Dienstag, 2. März 2010

Der sauberste Sportplatz der Welt

Hinter unserer Siedlung liegt der sauberste Sportplatz der Stadt. Jeden Morgen, wenn ich das Gässchen zwischen den windschiefen Häuschen mit den winzigen Vorgärten hinunter laufe, ist er da: Der Mann von der Pariser Stadtreinigung. Es scheint, als bediente er jeden Tag ein anderes rätselhaftes Gerät, das mal einer Walze, mal einem kleinen Staubsauger gleicht, und offenbar der Pflege des Sportplatzes dienen soll.

Er hat einen untrüglichen Sinn dafür, wann ich vorbei komme. Ganz gleich, an welchem entlegenen Ende des Sportplatzes er unterwegs ist und wie sehr er ihn seine Geräte beschäftigen, hört er mich, dann dreht er sich um und streckt seinen Arm in die Höhe, als ob er seinen hochgewachsenen Körper noch besser zur Geltung bringen wollte. Dann schallt sein Ruf über den ganzen Platz und wie mir scheint auch die Wände der angrenzenden Hochhäuser hinauf. Denn windschiefe Häuschen gibt es bei uns nur etwa fünf an der Zahl. Der Rest ist zwanzigstöckig und in dem schmucklosen beige gehalten, das die hiesigen Stadtväter dem sozialen Wohnungsbau zugedacht haben. Hier sehen greise Flüchtlinge aus dem Kosovo in garagenartigen Behausungen bei offener Haustür fern und die Söhne der Einwanderer aus Nord- und Westafrika lungern auf der Straße herum, um sich die Zeit mit Imponiergehabe aller Art zu vertreiben.

„Hello“, ruft der Mann von der Stadtreinigung und reckt den Arm jedes Mal ein wenig höher, wenn er mich sieht. Anscheinend sieht man auch aus 100 Meter Entfernung, dass ich Ausländerin bin. „Bonjour“, rufe ich dann zurück, um wenigstens einen Punkt daraus zu machen, dass ich eine gut integriert bin.

Im Verlauf der Wochen, kamen wir uns immer näher. Mal lobte der Stadtreinigungsmann meinen Rock, mal fragte er überflüssigerweise, ob ich zur Arbeit ginge. Beim nächsten Mal wollte er wissen, womit ich mein Geld verdiene.

„ Aha, Finanzen“, fasste er meine umständlichen Erklärungen trocken zusammen. Nein, eher Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, versuchte ich, um mich attraktiver zu machen. Auch das stimmt zwar nur näherungsweise, aber in unserem Viertel mit seiner tiefen Kluft zwischen Arm und Reich wollte ich nicht als skrupellose Bankerin da stehen, die kene Scheu hat mit ihrer grenzenlosen Gier einfachen, aber ehrlichen Menschen jede Existenzgrundlage restlos zu zerstören, obwohl die auch schon vorher nicht wussten, wie sie es bis zum Ende des Monates schaffen sollten. Unsere Siedlung ist von den umliegenden Gebäuden hermetisch abgeriegelt und mit verschiedenen Codes und Gegensprechanlagen gegen alle kriminellen Elemente aus dem Viertel abgesichert wie in einem Roman von Nadine Gordimer. Aber manchmal muss ich eben doch auf die Straße und da will ich nicht als attraktive Beute für Entführer auftreten. Dafür muss man wissen, dass mehr als 50% der Franzosen Managerentführungen im Kampf gegen die Globalisierung befürworten.

Der Mann von der Stadtreinigung war von meinen Erklärungen wenig beeindruckt. Er schien weder Finanzen noch die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit für produktive Tätigkeiten zu halten und bot mir statt dessen die Gelegenheit, ein Praktikum bei ihm zu beginnen. Meinen Hinweis, dass das Reinigungsgewerbe nicht im strengen Sinne meiner Spezialisierung entspräche, ließ er nicht gelten. „ ça s'apprend“, ermunterte er mich. Das kann man alles lernen. Zqhrscheinlich damit ich ihm das auch glaube, teilt er mir seit neuestem kleinere, leichtere Aufgaben zu. Neulich drückte er mir eine mit Laub gefüllte Mülltonne in die Hand. Die könne ich doch auf dem Weg nach unten mitnehmen und an den Straßenrand stellen, meinte er. Als ich dann einen rasanten Schlingerkurs einschlug, schien er sein Personalmanagement plötzlich doch zu bereuen, fuchtelte wild mit den Armen und brüllte „attention, attention“ bis er auch den letzten Rentner in den windschiefen Häusern aus dem Schlaf geschreckt hatte.

Neulich kam er mir abends auf dem Gässchen in einen eleganten blauen Mantel gehüllt und einer Art Panamahut auf dem Kopf entgegen und erzählte mir von einer mysteriösen Sportart, die er gerade auf dem Platz ausgeübt hatte. Wenigstens einer, der von seinen Reinigungsarbeiten profitiert.

Für die Männer aus dem sozialen Wohnungsbau gilt das jedenfalls nicht. Als sie letztes Jahr an einem schönen Sonnabendnachmittag im Sommer ein kleines Turnier austrugen und dabei gelegentlich nach einem Mannschaftskameraden riefen, der einen Pass erhalten sollte, oder ein wenig jubelten, kam die Rache der Anlieger schnell und sie war fürchterlich. Noch am gleichen Wochende sammelte eine Nachbarin mit gräulicher Gesichtsfarbe und verkniffenen Lippen auf der Straße Unterschriften für einen Gemeinschaftsbrief an den Bürgermeister, der dem ungezügelten Treiben ein Ende setzen sollte. Es half nicht, dass ich ihr meine Unterschrift verweigerte. Seither habe ich keinen Fußballlärm mehr gehört.

Offenbar macht ein Häuschen mit Vorgarten, so selten es in dieser Stadt auch ist, noch lange nicht glücklich. Nicht einmal zufrieden. Aber das ist für meine Nachbarn, die gerne einmal im Monat ihren Sozialwohnungen entflohen wäre, um sich auf dem saubersten Sportplatz der Stadt auszutoben, sicher nur ein schwacher Trost.