Samstag, 3. Mai 2008

Mäusejägerin

Email aus New York, Weihnachten 2000

Ok, erst einmal alle guten Nachrichten ... dann die schlechten...

Weihnachten mit Ira war grandios. Ein paar Leser (sie selbst eingeschlossen) haben die Nachrichten über ihre Ordnungsliebe in den falschen Hals bekommen. Wir haben uns prächtig verstanden, uns jedoch auch gerne mal den einen oder anderen Scherz über ihre "Elsenattacke" erlaubt und darüber, daß während ihres Aufenthaltes jedes Möbelstück kurzfristig zum Schminktisch umfunktioniert war. Never mind, die Schminkerei hat sich hundertprozentig ausgezahlt. Auf unseren nächtlichen Streiftouren durch die City erfreuten wir bei den Herren stets größter Beliebtheit. Bei unserem Salsa-Abend erreichte dies derartige Ausmaße, daß wir beide nunmehr unter dicken Starallüren leiden: Zwei aus der Heerschar der zwanzigjährigen Lateinamerikaner, die sich den ganzen Abend darum gerissen hatten, uns von ihrem letzten Taschengeld Drinks auszugeben, mit uns zu tanzen und einiges mehr (wir sahen uns leider außerstande, alle Wünsche zu erfüllen), liefen in einem verzweifelten Versuch, uns nicht aus den Augen zu verlieren, noch etliche Meter hinter unserem Taxi her... Wenn Ira jetzt manchmal mit Stola in die Uni kommt und ein wenig übertrieben die Hüften wiegt, wenn sie in die Mensa geht, dürft Ihr Euch nicht wundern. Ich überrasche hier meine Kollegen mit ähnlichem Verhalten.

Weihnachten haben wir meinen Kollegen Federico und Dan bekocht, deren deutsche Freundinnen in der Heimat weilten. Federico wollte unbedingt nach dem Essen in die Zwölf-Uhr-Messe gehen. Durchgesetzt hat sich statt dessen Iras Marschbefehl: "I think we should go to a bar and get hammered." Also sind wir zu "Rudy's" gegangen, meiner Stammkneipe um die Ecke, wo mich der Türsteher inzwischen schon mit Handschlag begrüßt. Es ist eine finstere, irisch anmutende Spelunke mit einer grandiosen Jukebox. Einmal waren Sybille und ich so glücklich über die Musik, die wir ausgewählt hatten, daß wir ein bißchen anfingen zu tanzen. Ihr könnt Euch nicht vorstellen, wie schnell der Capo auf dem Plan stand und aufgeregt rief: " You guys can't dance here, I don't have a dancing license..." Erst dachten wir, daß sei der beste Witz, den wir sind langem gehört hatten. Später fanden wir heraus, daß Rudy (Giuliani meine ich) "Rudy's" tatsächlich $5000 abknöpfen würde, ließe er zu, daß seine Gäste unerlaubt tanzen. Zero tolerance ist eben zero tolerance. Seither vollführe ich beim Verlassen der Bar auf der Türschwelle immer ein, zwei provokative Tanzschritte. Rudy von "Rudy's" und ich sehen das beide als dies die richtige Antwort auf eine übertrieben konservative Politik an.

Heiligabend ließ Rudy von "Rudy's" aber mal alle fünfe gerade sein und schritt nicht ein, als ich mit unserem netten, indischen Statistikprofessor, den wir in der Bar wiedergetroffen hatten, nachts um drei noch eine flotte Sohle aufs Parkett legte. Der Inder war leicht euphorisiert, da er kurz zuvor mit Ira den Pascalschen Gottesbeweis diskutiert hatte, und festellen durfte, daß sie auch leicht "hammered" zu jeder Tages- und Nachtzeit anstandslos jedes noch so komplizierte mathematische Thema bewältigen kann. Sie ist jetzt Bramahnin...

Sylvester war ebenfalls ein Erfolg. Tino und Miriam kamen aus Freiburg, Moni und Daniel aus den verschiedensten Ecken der Vereinigten Staaten eigens zum Jahrtausendwechsel hier angereist. Während die Touristen alle bei minus zehn Grad am Times Square dem Kältetod ins Auge blickten, sind wir schön nach Brooklyn gegangen, in ein Restaurant mit Blick auf die Skyline, Hummer, Muscheln, Filet Mignon und dergleichen mehr, alle Getränke und die Band inklusive zu einem Spottpreis, jedenfalls für New Yorker Verhältnisse. Wir hatten ein ganzes Dutzend attraktiver Inderinnen dabei, die merklich zur guten Stimmung beitrugen. Das Tanzen hat mir so gut gefallen, daß ich mich auf einen Disput mit dem Bandleader einließ, als dieser um drei Uhr die Arbeit mit der Begründung niederlegen wollte, er sei nicht länger bezahlt. Die Auseinandersetzung endete damit, daß ihm wiederholt mit wachsender Heftigkeit vorhielt, so ein frühes Sylvesterende sei in Hamburg undenkbar, woraufhin er schließlich eine dreckige Serviette nach mir warf und in die Küche verschwand. Am nächsten Tag gestand mir Miriam, sie habe sich mit Hinweis auf meinen Alkholkonsum bei ihm entschuldigt. Erst da fiel mir ein, daß ich mich vielleicht besser mit dem Restaurantbesitzer hätte streiten sollen. Ich wußte aber nicht, wo der war.

Am 31. pünktlich erhielt ich die Nachricht von Nino, meiner Vermieterin, die zur Zeit in Bulgarien ihr Medizinstudium vorantreibt, daß der Vermieter von der illegalen Untermiete Kenntnis genommen habe, und eine Auflösung des Mietverhältnisses fordert. Und das, obwohl ich doch jedem erzählt hatte, ich sei die Nichte von Vladmir, Nino's Onkel. Offenbar gehen Curzio und ich doch nicht so ohne weiteres als Georgier durch.

Seither ist es mit meiner Wohnsituation steil bergab gegangen. Die Mieterin unter mir hört jede Nacht dermaßen laut Musik, daß ich vorgestern kurz davor war, zu Tino und Miriam in die Besucherritze zu steigen. Habe mich dann aber doch für das Sofa neben den beiden entschieden. Höhepunkt war heute nacht. Als die Nachbarin mich wie üblich um drei Uhr früh weckte, nachdem sie von der Arbeit nach Hause kam, mußte ich bei meinem ergebenen Gang zur Toilette feststellen, daß dorten eine Maus ihr Unwesen trieb. Neulich habe ich mich ja noch über Frank und Arnold lustig gemacht. Heute nacht hättet ihr mich mal sehen sollen, wie ich mit heruntergelassener Hose und einem spitzen Schrei wie ein Pfeil von der Toilette schoß.

Nachdem der erste Schrecken vorüber war, mauserte ich mich dann aber doch zur Heldin, zog meine Moonboots an und drang zu allem entschlossen mit einer Bratpfanne bewaffnet in die Toilette ein. Die Maus schoß so wild in durch die Gegend, daß sie wahrscheinlich ohnehin ein Fall für den Psychiater gewesen wäre, hätte sie unseren Kampf um das Territorium überlebt. Hat sie aber nicht. Nach diesem traumatischen Erlebnis mußte ich auch noch feststellen, daß sich direkt neben meiner Luftmatratze ein Mauseloch befindet. Dieses stopfte ich vorerst mit dem Schaumstoff zu, mit dem ich neulich unsere Fenster isoliert hatte, denn niemand braucht zu glauben, daß man in dem entwickelsten Land dieser Erde standardmäßig zweifachverglaste isolierte Fenster in den Wohnungen vorfindet. Im Winter muß man eigenhändig alle Löcher stopfen und Planen vor die Fenster kleben, um nicht zu erfrieren.

Nachdem ich bis um sechs Uhr vor Aufregung über meine Heldentat nicht einschlafen konnte, kam um neun Uhr der Anruf von Nino, daß Onkel Vadimir bis zum 15. die Wohnung zu räumen habe. Und ob ihr's glaubt oder nicht, ich bin heilfroh. Curzio sitzt in der Schweiz und behauptet, er bekomme keinen Rückflug, aber mir ist jetzt alles egal. Irgendwo finde ich ein Zimmer, zur Not erlauben mir Frank und Arnold meine Luftmatratze bei ihnen aufzuschlagen. Sie freuen sich über Mädchenbesuch haben sie gesagt. Dann können wir immer zu dritt Mäuse jagen.
Mein Vater rief mich gerade an, um mir mitzuteilen, daß er mich im Saupark bei der Jägerprüfung angemeldet habe.

Am 30. war ein Artikel über das Mieterleben in New York City in der New York Times. Darin beschrieb die Autorin, wie sie als junge Studentin im East-Village illegal zur Untermiete lebte und der Vermieter immer an der Tür rüttelte und brüllte: " I know that Janice doesn't live here". Auch Mäusegeschichten kann einem hier jeder erzählen. Gerade sagt mir Helios, mein venezianischer Kollege, der sich immer noch ein bißchen darüber ärgert, daß er den Wettbewerb Wer-hat-mehr-Brücken-Venedig-oder-Hamburg verloren hat, er habe eine Maus im Büro, und das sei alles ganz harmlos.

Hatte ich schon erwähnt, daß ich keinen Wert darauf lege, jedes Abenteuer, daß es in New York zu erleben gibt, persönlich zu erleben? Wenn zur Zeit keine persönlichen emails kommen, verzeiht mir, ich bin auf Wohnungssuche..