Mittwoch, 6. August 2008

Williamsburg und Heimweh

Email aus New York, Januar 2001


Heute schreibe ich Euch als stolze Besitzerin einer neuen Wohnung, eines neuen Mitbewohners und eines neuen Haarschnitts. Wie Ihr Euch denken könnt, ist in der letzte Woche mal wieder eine Menge passiert...

Mein Freund Frank, der Friseur aus Hell's Kitchen, mußte für seine Ausbildung ein Modell frisieren. Dafür hatte er mich auserkoren. Da Frank, Arnold und ihre Freunde mich in der Tenth Avenue Lounge immer wie eine Prinzessin behandeln, mir jeden Drink spendieren, mich zu dritt nach Hause begleiten, und Frank dabei ununterbrochen durch meine Haare fährt und exaltiert ruft "you're beaueaueaueautiful", kann ich dem Mann keine Bitte abschlagen. Bin schließlich auch nur eine Frau. So trug es sich also zu, daß ich vergangene Woche im Uptown Vidal Sassoon Salon in der Fifth Avenue über einen mit schwarzer Plane auf den Boden geklebten Laufsteg stolzierte, und posierte, als hieße ich Claudia Schiffer und hätte noch nie in meinem Leben etwas anderes getan. Dabei fällt mir übrigens ein, daß wir heute noch über Curzio lachen muß, der Frank einmal fragte, ob man bei Vidal Sassoon auch etwas essen kann, weil der sich kurz zuvor beklagt hatte, daß er den ganzen Tag bedienen muß (was ich natürlich nicht dazu sage ist, daß Tim mir mal kurz hintereinander erst von Küchenschwämmchen und dann von der Hilfinger-Etage im Macy's erzählte, woraufhin ich - leider laut - schloß, daß Hilfinger Küchengeräte herstellt).

Aber der Teufel liegt im Detail, und mit unseren Verhandlungen, wie genau der neue Haarschnitt auszusehen habe, unterhielten wir den ganzen Salon. Ich muß dazu sagen, daß ich mich nach sieben friseurlosen Monaten inzwischen langer, wallender Locken erfreue, die ich auf keinen Fall hergeben wollte. Wir konnten uns schließlich darauf einigen, daß Frank zumindest mein Gesicht freilegen durfte. Aber die anderen Friseure machten sich während der gesamten Prozedur einen Spaß daraus, sich neben uns zu stellen, die Hände überm Kopf zusammenzuschlagen und zu rufen "oh Gott, Du hast ihr eine Glatze geschnitten!".

Noch zäher waren meine Verhandlungen mit Roberto, dem Koloristen aus Chile, der mich blond färben wollte. Aber Bernd und Nina haben mir blond verboten, und außerdem will ich nicht alle zwei Wochen Haaransätze nachfärben müssen. In unseren Streit mußte sich schließlich der Chefkolorist einschalten, der sich zum Glück auf meine Seite schlug und befand, daß es eine rote auswaschbare Biofarbe auch täte. Trotzdem versuchte mich Roberto damit zu schockieren, daß er zum Abschied "I see you on Wednesday for blond highlights" rief. Daß er dann meine Stirn gleich ein bißchen mitfärbte, entschuldigte er damit, ich hätte ihn so gehetzt.

Nach der Friseursoirée lud ich Frank noch zu einem Drink ein, denn ich bin mehr als zufrieden mit den Ergebnis. Dann holte ich meine Taschen bei Yvonne ab, und fuhr nach Williamsburg, wo ich eine Stunde später auch Lucas in Empfang nehmen konnte, der gerade vom Kellnern zurückkam. Wir tranken einen Begrüßungsmuckefuck zusammen, er zeigte mir alle Fotos von seinen Freunden aus Buenos Aires und lud mich nach Argentinien ein. Ich fand es weniger beruhigend, daß er uns als zwei Marineros ohne Capitan bezeichnete - anscheinend weiß er ohne Luli noch nicht einmal, wo er in Williamsburg waschen gehen muß. Aber nachdem ich Vladimir und die Maus abgewickelt habe, zähle ich den Umgang mit gutaussehenden, aber hilflosen südländischen Mitbewohnern zu meinen angenehmeren Aufgaben.

Lucas ist sehr herzlich und rücksichtsvoll, und außerdem hat er einen gesegneten Schlaf. Das ist sehr wichtig, denn er lebt nachts während ich tagsüber lebe. Wenn wir uns nicht zufällig nachts um zwei zum Muckefuck trinken treffen, dann sehe ich ihn nur morgens, wenn er auf dem Sofa knackt, während ich mein Müsli esse. Trotzdem ist die Wohnung in Williamsburg ein Fortschritt gegenüber Hell's Kitchen, denn wir haben ein separates Bad und eine Tür zwischen seinem und meinem Zimmer. Das Bad ist gleichzeitig unsere Telefonzelle. Wenn Lucas von der Arbeit nachhause kommt und ich schon schlafe, nimmt er seine Schokolade und seine Zigaretten und setzt sich eine Stunde lang auf den Toilettendeckel, um mit seinem Bruder in Buenos Aires zu telefonieren.

Damit ich mich auch zuhause fühlen kann, will er mir ein bißchen Platz auf der Kühlschranktür machen, wo alle "fotos de carino" hängen. Dies bringt mich ein bißchen in Zugzwang, denn die Argentinier haben augenscheinlich ein vollkommen anderes Verhältnis zu ihrem Körper. Luli posiert auf jedem Foto mit einer anderen Haarfarbe, im Bustier mit ihren Freundinnen oder tauscht wildgeschminkt, mit hochtopierten Haaren getürkte Zungenküsse mit einer anderen glutäugigen Schönheit. Auf dem Toaster klebt ein Oben-Ohne-Foto ihrer Schwester - neckischerweise sind die Brustwarzen mit bunten Sternen abgeklebt. Carina hat mir Fotos von den Hamburgern mitgegeben aber dummerweise seid Ihr darauf alle angezogen, und ich habe Angst, daß die Argentinier dann glauben, ich hätte Euch nicht lieb. Könnt Ihr mir nicht alle noch einmal ein Nacktfoto schicken?

Aber Foto hin oder her, ich habe gerade mörderisches Heimweh! Ich will morgen gar nicht zur chinesischen Neujahrsparade, ich will zu Carina zum Frühstücken gehen, und mich nicht von meinem Stuhl erheben, bis Bernd abends um zehn zum Koreaner geht, um einen Imbiß zu holen, und danach eine von seinen guten Weinflaschen aufmacht. Ich will mit Nina am Sonntag im Alten Land Fahrrad fahren, und ich möchte emails von Ina bekommen, in denen steht, daß sie mit uns Kreischziegen mal wieder einen saufen gehen möchte. Ich will, daß Susanne auf dem Kiez eine Flasche Sekt ausgibt und dann die Zeche prellt, und ich möchte neben Stefan in der Abendmensa sitzen, wenn er seinen Kaffee trinkt, ohne auch nur Anstalten zu machen, die Hand zur Tasse zu führen. Ich möchte, daß Uta eine Stunde zu früh mit ihrem halben Hausstand zu meiner Party kommt, und schon mal die Bierflaschen in die Dusche stellt, weil ich es alleine mal wieder nicht hinbekomme, und Maik soll fünf Tage lang unentschuldigt von der Arbeit fehlen, weil die Herzensangelegenheiten, die er in Spanien zu regeln hatte, zu dringlich waren, um nun auch noch den Chef über den Grund seiner Abwesenheit zu unterrichten. Birgit soll mit ihrem Peugeot-Lieferwagen und eigenem Bettzeug in Eimsbüttel für eine Nacht aufkreuzen, bevor sie zu Oma nach Husum fährt, und ich will rote Soße bei Peter essen und mit Mark nach der Arbeit einen schnappen gehen. Meine Eltern sollen mich auf eine Finkenwerder Kutterscholle mit Speck nach Teufelsbrück einladen, nachdem wir uns so lange gestritten haben, ob wir lieber in der Lüneburger Heide oder an der Alster spazieren gehen wollen, bis es Zeit ist, wieder nach Springe zu fahren. Nicola soll mir im Solo haarsträubende Geschichten von ihrer Kollegin Schlatter erzählen und sonnabends will ich mit Kiki und Oliver in der Schanze frühstücken gehen, aber die Torfköpfe sind ja nach Frankfurt gezogen... Danach will ich mit Nick im Karoviertel Kuchen mit Astra essen.

In meinem Schmerz ging ich gestern noch in meiner neuen Puschenkneipe auf ein Bierchen, und da New York bekanntlich klein ist, traf ich dort per Zufall Yvonne und deren Freundin Sabine, eine Grafikdesignerin aus Winterhude, die auf unbestimmte Zeit in New York arbeitet. Sie hat die letzten beiden Tage nur geheult, weil sie so ein Heimweh hat. Erst fühlte ich mich verstanden, aber dann fragte ich mich, wie man als Osthamburgerin Heimweh bekommen kann. Nina?

Wahrscheinlich weil man es nicht besser kennt ...


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