Samstag, 9. Februar 2008

Es lebe Springe - es lebe Kalamazoo

Email aus New York, Dezember 2000

Neulich mit Curzio beim Einkaufen in Chinatown, schlendere ich doch so von Gemüsestand zu Gemüsestand, inspiziere die Qualität der Produkte, da steht vor mein alter Nachbar aus Kindertagen, Jens-Michael H.. Er hat mich Jahr für Jahr um die Weihnachtszeit mit seinen selbstgebastelten Sylvesterböllern davon abgehalten, in Ruhe und Frieden Pippi Langstrumpf zu lesen. Inzwischen ist aus dem Nachbarsjungen mit dem Chemiebaukasten ein promovierter Chemiker mit Wohnsitz in Höxter geworden, der gelegentlich als Geschäftsreisender in New York unterwegs ist.

An solche Situationen bereits bestens gewöhnt sage ich ungerührt: " Hallo Jemi, wie geht's Dir?" Der Mann war wie vom Donner gerührt und wollte sich partout nicht davon überzeugen lassen, daß das auch nichts anderes ist, als wenn wir bei Mundt am Niederntor zusammen Gemüse einkaufen. Schließlich trifft man sich auch in Springe nicht jeden Tag, wenn einer in Höxter und die andere in Hamburg lebt.

Richtig Eindruck schinden konnte ich letzten Sonnabend, als wir morgens um vier nach einer durchtanzten Nacht noch auf einen Absacker in ein Café im Meatpacking District einkehrten. Kaum hatten wir den Saal betreten kam der asiatische Kellner auf mich zugeschossen und behauptete, wir würden uns kennen. Ein bißchen hat mich das gewundert, denn eigentlich sah man ihm mit seinen Wasserstoffperoxid-gefärbten Haaren sofort an, daß er schwul war. Aber als er hinzufügte, wir hätten zusammen in Kalamazoo studiert, wußte ich, daß er die Wahrheit sprach. Meine Mädels, von denen die Hälfte seit sechs Jahren im East Village wohnt, waren allesamt einer Ohnmacht nahe.

Das war ein Triumph! Jeder Deutsche will sich kaputtlachen, wenn ich von meiner Kindheit in Springe am Deister erzähle, und ihr solltet mal hören, was die Amerikaner sagen, wenn ich ihnen erkläre, daß ich meine Englischkenntnisse im wesentlichen in Kalamazoo, Michigan, erworben habe. In besonders schlechter Erinnerung ist mir die in New York aufgewachsene Ehefrau von Rainer K., die mir vor meinem Aufenthalt in Michigan mit einer Wortwahl, die ich hier nicht wiederholen möchte, zuzischte, Kalamazoo sei am Ende der Welt. Aber ich habe noch nicht erlebt, daß eines von diesen hippen Village-Girls in Chinatown beim Gemüseeinkaufen oder des Nachts im Meatpacking District mit Handschlag begrüßt worden ist. Wer wirklich bekannt sein will in der Welt, der muß in Springe aufgewachsen sein und in Freiburg im Breisgau oder in Kalamazoo studiert haben.

Das mit dem Glück ist ja alles schön und gut, aber dann ist da noch die Neurodermitis. Die ist hier so schlimm geworden (ich habe sie unter dem Fuß), daß ich zeitweise im wahrsten Sinne des Wortes mit Blut im Schuh unterwegs war. Als ich anfing, mir morgens Sorgen zu machen, die Tauben am Washington Square könnten behaupten, ich sei eine von den häßlichen Schwestern, dachte ich es sein an der Zeit mal etwas zu unternehmen. Weil ich keine Lust hatte, zum Hautarzt zu gehen, bin ich einfach mal in so einen Drogeriemarkt marschiert, habe versucht der Dame am Arzneitresen schöne Augen zu machen und herzzerreißende Geschichten von Germany und meiner Neurodermitis erzählt. Ich wollte erreichen, daß sie mir ausnahmsweise eine Kortisoncreme ohne Rezept verkauft, die die Apothekerin an der Grindelallee normalerweise extra einen halben Tag lang für mich anrühren muß. Die Amerikaner, dachte ich, bekommen alles fertig...

Die Amerikaner bekommen alles fertig! Ich konnte mir aus einem Riesenregal aus zehn verschiedenen Arten von Kortisoncremen eine aussuchen. So etwas benutzt man hierzulande, wenn einen die Mückenstiche zu sehr quälen. Wie auch immer, die Neurodermitis ist wieder unter Kontrolle, wenn ich gut geschminkt bin und im richtigen Moment 'nen Abgang mache, gehe ich bestimmt zur Not auch als Cinderella durch, und sollte es noch ein bißchen hektischer werden, macht das auch nichts, die vertickern hier bestimmt auch Prozac ohne Rezept locker über den Ladentisch.

Neulich habe ich meine Nachbarn Frank und Arnold mit Lammfleisch und Mangold in Roquefortsoße bekocht. Während ich die Pfannen auf unserer schiefen Herdplatte balancierte, habe ich mich durchaus auch mal gefragt, ob es wohl klug sei, zwei wildfremde Männer, die man in einer Eckkneipe kennengelernt hat, in seine Wohnung einzuladen. Es war klug! Die beiden sind wirklich reizend. Curzio und ich lachen immer noch über die Geschichte, als sie eine Maus in der Küche hatten, und sich acht Stunden lang nicht an ihr vorbei ins Bett trauten, und weitere zwei Stunden brauchten, um das wilde Tier zu erlegen. Oder die Geschichte, als sie Beauty-Tag hatten und mit Gesichtmaske vorm Fernseher ein Fußbad nahmen, während die betrunkene Nachbarin klingelte, weil es ihr wie immer nicht gelingen wollte, die Tür zu öffnen. Nachdem sie sich zehn Minuten lang nicht einigen konnten, wer jetzt mit Gesichtsmaske die Tür aufmacht, lösten sie das Problem einfach, indem sie die Klingel leiser stellten. Ein wenig brutal, wie ich finde, aber am Ende hat sich wohl ein anderer Nachbar der alten Dame erbarmt. In jedem Fall sind das zwei nette und lustige Männer, man darf eben nur am Beauty-Tag nicht zu viel von ihnen erwarten.

Ich habe mir vorgenommen, wenn man mich nächste Mal in der Kneipe ein Mann fragt, ob ich denn auch eine boyfriend habe, die Frage zurückzureichen. Sollte er keinen haben, breche ich die Konversation ab. Die Männer mit boyfriend sind meiner Meinung nach hier die einzigen, die etwas taugen.

Zum Glück muß ich in Hell's Kitchen gar nicht fragen. Salavatore, unser fiorentinischer Pizzabäcker sagt immer, er und Curzio seien die einzigen Heten in unserer Straße. Salvatore macht sich ein bißchen Sorgen darum, und wird nicht müde zu betonen, daß die aber nur bis zu seinem Ladentisch und nie darüber hinweg kommen. Ich weiß nicht, was er glaubt, was unsere Nachbarn vorhaben, wenn sie bei ihm Pizza kaufen kommen. Aber, was soll er machen der arme Mann, er ist eben Italiener...

Gestern abend mußte ich mal wieder feststellen, daß die Ausländer doch die besseren Deutschen sind. Helen hat anläßlich unseres kleinen Umtrunks in Hartmuts Wohnung, in der auch Kurt Cobain schon einmal übernachtet hat, nicht nur Dresdner Christstollen angeschleppt, sondern doch tatsächlich vor meinen staunenden Augen den Glühwein selbst mit den ganzen Kräutern angerührt! Währenddessen erklärte mir ihre New Yorker Freundin Stephanie, die schon einmal ein halbes Jahr für Friedbert Pflüger im Bundestag gearbeitet hat (das ist der Vogel dessen Frau, Maniatoupoulos, oder so ähnlich, damals Willy Brandt zu Fall gebracht), daß für sie das Allerschönste auf der Welt Kaffee und Kuchen sei. Und jetzt sag' noch einer, hier könnte man sich nicht zu Hause fühlen...

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