Dienstag, 8. Juli 2008

Super-Geschäftsfrauen

Email aus New York, Januar 2001

Heute ist Martin Luther King Day und somit ist es nicht ganz politically correct zu arbeiten, aber ich habe mich trotzdem heimlich ins Büro geschlichen. Ich übernachte zur Zeit bei einer Freundin, die fünf Minuten von der Uni entfernt wohnt. Auf die Art und Weise vermag ich mich der magischen Anziehungskraft meines Schreibtisches nicht zu entziehen.
Die Wohnung haben wir an Onkel Vladimir übergeben, und neben dem Scheck über den Großteil der letzten Monatsmiete, den ich mir mit gepfefferte Emails erkämpft hatte, fingen wir uns zusätzlich noch Küsse, Umarmungen und Unschuldsbeteuerungen von Vladi und Marina ein.
Das vorletzte Wochenende war noch sehr interessant. Am Sonnabend kochten Helena und Hans Kartoffelauflauf für mich, um mich über meine brenzlige Situation hinwegzutrösten, was ich gleich zum Anlaß nahm, ihren Freund Jonathan die halbe Nacht quer durchs East Village zu schleppen, um eine meiner berühmt-berüchtigten Geburtstagsfeiern mit den lesbischen Damen aus Israel zu feiern. Das ganze geschah etwas in Verkennung der Tatsache, daß Jonathan die Nacht zuvor bis sechs Uhr gearbeitet hatte und auch den nächsten Tag im Büro verbringen mußte. Aber was uns nicht tötet, macht hart. Jedenfalls war ich die Heldin des Abends mit meiner kombinierten Mäuse-und-Wohnungs-Geschichte und in meinem ganzen Elend habe ich das doch sehr genossen. Sonntags leitete ich dann einen Telefonmarathon ein und lernte dabei allerhand interessante Menschen kennen.
Zuerst war ich bei Amanda im East-Village. Sie lebt in einer Drei-Zimmerwohnung mit einer beeindruckenden Ansammlung an Kitsch. Ein Zimmer hatte sie bereits an einen jungen Studenten vermietet. Mich wollte sie in ihrem Schlafzimmer unterbringen, um dann selbst im Wohnzimmer auf der Couch zu schlafen. Davon wußte der junge Mann zwar nichts, aber es sei ja ihre Wohnung meinte sie. Das ganze sollte dann auch nur 1000$ im Monat kosten.
Als wir uns mit den Terminen (und im übrigen auch sonst) nicht einigen konnten, rief sie ihren Freund Gianni an. Der ist ein italienischer Filmproduzent und lebt in der Upper East Side. Zur Zeit scheinen seine Geschäfte nicht so gut zu laufen. Er wollte mir ebenfalls sein Schlafzimmer für 1000$ vermieten und sich selbst auf eine Luftmatratze in den Gang legen. Ein zweites Zimmer hat er nicht, und einen Herd schon gar nicht. Amanda hatte mich noch eindringlich gewarnt, mich nicht in ihn zu verlieben. Er sei "extremely good-looking" und ein wahrer "womanizer". Auch diesbezüglich fand ich ihn jedoch eher enttäuschend.
Abends gelang es mir endlich Luli zu erreichen, die in Williamsburg, Brooklyn's neuem Künstlerviertel, ein WG-Zimmer vermietet, während sie für zwei Monate in ihre Heimat fährt. Sowohl das äußere Erscheinungsbild der Wohnung als auch das ihres Mitbewohners und Schulfreundes, Lucas, veranlaßten mich dazu, bei dieser Wohnung sofort zuzuschlagen. Moni, Daniela und Tim wird freuen zu hören, daß die Wohnung DIREKT neben dem "Fernicola" ist, wo wir Sylvester gefeiert haben. Mit anderen Worten, ich habe von meinem Schlafzimmer aus einen Blick auf die Skyline von Manhattan und kann jeden Abend Hummer und Austern essen.
Luli ist aus Buenos Aires, und lernt in New York Singen und Hip-Hop-Tanzen, denn sie möchte ein Popstar werden. Das will ihrer Mutter nicht so recht passen, denn sie hat eine Damenbekleidungskette in Argentinien, und möchte daß Luli so wie ihre Schwester mit in dem mütterlichen Unternehmen arbeitet. Das will Luli wiederum nicht, denn sie macht nicht gerne Geschäfte.
Wir verstehen uns wunderbar. Besonders als wir uns das zweite Mal trafen, um einen kleinen Untermietvertrag aufzusetzen, arbeiteten wir sämtliche Details unseres Lebens gemeinsam auf. Diese ganze Untermietsvertragssache und die Anzahlung meinerseits war eine Idee von Lucas, damit die beiden sichergehen können, daß ich auch wirklich bei ihnen einziehe. Luli zeigte mir beim Hereinkommen den handschriftlichen Mietvertrag, ich war sofort einverstanden, dann haben wir uns ein bis zwei Stunden zum Quasseln hingesetzt, und waren uns einig, daß wir ganz großes Glück hatten, uns gefunden zu haben. Am Ende schrieb ich ihr ein Scheck und sie mir eine Quittung, auf der allerdings nicht steht, wofür ich ihr 200$ gezahlt habe. Luli war dann mächtig stolz, meinte, sie fühlte sich jetzt wie eine wahre Geschäftsfrau und müsse das sofort ihrer Mama erzählen.
Ich hoffe sie hat damit noch ein bißchen gewartet, denn auf dem Weg zur U-Bahn fiel mir auf, daß keine von uns den Vertrag unterschrieben hatte. Wie auch immer, wenn dennoch alles gut geht, und ich am 24. nach Brooklyn ziehe, ist meine Miete gesunken, die Qualität meiner Wohnung ERHEBlich gestiegen und mein Mitbewohner noch schöner geworden.
Curzio rührt wie immer keinen Finger, ist jetzt aber erst einmal bei seiner Tessin-Mafia eingezogen, und weckt allerorten Mutterinstinkte. Am Sonnabend traf ich ihn zufällig am Southstreet Seaport, im Schlepptau einer netten Japanerin, die ihm augenscheinlich die Wohnungssuche organisiert. Es tut uns beiden sehr leid, Hell's Kitchen zu verlassen, aber wir haben uns geschworen, regelmäßig bei Salvatore Pizza zu essen und bei Rudy's Bier zu trinken.
Das größte Opfer unseres Umzugs wäre beinahe unser alter Freund und Gerzenseekollege Conrad Filippi geworden, der ausgerechnet am Wochenende unserer Expulsion Vorstellungsgespräche in New York hatte, und eigentlich am Sonnabend gerne vom Marriott zu uns umgezogen wäre. Nachdem wir Freitag die ganze Nacht Swing getanzt hatten, ordnete ich an, daß er uns am Sonnabend um halb eins in der Wohnung anrufen sollte, um die Nummer von Jeanette zu erfahren. Leider hatte ich halb zwei gemeint, und als er um halb eins anrief, war natürlich keiner von uns da. Ich meinte schon, ihn nie wiederzusehen, aber Manhattan ist ja klein, und so traf ich ihn dann abends doch noch per Zufall wieder, als er seine Koffer im Hotel abholen wollte, so daß wir noch den einen oder anderen Drink im East Village zu uns nehmen konnten.
Wenn das alles kein Glück im Unglück ist...

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