Dienstag, 9. Oktober 2007

Die Kunst und ihr Publikum - Louvre

Früher ging ich mit Madame Corbeau ins Louvre, abends nach der Arbeit in die nocturne. Wir sahen uns in aller Ruhe einen Saal an, sammelten bei dem hübschen Garderobenmann ein paar Komplimente ein und kamen uns très culturelles vor. Danach glaubten wir, uns unseren Wein redlich verdient zu haben.

Neulich bin ich wieder hingegangen. Aber die Welt hat sich verändert. Vielleicht habe auch nur ich mich verändert. Fest steht: Das Louvre ist nicht mehr das, was es mal war.

Inzwischen haben die Touristen die nocturne entdeckt. Sie ziehen nun auch abends in wild lärmenden Horden durch die Säle und suchen zielstrebig nach der Mona Lisa. Dort haben sie inzwischen Bänder für die Warteschleife aufgestellt wie in Disneyland. Ordner mit Walkie-Talkie - alles Zweimetermänner - beherrschen die Szene und gebärden sich, als würden sie den CSU-Parteitag in Wildbad Kreuth bewachen oder in einer New Yorker Edeldisko den weniger Schönen und Reichen den Eintritt verwehren. Als ich vorsichtig meinen Kopf in die Saal steckte, wiesen sie gerade eine Gruppe von Rollstuhlfahrern ein. Jeder durfte einmal mit quietschenden Reifen auf das große Kunstwerk zufahren und kurz ein Foto machen, aber ohne Zögern, schließlich will jeder mal an der Reihe sein.

Nebenan ging eine Museumswärterin mit einem irren Lachen im Saal auf und ab und führte Selbstgespräche. Vielleicht hatte sie auch einen unsichtbaren Knopf im Ohr und kommunizierte mit den Walkie-Talkie-Männern. Trotzdem wurde mir mulmig zumute und ich eilte schnell weiter zur spanischen Renaissance. Dort fand ich mich allein neben einem Mann mit wild flackerndem Blick vor einem El Greco wieder, der in sein Handy brüllte als sei er mit dem Trading Floor der New Yorker Börse verbunden und wollte schleunigst alle seine Aktien von Unternehmen abstoßen, die sich mit US-Hypothekenkrediten von zweifelhafter Qualität verspekuliert hatten.

Bei mir wollte einfach nicht die für Kunst notwendige Muße aufkommen. Ich stürzte die nächst gelegene Treppe hinunter, nur um festzustellen, dass die Hälfte aller Ausgänge bereits geschlossen war. Nach einem nervenaufreibenden Galopp, treppauf, treppab und durch lange gewundene Gänge landete ich schließlich bei der Kunst aus Afrika und Polynesien. Zunächst atmete ich auf: Was für eine himmlische Ruhe! Und wie unglaublich, dass das Louvre auch noch ein reiche Sammlung afrikanischer Kunst im Keller versteckt! Aber dann mußte ich wieder an die irre Wärterin mit Knopf im Ohr denken und an den Aktienhändler mit dem flackernden Blick. Ich bekam Visionen, wie ich vor der Skulptur eines afrikanischen Fruchtbarkeitsgottes in einer vergessenen Sammlung im Keller des Louvre vergewaltigt werde und rettete mich in Panik zu dem letzten noch geöffneten Ausgang.

Das Louvre ohne Madame Corbeau ist so nervenaufraubend und gefährlich wie es einsam und freudlos ist.

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