Sonntag, 16. Dezember 2007

Pizza in New York

Email aus New York, November 2000

Am Sonnabend hatte ich meinen ersten großen Kulturschock, und das ausgerechnet mit einem fiorentinischen Pizzabaecker aus meiner Straße. Curzio, der jeden abend dort seine Pizza holt, hat mir schon alles von ihm erzählt. 23 Jahre alt, hat etwas überstürzt eine amerikanische Studentin, 21, geheiratet, und sitzt nun hier in einem Take-Away-Pizza-Laden mit zwei Plastiktischen, will nicht so recht Englisch lernen und fühlt sich kein bißchen wohl. Wenn er von seinem Schicksal erzählt, will sagen, wenn Curzio das imitiert, klingt das ungefähr so: "Jetzt steeeelll Dir das doch nur mal vor, ich hatte in Florenz eine Bar auf der Piazza dell' Indipendenza und jetzt sitze ich hier in diesem Loch (verzweifelte Handbewegung in alle Richtungen). Hier sind iiiiiimmer alle in Eile. Zu Hause habe ich von eins bis drei Mittagspause gemacht und hatte Angestellte - hier muss ich AAaalles alleine machen. Wir leeeeeben einfach besser!"

Also bin ich Sonnabend in diesen Laden gegangen, allerdings fest entschlossen die Pizza dort an einem der Plastiktische zu essen. Ich habe auch etwas gegen die ganze Hektik hier, und habe deswegen der amerikanischen Unsitte statt Mittagessen - oder in diesem Fall Abendessen - "Sandwiches zu grabschen" den Krieg erklärt. Im Ernst - Hier gehen mittags alle "to grab a sandwich", das sie dann vor dem Computer verschlingen.

Der Pizzabäcker und seine amerikanische Braut warfen mir allerdings eigenartige Blicke zu, als ich eine kleine Pizza "for here" bestellte. Hab' mich extra noch einmal erkundigt, ob man vielleicht nicht "hier" essen dürfe. "Doch, doch, dauert nur ein Viertelstündchen!" In der Zwischenzeit sind wir nett ins Gespräch gekommen und der Pizzabäcker hat mir noch einmal persönlich auseinandergesetzt, daß das hier alles nichts ist. Als ich die Pizza schließlich zu Gesicht bekam, konnte ich mir die schrägen Blicke dann doch erklären: Sie hatte ungefähr einen Meter Durchmesser. Für alle, die es noch nicht wissen: Eine Pizza in den USA kann man bestenfalls zu fünft essen. Einzelpersonen bestellen Pizzastückchen. Wahrscheinlich legen die Amerikaner damit ihre Diätprogramme aufs Kreuz. Pizza einfach zehnmal so groß backen, und sich dann sagen können: "Ich hab' ja nur ein Stückchen gegessen". Ganz alter Trick, wer würde so etwas nicht von seiner Siebziger-Jahre-Mama kennen?

Mein Entsetzensschrei, jedenfalls, lockte sofort die argentinische Küchenhilfe an den Tresen, die mir ihre uneingeschränkte Solidarität bekundete und ausschweifend von IHRER ersten Pizza in Amerika berichtete. Wir haben uns schließlich nach langem Verhandlungen nach der Art türkischer Bazaare auf zwei Stückchen einigen können und konnten so unser gutes nachbarschaftliches Verhältnis retten.

Während ich meine hart erkämpfte Pizza an einem der beiden Plastiktische auf einem Plastikteller und ohne Besteck verzehrte, kam ein weiterer unserer Nachbarn mit einem ausgesprochen kleinen Schoßhündchen herein, um das aber sofort ein Riesenpomp gemacht wurde. Zwar fehlte die rosa Schleife, dafür bekam der Hund Pizza auf einem Plastikbecher zu essen. Irgendwie hatte ich danach das Gefühl, daß meine Mahlzeit dadurch noch mehr entweiht wurde. Der Pizzabäcker erklärte mir später hinter vorgehaltener Hand, daß Hunde in den USA wichtiger sind als Babys, und wenn man den Hund gut behandelt, kommt der Besitzer garantiert wieder.

Die Konversation zwischen Hundebesitzer und Pizzabäcker war in jedem Fall sehenswert.
Pizzabäcker (breitet die Arme aus, als wenn er einen riesigen Blumenstrauß überreichen würde): "Warum waren Sie so lange nicht da, wir haben Sie vermißt!"
Hundebesitzer (etwas nüchterner, jedoch versucht, italienisch zu sprechen): "Mucho trabajo!"
Pizzabäcker (empört): "Moooolto lavooooro!"

Dieses Schauspiel wiederholte sich danach entsprechend mit den verschiedensten spanischen und italienischen Wörtern. Die Empörung des Pizzabäckers war meiner Meinung nach nicht ganz gerechtfertigt, denn er spricht auch einfach immer italienisch, wenn er vorgibt englisch zu reden. Der Hundebesitzer erklärte danach ausschweifend - auf englisch- das Wesen seiner niederdrückenden Arbeitslast. Michael Douglas habe heute ganz geheim geheiratet, und er habe die Blumen bereitstellen müssen.

Etwa an diesem Punkt betrat ein dritter Nachbar die Szene, der wiederum fließend italienisch sprach, denn sein Freund ist aus Sorrent. Leider hatte der gerade Probleme mit seiner Gnocchi-Sauce, weswegen eilig der Pizzabäcker konsultiert werden mußte. Dem gelang es schließlich, das köstliche Mahl noch durch den Verkauf etlicher Saucen und Zutaten zu retten. Der Hundebesitzer und der Freund des sorrentinischen Kochs begrüßten sich überschwenglich, und beantworteten die Frage, ob sie sich kennen würden, mit einem überzeugten :" Oh yes, we're neighbors." Zwar mussten sich die beiden uralten Freunde und Nachbarn doch noch einmal kurz namentlich vorstellen ("what was your name again?"), aber dann war wieder alles cool und easy: "Bye, have a good one, Chris!"

Als ich meine Pizza fertig gegessen hatte, forderte der Hundebesitzer seinen Liebling gerade auf, Herrchens Mahlzeit in einer Tüte im Maul nach Hause zu tragen. Als der Hund sich dazu nach einigem Widerstand schließlich breitschlagen ließ, erbebte die kleine Pizzabude vor tosendem Applaus. Dem Hund gehört die ungeteilte Bewunderung unserer gesamten Nachbarschaft.
Und kann mir jetzt mal einer erklären, warum ich am Wochenende nach SoHo soll?

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