Montag, 27. September 2010

Russkij Berlin

Es ist ein herrlicher Sommertag und um möglichst wenig davon zu verpassen, haben wir uns zum Laufen in unserem Park unter das Volk in unserem Kiez gemischt: Wild tobende Kinder mit ihren Eltern, die auch am frühen Sonntagmorgen nicht darauf verzichten wollten, den scheinbar lässigen, tatsächlich bis ins letzte Detail durchdachten Look anzulegen, mit dem sich weltweit das globalisierte Bürgertum reicher Großstädte zu erkennen gibt; Hartz-IV-Empfänger aus den anliegenden Plattenbauten, die sich beim Spaziergang im Park vielleicht von ihrer Arbeit an der Supermarktkasse erholen; für die Großstadt gänzlich ungeeignete Jagdhunde mit ihren immer missmutigen Haltern und ein vereinzelter Trinker.

Nachdem wir uns so verausgabt haben, brauchen wir Brötchen für das Frühstück auf unserem Sonnenbalkon. Diesmal verraten wir unseren türkische Bäcker mit der warmen Stimme, auf dessen raffiniert geschminkte Töchter ich mich jedes Wochenende freue. Statt dessen gehen wir zu der kleinen, feminineren Bäckerei weiter unten in der Straße.

Ich wäre mit zwei dunklen und zwei hellen Brötchen zufrieden zu stellen, aber der Schatz lässt sich nicht davon abhalten, aus dem Frühstückseinkauf eine Wissenschaft zu machen. Während er sich die Entscheidung zwischen Mürbeteighörnchen, Buttercroissants und Mandelküchlein so schwer wie möglich macht, gehe ich aus dem Geschäft, um mir in der Sonne die Zeit zu vertreiben.

Auf der kleinen Holzbank vor der Bäckerei sitzt ein Russe, der mit seiner Schiebermütze so aussieht wie eine Mischung aus Wladimir Kaminer und Zillegassenjunge. Er unterhält sich mit einem Freund, der auf einem Fahrrad balanciert, während er sich mit einem Bein auf dem Boden abstützt. Beide trinken Dosenbier. Ich mache ihnen keine Vorwürfe. Was gibt es besseres an so einem schönen Tag als einen kleinen Frühschoppen auf der Winsstraße?

Ich schließe meinen Augen und halte mein Gesicht in die Sonne, um mich unauffällig als Sonnenbadende zu tarnen, während ich in Wirklichkeit meine Ohren spitze und angestrengt versuche, der Konversation zu folgen. Ich lerne seit Jahren mit geringem Erfolg Russisch und mir ist jede Gelegenheit zu üben recht.

Der Russe mit der Schiebermütze fragt mich, ob ich aus dem Kiez komme. Ich versuche mich bei meiner Antwort auf Russisch. Er gibt sich pflichtschuldig beeindruckt. Gleichzeitig zürnt er seinem Schicksal, weil wir uns als unmittelbare Nachbarn noch nie begegnet sind. Die beiden wohnen seit 15 Jahren auf der anderen Seite der Danziger Straße. Dimitroffstraße, korrigiere ich mich in Gedanken. Diesen klangvollen Namen aus DDR-Zeiten ist einer unserer Nachbar nicht bereit aufzugeben. Inzwischen habe ich seine Reflexe so stark verinnerlicht, dass ich auf seine Reaktion gar nicht mehr angewiesen bin. Er ist - wie inzwischen fast alle in unserem Kiez - ein Yuppie aus dem Westen und hat in dem einzigen unrenovierten Haus unserer Straße Wein auf seinem Balkon angepflanzt. Er liebt unser Viertel so sehr, dass er zwischenzeitlich kurz mit dem Gedanken spielte, gemeinsam mit seinen Nachbarn das Haus, in dem er wohnt, dem offensichtlich finanzschwachen Eigentümer abzukaufen und es eigenhändig zu renovieren. Die Nachbarn gehören einer Gesellschaft an, die kahlköpfig mit langen, bunten Gewändern durch die Stadt wandeln und Liebe und Harmonie predigen. Ihr Anführer erklärte unserem Nachbarn, dass eine himmlische Eingebung im sagte, die Investition würde sich als fruchtbar erweisen und Glück und Harmonie verheißen. Allerdings konnte die Harmoniegesellschaft abgesehen von der himmlischen Eingebung und den damit verknüpften Erfolgsverheißungen kein weiteres Startkapital mehr beisteuern und das Geschäft platze schließlich.

Unterdessen zeigte sich der Russe enttäuscht davon, dass ich offensichtlich mit meinem Freund unterwegs sei. Nichts kleidet eine Frau offenbar so gut wie ein Betrachter nach Alkoholgenuss in der Hitze. Meinem Aufzug habe ich solche Komplimente sicher nicht zu verdanken. Ich trage schlecht sitzende Hochwasser-Jogginghosen und ein ausgewaschenes Kaki-Hemd mit einem aufgedruckten Holstentorwapppen und einer Aufschrift in dem Stil von „ Hamburger Deern“ oder dergleichen aus den frühen 2000ern. Damals hielt man es für originell, eine Art Charakterisierung oder Markennamen auf der Brust zu tragen, der die Herkunft, die politische Orientierung, die Durchsetzungsstärke oder die sexuelle Freizügigkeit der Trägerin kennzeichnen sollten. Ich kann mich an „ Zicke“, „Berlinerin“, gelegentlich ein präziseres „ Kreuzbergerin“ , „ CCCP“ und ich meine auch an „ Schlampe“ erinnern.

Ich ließ mich von dem Rausch meines Kavaliers jedoch nicht davon abhalten, mich geschmeichelt zu fühlen.

„Ja, du bist zu spät gekommen“, versuchte ich mich in Koketterie.

„ Es ist nie zu spät, im Leben kann noch viel passieren“ korrigierte mich der Russe mit seinem bärigen Baß, offensichtlich mit sich und der Welt im Reinen. Dann setzten sich sein Freund und er auf ihre Fahrräder und führen mit ihren Bierdosen in der Hand schlingernd durch das ruhige, sommerliche Berlin.

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