Samstag, 1. September 2007

Indien und Verkehr

Eigentlich wollten M. und ich nur gemütlich zum Internetcafé laufen.War ja auch ganz in der Nähe. So sah es jedenfalls auf unserer Karte im Reiseführer aus. Aber der ist eben mathematisch ganz exakt, berücksichtigt jedoch den Stressfaktor nicht.

Natürlich gibt es in Indien keine Bürgersteige. Fußgänger reihen sich einfach nahtlos in den fröhlichen Aufgalopp von Rikshas, Autos, Fahrrädern und natürlichden Kings of the Road - den Kühen - ein. Nun hatte der Schatz mir vor der Reise zwar noch ein Feuerzeug aufgedrängt (falls wir mal in der Wüste von Radjahstan verloren gehen und uns hungert und friert, dann können wir einenTiger jagen, oder so), aber wir hatten keine Hupe! Es fährt sich in Indien des nachts wunderbar ohne Licht, aber ohne Hupe ist man einfach kein Mensch und eine adäquate Teilnahme am Straßenverkehr ist ausgeschlossen.

M. war empört über die Fahrradrikshafahrer, die uns vom ersten bis zum letzten Schritt belagerten und in rasender Geschwindigkeit ihre Preise senkten, um uns in ihr abenteuerliches Gefährt zu locken. Aber ich kannte die Burschen schon aus Vietnam, und blieb ganz professionell und gelassen. Außerdem war ich ganz froh, dass sie uns seitlich abschirmten. Die Inder mögen sich mitten auf der Straße ohne Licht ja ganz wohl fühlen. Aber wie alle wissen, bin ich kein Inder. Auch kam mir der Junge sehr gelegen, der uns zunächst in die Fahrradriksha seines Kumpels locken wollte, sich aber dann dazu entschloss, mich nicht nur sprichwörtlich an die Hand zu nehmen und mir über die Straße zu helfen, als sich für ihn herausstellte, daß bezüglich Fahrradriksha bei mir nichts zu holen war, und für mich, dass ich einer zehnspurigen Straße aus Rikshen mit verschiedenen Untersätzen ,Eseln, Fahrrädern, rasenden Autos und Mopeds einfach nicht gewachsen bin.

Als wir völlig erledigt vor dem Internetcafe noch einen Abstecher ins Restaurant machten, waren wir heilfroh, dass man uns gleich bereitwillig Bier servierte. M. meint nämlich schon, wir könnten zu Hause einfach antworten "Entziehungskur", wenn man uns fragt, was wir in Indien gemacht haben.

Zu Indien und Verkehr fällt mir noch eine ganze Menge ein. Um nicht zusagen, ich könnte Bände damit füllen. Zum Beispiel die indischen Omas, die im Sari bei ihren Enkelsöhnen auf dem Gepäcktraeger Moped fahren, oder das Taxi, mit dem wir heute in die versunkene Mongulenstadt Fatepur Sikri fahren sollten. Ich bin mir sicher, für jeden Automechaniker wäre der Anblick ein Hochgenuss gewesen. Alle Leitungen und Kabel konnte man ungestört von lästigen Armaturenbrettern studieren. Warum M. schreiend ausstieg, irgendetwas von Kuba faselte und nach einem neueren Baujahr verlangte,verstehe ich immer noch nicht. Na ja, immerhin sind wir hinterher ganz komfortabel in die versunkene Mongulenstadt gekommen, auch wenn die Inder den Linksverkehr von ihren Kolonialherren nur näherungsweise übernommen haben. Links ist ja auch nicht immer ein Plätzchen frei.

Daß wir in Fatepur Sikri dem blödesten Touristennepp von allen aufgesessen sind, wird uns bis ans Ende unserer Tage quälen! Geschäftstüchtig, wie wir nunmal sind, hatten wir den Touristenführer auf 100 Rupien heruntergehandelt. Er zeigte uns dafür die Paläste der hindischen, der muslimischen und der christlichen Frauen von Akbar, der ein weiser Mann war und allen Religionen gerecht werden wollte. Nur die Moschee konnte uns der Führer aus irgendwelchen Gründen nicht zeigen, deswegen musste diese Aufgabe sein Onkel übernehmen. Aber was soll's, war ja alles im Preis inbegriffen.

Nun steht aber vor der Moschee ein Hinduheiligtum.Wenn man dort alles richtig macht, das heißt indisches Tuch kauft, Blütenblätter und ein paar Bänder, dann kann man sich bis zu drei Dinge wünschen, die alle in Erfüllung gehen. M. und ich sind beide bescheiden und wollten uns nur je zwei Dinge wünschen. Nur die Inder sind nicht bescheiden. Sie wollten 500 Rupien für ihre Wünschutensilien bekommen. Der Erlös sollte selbstverständlich ausschliesslich den Armen zugute kommen. M. und ich waren zu benebelt von der Aussicht auf Erfüllung unserer Wünsche, als dass wir Verdacht hätten schöpfen können. Als wir im Heiligtum wieder zu uns kamen, war es zu spät. Ausserdem hatte ich in der Aufregung ein Bändel verloren. Weil meine beiden Wünsche untrennbar miteinander verbunden waren, ist jetzt mein ganzes Leben verpfuscht, falls der Betrug doch kein Betrug war. Immerhin hat M. konsequent die lautstarke Forderung des Priesters überhört, beim Verlassen des Heiligtum den Armen etwas zu spenden. Dabei wäre das vermutlich wirklich den Armen zugute gekommen.

Aber natürlich machte ich den meisten Ärger. M. meint, das hängt mit einem Kapitel über Verkehr vor Indien zusammen. Ich glaube, ich hatte einfach nur Pech. Jedenfalls bin ich mit einer dicken Blasenentzündung in Delhi aufgelaufen, die sich in Agra als handfestes Reisehindernis zu entpuppen begann. Nachdem wir uns die rote Festung von Agra angesehen hatten, musste ich beim Mittagessen in dem auf -10 Grad Celsius heruntergekühlten südindischen Spezialitätenrestaurant etwa zehnmal die appetitliche Toilette aufsuchen und sah mich zur Empörung unseres autoritären Taxifahrers ausserstande, ohne Pause zuerst den Baby-Taj und dann den echten Taj Mahal zu bestaunen. Als ich es entgegen unseren Befürchtungen nach einer mühsam erstrittenen Pause und einer wenig damenhaften Rempelei in der kilometerlangen Schlange an der Sicherheitskontrolle doch noch rechtzeitig auf die Taj-Toilette geschafft hatte und dann auf die Empore, von der aus man den Palast und sein Spiegelbild im davorliegenden Gewässer bewundern kann, brach ich in Tränen aus. Ich erkläre das mit Überwältigung von der Schönheit des Bauwerks, hatte ich doch immer gedacht, man könne davon gar nicht mehr beeindruckt sein, wenn man doch alles schon auf Fotos und in Filmen gesehen hat. Aber was man sieht, wenn man im Abendsonnenschein davor steht, das Licht, die Blumen, die arabische Schrift, das strahlende Weiss - das ist bringt den abgebrühtesten Straßengangster zum Weinen.

M. meint hingegen, ich hätte geheult, weil mir das Schicksal in dem Moment nicht nur den Taj, sondern mindestens ebenso plastisch die Aussicht auf einen Indienurlaub auf der Toilette vor Augen führte.

Nun zum Schluß gelang es mir doch, die Bakterien durch den Konsum von etwa zehn Litern Wasser auszuschwemmen. Dennoch liess ich mich nicht davon abhalten, sicherheitshalber mit Frau K. von der deutschen Botschaft in Delhi per Mobiltelefon zu konferieren. Die wiederum empfahl mir Cenofloxilin, ohne es mir aber zu empfehlen, denn das darf sie bei einem Antibiotikum nicht. Dann schärfte sie mir ein, eine Apotheke mit regem Kundenverkehr zu wählen und mir vorher die Packung zeigen zu lassen.

Leider ist man in Indien seinem Rikshafahrer hilflos ausgeliefert und dessen Kumpel hat nun einmal eine Apotheke, die eher einem Kiosk gleicht, dafür aber anders als die Trinkhallen in Berlin gar keinen Kundenverkehr hat. Zum Ausgleich hat er auch keine Packungen, aber das Medikament wurde von dem besten multinationalen Unternehmen in Indien hergestellt, wie er mir treuherzig versicherte.

Die arme M. musste nun leider am nächsten Tag mit mir im Zug nach Jaipur fahren, denn der hat im Unterschied zu dem konfortablen Bus mit Klimaanlage eine Toilette. Sicher ist sicher! Das hat den Vorteil, das wir uns am Bahnhof in einer Reihe mit den VIPs und den Freiheitskämpfern anstellen durften, die in Indien in die gleiche Kategorie fallen wie die ausländischen Touristen. Der Nachteil ist, dass wir keinesfalls auf einer gemütlichen Bank sitzen dürfen wie auf dem Hinweg nach Agra, sondern uns sechs Stunden lang auf drei übereinanderhängende Pritschen betten müssen. Jedenfalls behauptete das unser freundlicher Rezeptionist, nachdem er zuerst sein Mittagessen mit uns geteilt und dann unsere Fahrkarte studiert hatte. Ich sehe der Reise trotzdem gelassen entgegen. Immerhin können wir dann endlich mal schlafen.

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