Montag, 24. September 2007

L'amour und la sécu

Eigentlich habe ich mit Gesundheitssystemen gar nichts zu schaffen. Nicht einmal mit Ärzten. Die meiste Zeit bin ich kerngesund. Aber in letzter Zeit verfolgen sie mich, die Gesundheitssysteme. Auf finsteren Wegen, die niemand nachvollziegen kann, am allerwenigsten ich selbst, bin ich dazu gekommen, etwas über die jüngste deutsche Gesundheitsreform schreiben zu müssen. Und dann ist da dieser Film, den sie im Kino zeigen, der alle Nachteile nicht-amerikanischer Gesundheitssysteme schamlos verschweigt und nur deren glücklichste, wohlhabendste Nutznießer zeigt, die als drittgrößten Haushaltsausgabenposten nach dem Hypothekenkredit und dem Auto, "le poisson" und "les légumes" angeben. Das soll den Amerikanern vor Augen führen, dass Sozialismus und Kosum nicht unvereinbar sind.

Um herauszufinden, ob der Film die Nachteile des amerikanischen Gesundheitssystem ebenso schamlos übertreibt wie die Vorteile aller anderen, fragte ich Laura. Sie ist Kunsthandwerkerin. Nein, bestätigte sie mir, das bringt nicht genug Geld ein, um in Amerika krankenversichert zu sein. Nach der Kunsthochschule in Massachussets, einem sozialistischen Bundesstaat nicht weit von Europa, der seine Studenten billig versichert, hat sie nie eine Versicherung gehabt. Wie sie das denn gemacht hätte? Na, sie sei eben nie zum Arzt gegangen. Und die Vorsorgeuntersuchungen beim Zahnarzt, ohne die man die dritten Zähne nicht mehr erstattet bekommt, lag es mir auf der Zunge zu fragen. Zum Glück sprach ich es nicht aus. Aber Laura kann Gedanken lesen und fügte hinzu, sie hätte Glück gehabt und nie Karies. Wahrscheinlich gibt es in Amerika so ein umgekehrtes moralisches Risiko, bei dem sich die Leute alle besser die Zähne putzen, weil sie nicht versichert sind.

Dann erzählte sie mir die haarsträubende Geschichte von ihrem Unfall.

Gleich nachdem sie in Paris angekommen war, wurde sie von einem Lastwagen angefahren. Hilfsbereite Franzosen kamen von allen Seiten herbeigeeilt, nahmen sich ihrer an, sammelten die Einkäufe ein und riefen den Notfallwagen. Nur dass Laura beim Anblick des Wagens eine Panikattacke bekam, sich mit Händen und Füßen wehrte, zappelte, so gut es ihre verletzten Beine zuließen und brüllte, dass sie da nicht hinein wolle. Nur mit den vereinten Kräften der französischen Passanten gelang es, sie ins Krankenhaus zu bringen. Denn Laura weiss, dass eine Fahrt ins Krankenhaus 1000 Dollar kostet.

Im Krankenhaus erklärte Laura der Empfangsdame, die ihre Daten aufnahm, verschüchtert und kleinlaut in gebrochenem Französisch, sie habe keine Versicherung. Die Empfangsdame antwortete mit dem, was eine Freundin von mir wenig vornehm und auch etwas despektierlich als Mundpups bezeichnet.

Als Elodi schließlich kam, um Laura beizustehen, war sie in Tränen aufgelöst. "Die haben mich in einen Krankenwagen gezwungen", heulte sie, " und ich habe doch keine Versicheruhuhuhuung."

Es dauerte eine Weile, bis sie verstanden hatte dass sie den Ausflug im Krankenwagen nicht würde zahlen müssen. Aber nachdem sie es verstanden hatte, ist sie nie wieder zurück nach Amerika gegangen. Vielleicht haben auch andere Dinge eine Rolle gespielt. L'amour zum Beispiel, le vin und le poisson. Aber wer weiss, vielleicht hat auch la sécu seinen Anteil daran.

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