Freitag, 28. Dezember 2007

Doch gutes Erbgut

Email aus New York, November 2000

Meine Mutter und ich waren uns am Telefon gerade einig geworden, daß mein Vater ein Phänomen ist. Er hat immer Glück, alle vertrauen ihm und er ist unglaublich beliebt. Während wir anderen alle arbeiten müssen wie die Eichhörnchen in der Trommel, um überhaupt ein paar Bekannte oder gar Freunde zu haben, muss er keinen Finger krumm machen, es rennen ihm sowieso alle die Bude ein, um ihre Freizeit mit ihm verbringen zu dürfen. Ein bisschen frustriert waren wir, als wir aufgelegt haben, aber nicht sehr. Ganz unter uns können wir ihn ziemlich gut leiden und gönnen ihm daher sein Glück.

Nur wenige Stunden später sollte sich herausstellen, dass er mir offenbar doch nicht nur die Neurodermitis, sondern auch eine ordentliche Portion von seinem Glück vererbt hat...

Weil ich den ganzen Sonnabend fleißig war, befand ich, daß ich einen Abend in der Oper mehr als verdient hatte. Gedacht getan, ich machte mich auf zur Met, prallte entsetzt zurück, als mir jemand vor der Oper eine Karte für 115$ anbieten wollte und erstand statt dessen einen Stehplatz fuer 16$ an der Abendkasse. Zugegebenermaßen geschah dies ein wenig in Verkennung der Tatsache, dass Richard Strauß nicht Johann Strauß ist, und daß "Der Rosenkavalier" nicht anderthalb Stunden leichte Operettenmusik im Dreivierteltakt beinhaltet, sondern viereinhalb Stunden Musik - na, sagen wir mal - für Kenner.

Tatsächlich wurde meine Standfestigkeit aber erst gar nicht getestet. Schon nach fünf Minuten kam ein Mann um Mitte vierzig in einem alten Ski-Anorak auf mich zu. Er trug die ältesten Turnschuhe, die ich seit langem gesehen habe, und einen Moment lang überlegte ich mir, ob ich ihm einen Dollar in die Hand drücken sollte. Er fragte mich, ob ich alleine sei. Schon reichlich an die entwaffnende Direktheit der Amerikaner gewöhnt, antwortete ich ebenso knapp wie wahrheitsgemäß mit "ja". Er:" Why don't you come sit with us?". Erst als ich ihm bereits vollkommen überrumpelt zu den Orchestersitzen folgte, wurde mir klar, dass ich wahrscheinlich für die 180$-Karte, die er mir in die Hand gedrückt hatte, den höchsten immateriellen - oder sagen wir nicht-monetären- Preis würde zahlen müssen, den ich je für eine Opernkarte gezahlt habe.

Aber nein: In der neunten Sitzreihe wartete bereits eine charmante junge Dame aus Französich-Guyana auf uns. Mein neuer Freund, der Obdachlose, erklärte mir, daß er ein Oper-Abo besitze. "I keep one seat for a date..." - so hat er sich ausgedrückt, anscheinend bringt er jedesmal eine andere Freundin mit "and one for my office manager." Das erscheint mir persönlich eine sehr eigenwillige Kombination, aber einem geschenkten Barsch guckt man nicht in die Kiemen. Ich habe tüchtig davon profitiert, daß die Büromanagerin an jenem Abend den Weg von New Jersey nach New York nicht gefunden hat.

Zugegeben, den ersten Akt fand ich sterbenslangweilig und zudem entsetzlich inszeniert, mit viel zu viel Pink und Rüsche. Insgeheim wünschte ich mir, daß Richard doch Johann sei,
oder der Rosenkavalier statt dessen eine lustige Witwe. In der Pause Nr. 1 habe ich mich aber dennoch sehr amüsiert, aus dem Programm zu erfahren, dass Richard Strauß damals seine Zeitgenossen mit seinen Anspielungen schockiert hat, " ...that beds are occasionally used for purposes other than sleeping". Und irgendwie bin ich dann doch noch auf den Geschmack gekommen. Als die Marschallin schließlich nach viereinhalb Stunden in einem herzzerreissendem Terzett den Weg frei gab, damit ihr Geliebter, der Rosenkavalier, die wesentlich jüngere und liebreizendere Sophie ehelichen konnte, war ich den Tränen nahe.

Mindestens ebenso interessant fand ich es, diese Oper inmitten der New Yorker Haute Volée zu verfolgen. Die älteren Herren, deren Ehefrauen auf ein Opernabo bestehen, knacken die ganze Zeit, wie überall auf der Welt. Was mich tief beeindruckt hat, sind die höheren Töchter, die nicht nur wahnsinnig reiche Erbinnen, sondern nicht selten auch noch atemberaubend schön sind. Wie machen die das? Lauter Prinzessinen mit wallenden goldenen Haaren schwebten in der Pause von den Orchestersitzen ins Foyer.

Der Sitz vor mit gehörte laut einer Silbergravur übrigens der Fishbach Organisation Inc.. Nur zu gerne hätte ich mir die Rückseite meines eigenen Sitzes angesehen, um zu erfahren, welcher Organisation mein Freund mit der unzuverlässigen Büromanagerin angehörte. Ich habe dann aber doch davon abgesehen, meinen Oberkörper über die Stuhllehne zu klappen, um einen Blick zu erhaschen. Möglicherweise gehört sich das nicht in der New Yorker Society.

Meine Wohltäter flitzten noch vor Beginn des Applauses schnell zu ihrem Auto - Amerikaner verlieren nunmal nicht gerne Zeit - nicht ohne mir ihre tiefste Bewunderung dafür auszudrücken, daß ich bereit gewesen wäre, Richard Strauß im wahrsten Sinne des Wortes durchzustehen. Wie ich bereits erwähnte, ist das nicht ganz richtig. Dennoch fühlte ich mich so, als wenn ich bald im Training sei, Wagner im Handstand zu absolvieren.

Vollkommen beschwingt ging ich danach noch in die Tenth Avenue Lounge, ein Bierchen auf mein Glück zu trinken. Dort lernte ich meine Nachbarn Frank und Arnold kennen. Frank ist Friseur und hat sizilianische Eltern. Arnold ist Lehrer und Schauspieler, und seine Eltern sind Mexikaner. Selbstverständlich wird Frank mir die Haare umsonst schneiden. Und - Ines - wir sind herzlich eingeladen mit den beiden und Arnolds Mutter aus Texas Heiligabend zu verbringen.

" Che culo!" kommentierte Curzio fassungslos am nächsten Morgen, als er von meinem Abenteuer erfuhr. Das ist eine ziemliche ungezogene Art, zum Ausdruck zu bringen, dass ich einen Mörderdusel hatte, den er mir nicht so recht gönnt. Aber wer viel Glück hat, hat eben auch viele Neider...

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