste und Walt Disney. Ich möchte anfügen, dass auch noch ein wenig Sahnetorte dabei ist. In jedem Fall ist er riesig und die Inder hübschen sich für einem Besuch weit mehr auf als die Wiener, die diesbezüglich allerdings auch nicht mehr sind, was sie früher mal waren, für einen Besuch im Burgtheaters. Die indischen Männer holen ihre besten Hemden hervor und die Frauen ihre schönsten und farbenprächtigsten Saris.

In Schlangen drängeln die Inder gestählt vom Straßenverkehr, grundsätzlich derart rücksichtslos, dass M. und ich es in den Tempeln, Palästen und Museen nur dann bis zur Kasse schaffen, wenn wir unsere gute Kinderstube komplett vergessen. Deswegen waren wir im Raj Mandir ganz froh, dass es eine Extraschlange für Ladies gab. Die setzen in diesen Breitengraden ihre Ellenbogen doch etwas sparsamer ein als die Gents.

Die Ladies-Toiletten wiederum -waren ein Schauspiel für sich. An den Türen prangt unter dem Konterfei einer edlen, verschleierten Schönheit in geschwungenen Lettern die verwirrende, aber nur teilweise irreführende Aufschrift "cosmetics". Das ist insofern korrekt, als hinter dieser Tür auf Plastikhockern kichernde Omis in bunten Saris vor riesigen Spiegeln sitzen und sich nachschminken. Den weniger mondänen Teil dieser Einrichtung nutzen nur einige versprengte Europäerinnen.

Ein ernstzunehmender indischer Film ist ein barock verschlungener Epos von mindestens dreistündiger Länge und enthält zahlreiche Gruppentanz-und Gesangsszenen. In der Pause setzt man sich mit seinen Kumpels, seinem Liebsten oder seinem Opa in ein Separée auf das Plüschsofa und trinkt Limonade. Wer keinen Sitter dafür gefunden hat, bringt sein Baby einfach mit. Kinder ab dem sechsten Lebensjahr sind ohnehin fest in den Kinobesuch eingeplant, auch wenn Liebesszenen darin vorkommen, in denen der nackte Rücken des Liebhabers zu sehen ist.

Ein bisschen gehandicapt waren M. und ich auf grund unserer mangelnden Hindi-Kenntnisse. Zum Glück hatte unser Sitznachbar Mitleid mit uns und erklärte vorab die Grundzüge der Handlung, die zum Glück nicht so komplex war, als das man ihr nicht auch ohne dies hätte folgen können. Die Geschichte war erstaunlich modern und handelte von zwei Exil-Indern in Sidney, die sich entgegen allen gesellschaftlichen Zwängen ihrer Heimat zu einer wilden Ehe entschliessen. Zum Drama kommt es erst, als sie schwanger wird und doch heiraten, er aber abtreiben möchte, weil sonst nicht mehr jeder Tag wie eine frische Liebe ist und er sich im übrigen vor Verantwortung scheut. Weil die Frau aber stark, hübsch, intelligent, lustig und patent ist, bekommt sie ihr Kind doch, dann eben ohne den unreifen Schwerenöter. Der wiederum knickt kurz vor der Geburt ein und kauft doch noch einen Diamantring,den er nach einigen Irrungen und Wirrungen kurz vor der finalen Presswehe auch noch los werden kann.

M., die zunächst ernsthafte Zweifel daran geäussert hatte, dass wir es bis zum Ende aushalten würden, vergoss am Ende sogar die eine oder andere Träne.

Ansonsten haben wir in Jaipur imposante Maharadja-Palaeste gesehen,vereinzelt auch Kamele und Elefanten, die Herrscher selbst hielten sich aber zu unserem Verdruss vor uns versteckt. Der einzig verfügbare Prinz war Abbu, unser Rikshafahrer, der aber gleichzeitig unser Bruder ist, wie er uns sofort versicherte. Abbu kennt sich gut in heimischen Marmorgravuren aus und hat eine imposante Sammlung von Poesiealben mit Liebesschwüren und Lobpreisungen verfasst von früheren Kundinnen (auch alles seine Schwestern). Da er ein wenig aggressiv fährt und insbesondere Schwächeren im Strassenverkehr wenig Luft zum Atmen lässt, erlagen M. und ich seinen Reizen nicht gar so sehr wie unsere Vorgängerinnen. Das führte offenbar zu einigen Spannungen, die einen vorläufigen Höhepunkt erreichten als M. und ich anfingen, Variationen den von Abbu vorgegebenen Programmpunkten zu erfinden. Am Ende durften wir aber doch in das Poesiealbum schreiben, obwohl er fürchtete, dass es sich nur um Beschwerden handeln koenne. Er gab uns noch einige gut Tipps mit auf dem Weg dahingehend, dass alle Inder "F.." seien (sic!) und wir uns vor ihnen hüten sollen. Ausserdem sollen wir in Pushkar, wo wir als nächstes hinfahren, nicht mit betrunkenen Israelis schlafen, denn dort gibt es bereits 88 Fälle von HIV. Abbu holte uns extra eine aktuelle Tageszeitung auf Hindu, in der die Zahl 88 vorkam, um seinen Warnungen Nachdruck zu verleihen. Das zwingt M. und mich natürlich zu einer radikalen Änderung unserer Pläne, aber bekanntlich sind wir flexibel.

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