Sonntag, 23. November 2008

Letzte Tage in New York

Email aus New York, März 2001

Meine Tage in New York sind gezählt, und ich arbeite wie ein Eichhörnchen in der Trommel, um mein Wirken in dieser Stadt fachlich wie persönlich der Vollendung nahezubringen.

Letzten Sonnabend erwiesen wir meinen Polen in Williamsburg kulinarisch Reverenz, indem wir bei ihnen Pierogi essen gingen. Jeanette hatte ein paar fesche Geigenbauerinnen dabei, einen Münchner Geigenhändler und ihren armenisch-russischen Teufelsgeiger, und ich stellte aus meinem unerschöplichen Fundus ein paar von den Amerikanern bereit, die ich im Laufe der Zeit in Hell's Kitchens Bars aufgelesen habe. Jeanette war begeistert von dem echt polnischen Mangel an Service-Kultur in dem Restaurant. Der Chef sah uns an, als wollte er uns umbringen, als wir seine Gaststätte betraten - wir waren die einzigen, die ihm das zumuten wollten. Die Kellnerin war selbstverständlich eine atemberaubende 1,80 m große osteuropäische Schönheit mit hohen Wangenknochen und Gesundheitsschuhen, die den vernichtenden kommunistischen Dienstleitungsblick bis zur Perfektion beherrschte. Endlich mal kein: "Hiiiiiiii, I am Angela, what can I do for you?" Das Wesentliche jedenfalls stimmte. Das sahen wir gleich, als die Omi kurz aus der Küche blickte. Es hat einen Grund, daß ihre Familie sie dort versteckt, denn sie kann einfach nicht verbergen, mit wieviel Liebe sie kocht. Das darf der Kunde natürlich auf keinen Fall mitbekommen.

Bei unserer anschließenden Williamsburgtour hat sich herausgestellt, dass Jeanette und ich das allerbeste Tanzpaar von allen waren. Jeanette ist ganz klein und schmächtig. Nur noch mit Philipp kann ich solche drops und Würfe tanzen, wie Jeanette und ich sie im Black Betty hinlegten, aber mit Philipp liege ich öfter auf dem Boden. Na ja, ich bin eben einfach nicht klein und schmächtig...

Der Wir-lieben-unsere-Kinder-über-alles-Wettbewerb zwischen meiner Mutter und Lucas' Vater erreichte am Rosenmontag einen neuen Höhepunkt. Vorher hatte sich meine Mutter mehrfach dadurch positiv hervorgetan, daß sie in allen möglichen - vornehmlich romanischen - Sprachen "Ich liebe Dich" und "besame mucho" auf das Band gesäuselt hatte. Lucas verstieg sich sogar zu der Behauptung, sie sei latinischer als Jennifer Lopez. Am Montagnachmittag rief er mich dann völlig verstört in der Uni an, und meinte, ich solle lieber jetzt schon nachhause fahren und dafür sorgen, daß meine Eltern beide in Gewahrsam genommen werden, aber getrennt. Sie seien "re-locos" und würden sich zudem noch gegenseitig hochschaukeln.

Wie sich herausstellte, hatte meine Mutter zwei Nachrichten hinterlassen - natürlich während Lucas schlief. Nach anfänglichem Säuseln, fing sie an Karnevalslieder zu singen, "mit alle Mann am Ballerman" und dergleichen, das ganze untermalt von meinem Vater, der im Hintergrund "te quiero mucho" rief. In der zweiten Nachricht sangen die beiden ein Duett. Nach meinem Dafürhalten haben meine Eltern jetzt einen uneinholbaren Vorsprung aufgebaut, aber Lucas will das auf keinen Fall auf sich sitzen lassen. Das sei wie die Weltmeisterschaft von 1990, sagt er, und außerdem glaubt er insgeheim, daß Mama gegen das Anti-Doping-Gesetz verstoßen hat. Na ja, es war Rosenmontag, da mag wohl etwas dran sein.

Über Tim Nellon kann ich nichts Schlechtes sagen, weil er auf dem Verteiler ist. Aber wie sich am Donnerstag herausgestellt hat, tanzt er argentischen Tango wie ein junger Gott, also könnte ich mich auch dann nicht beklagen, wenn er nicht auf dem Verteiler wäre. Wir waren in dem urigsten Tangoschuppen der Stadt, "La Nacional", und ich konnte mich davon überzeugen, daß die Tangoszene in Hamburg mindestens die Dimensionen derer in New York besitzt. Ich kannte jeden einzelnen Tanguero noch von meinen Tango-Safaris im letzten Herbst. Ich kenne mich jetzt ja schwer aus, deswegen weiß ich, daß der Dueno ein getürkter Argentinier ist, obwohl er das nicht zugibt und Reisen nach Buenos Aires organisiert. Aber er singt nicht, wenn er spricht, und er sagt nicht "vos" anstatt "tú". Haha, ich bin mit allen Wassern gewaschen, mich täuscht man nicht. Dafür machte er sich bei mir beliebt, als er mir sagte, daß Deutschland das führende Tangoland außerhalb von Argentinien ist.

Gestern abend war ich mit Kerry im Metropolitan Museum of Art. Kerry ist einer von fünf Söhnen irischer Einwanderer aus Queens. Er steht mit beiden Beinen fest auf dem Boden und anders als die Künstler in Williamburg bekleckert er sie auch nicht extra mit Farbe. Dennoch studiert er Malerei. Wir hatten am vorhergehenden Sonnabend einige haarsträubende Bildungslücken in meiner kunsthistorischen Ausbildung entdeckt (kennt ihr alle Caravaggio?), die er sich anbot zu stopfen. Jetzt weiß ich alles über chiaro-oscuro - und er weiß endlich, wie man das ausspricht - und über das Scharmützel zwischen der venezianischen und der fiorentinischen Schule. Bei Renaissance und Barock verstanden wir uns noch ganz gut, aber in der modernen Kunstabteilung bekam er das eine oder andere Mal Herzkrämpfe, wenn ich an besonders beachtenswerten Meisterwerken achtlos vorbeiging und statt dessen stehen blieb, wenn mir eigentlich sämtliche Haare hätten zu Berge stehen sollen.

Danach wollte Kerry eigentlich schnell schlafen gehen, aber wir schleppten ihn mit Jeanette und Chavi in die Lenox Lounge nach Harlem zum Jazz. Hat der es gut, daß endlich die Deutschen gekommen sind, um ihm New York zu zeigen. Er war noch nie in Harlem.

Harlem wird in regelmäßigen Abständen in der deutschen Presse ein Renaissance prophezeit. Die New York Times und Yvonne's Freundin Jill, die in der Lenox Avenue wohnt, sagen, das habe schon längst stattgefunden. Bill Clinton ist offensichtlich mit ihnen einer Meinung. Als ich Anfang der neunziger Jahre in New York war, hätte ich mich mit meiner Barbara niemals dorthin getraut. Aber jetzt wächst, blüht und gedeiht alles, ganze Straßenzüge von verlassenen Townhäusern werden renoviert und die Immobilienpreise sind inzwischen fast auf Downtown-Niveau.

Am schönsten finde ich das Nachtleben. Die Lenox Lounge ist vorne eine moderne Bar mit der Vorhut der schwarzamerikanischen Nachtschwärmer am Tresen, und hinten im Jazz-Keller ein Stück Cotton Club im Zebra-Streifen-Look.

Die Sängerin verfügte über einen imposanten Klangkörper und sang genauso, wie sich das die ungeübte Laiin von einer schwarzen Sängerin erhofft. Außerdem war sie witzig und charmant und besuchte in der Pause jeden einzelnen ihrer Gäste am Tisch, um mit uns zum Beispiel über ihre zahllosen Freunde in Berlin zu plaudern. Der Bassist war weiß und sah Chatschik zufolge aus wie Lenin. Soweit ich das beurteilen kann spielte jener auf jeden Fall mindestens so gut Bass, wie dieser die Massen mobilisieren konnte.

Es wird Zeit, daß ich Williamsburg verlasse. Nicht nur, daß ich von einigen Polen am Sonnabendmorgen schon mit Handschlag auf der Bedford Avenue begrüßt werde, ich werde auch abgefangen und in Bars gelockt, wenn ich abends mit dem festen Vorsatz nachhause komme, schlafen zu gehen. Heute lernte ich Hernan, einen 1,90 großen Puerto Ricaner in der U-Bahn kennen, mit dem ich mir über die hervorragende Stimmqualität des mexikanischen Straßensängers sofort einig war. Nächsten Sonnabend will Hernan mich um 10:15 wieder an der Haltestelle treffen.

Wenn Nina und Philipp nicht in Eimsbüttel wären, müßte ich mir jetzt ernsthaft überlegen, nach Hamburg-Wilhelmsburg zu ziehen...

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