Mittwoch, 23. Januar 2013

Dreißigkrise erstmal verschoben


Email aus New York - Sommer 2003

Vielen Dank Euch allen für die zahl- und einfallsreichen Segenswünsche, Ratschläge und Aufmunterungen zum runden Geburtstag, der deutlich intensiver und tiefsinniger kommentiert wurde als alle früheren Wiegenfeste zusammen.

Die elektronischen Nachrichten, umsäumt von fernmündlichen Highlights der - nichts für ungut - immer etwas aktiveren Kreischziegen, reichten von einem schmeichelhaften Hinweis eines Gratulanten darauf, daß ich immer alles zu erreichen schiene, was ich mir in den Kopf setze, und ihm daher nur noch übrig bliebe, mir Gesundheit und einen guten Start in Paris zu wünschen, über offenbar tiefempfundene Gratulationen dazu, daß mir durch meinen geschickt geplanten Amerika-Aufenthalt nun das erniedrigende Treppenfegen am Rathaus unter johlendem Applaus meiner "Lieben" erspart bliebe, bis zu den Ausführungen eines (überforderten oder zu kurz gekommenen?) Kollegen über die rege Libido dreißigjähriger Frauen, mit der Männer mit zunehmenden Lenzen immer weniger mithalten könnten.

Der krönende Abschluß der Reigen der Gratulanten war, wie sollte es anders sein, meine Mutter, die mir nach einem längeren Vortrag über die Wetterlage am 6. August 1972, die komplikationsfreie Geburt und das einhellige Entzücken sämtlicher Hebammen und sporadischer Krankenhausbesucher über das Ergebnis, ebenso tief und fest wie unaufgefordert versprach, den "Freundin"-Artikel mir dem Titel "Jung, erfolgreich und unzufrieden: Die neuen Dreißigjährigen" zu studieren, um mich bei unserem nächsten Telefonat über dessen Inhalt unterrichten zu können.

Natürlich darf man sich dem Zeitgeist nicht komplett entziehen, und deswegen habe ich sehr ernsthaft und intensiv darüber nachgedacht, ob es jetzt nicht geradezu meine Pflicht sei, eine allumfassende bridgetjonesmäßige Dreißigkrise hinzulegen, in Panik über mein unausgefülltes Berufsleben zu verfallen und heimlich Lebensläufe während der Arbeitszeiten zu verfassen, um dieses Problem zu bekämpfen. Dazu müßte ich dann Alkoholeinheiten und Kalorien zählen (was ist eigentlich eine Alkoholeinheit?), um der ausufernden Pfunde Herr zu werden, und umgehend jede Party, auf der nach meinem brachliegenden Liebesleben gefragt wird, mit einem Nervenzusammenbruch verlassen. Aber Problem 1 und 2 erschienen mir augenblicklich für unaufgesetzt wirkende Panik nicht akut genug, zumal ich in New York vor lauter Aktivität wieder einmal kaum richtig zum Essen gekommen bin, und ich mich eher etwas schwach auf den Beinen fühle. Aus Problem 3 ließe sich hingegen sicherlich etwas Größeres machen, nicht zuletzt weil mir Gesas Mutter angesichts meiner Ausbildung und sonstiger Qualifikationen nur minimale Chancen auf dem Heiratsmarkt einräumt. Auf der anderen Seite legte mir eine sehr erfahrene Nachbarin beim Galao im Transmontana unlängst sehr überzeugend dar, daß man noch keinen echten Anlaß zur Sorge hätte, solange die Leute noch direkt nach dem mangelnden Partner fragen. Schlimm würde es erst, wenn nur noch hinter vorgehaltener Hand darüber getuschelt würde. Außerdem finden sich in letzter Zeit öfter Einladungen zum Weintrinken nach Hoboken, blumige Komplimente und liebevoll zusammengestellte CDs mit damit verknüpften Einladungen an italienische Strandparadiese ein. Nachdem ich über ein Jahr lang vergeblich darauf gewartet hatte, daß die jungen Männer in Scharen gewaltsam in mein dunkles Büro im Hamburger WiWi-Bunker eindringen, während ich mich ausschließlich Problem 1 widmete, geben mir auch schon solche Kleinigkeiten großen Auftrieb. Also habe ich mich dazu entschlossen, mich an die Heldinnen der neuen "Sex and the City" Staffel zu halten, die hier gerade angelaufen ist. Ich will mich darum bemühen, schön, lebensfroh, beruflich erfolgreich und gegebenenfalls promiskuitiv zu sein. Wenn sich die Sache mit dem Lebenspartner in fünf Jahren nicht von selbst erledigt hat, kann ich mit der Panik ja nochmal neu ansetzen.

Pünktlich zu meinem Geburtstag flog Silke nach einer dramatischen Diss-Abgabe, einer durcharbeiteten und zwei durchfeierten Nächten in New York ein. Nun will ich nicht behaupten, daß die Ankunft reibungslos verlief, aber immerhin im Ergebnis erfolgreicher als die von Sandra und Birgit. Jedenfalls gelang es uns irgendwie, schwer bepackt mit Picknick-Material an dem See im Central Park aufzulaufen, den ich für meine Feier ausgewählt hatte, noch bevor sämtliche Geburtstagsgäste den malerischen Ort mit Blick auf ein Miniaturschloß und Wolkenkratzer wieder verlassen hatten. Die ebenso zahlreichen wie raffinierten Salate, die ich unter Yvonnes strenger Aufsicht am Vorabend liebevoll zusammengestellt hatte, wurden hoch gelobt, ebenso wie die Größe und die Internationalität der Geburtstagsgesellschaft. Tatsächlich palaverten wir auf allen möglichen Sprachen wild durcheinander, tranken Wein, lachten, scherzten und schlugen die Laute, bis uns die Parkwächter unterstützt von den Ratten aus dem Park verjagten.

Nach einem Absacker in einer naheliegenden Bar, mußte ich die übernächtigte Silke durch die schwerste F-Zug-wird-zum-G-Zug-und-ich-folge-blind-einem-Brooklyner-der-selbst-keine-Ahnung-hat-Krise seit meiner Ankunft im wesentlichen tragen. Seither haben wir uns jedoch glänzend amüsiert, waren mit Maurizio, Luca und Ana in Harlem im Jazzclub und in Coney Island mit den Russen baden, wo wir uns von einem lettischen Theologiestudenten, der einmal ein Auslandssemester in einem russisch-orthodoxen Bischofssitz bei München (?) verbracht hatte, Pelmeni servieren ließen. Zum Glück schläft Silke so lange, daß ich auch am Wochenende noch alle meine Arbeiten erledigen kann, bevor ich sie und ihren Unternehmungsgeist nach Kräften unterstütze.

Alle, die sie kennen, ahnen schon, daß sie das Image der müden Silke unter keinen Umständen auf sich beruhen lassen wollte. Also sind wir am Sonnabend nach dem obligatorischen PS1-Techno mit integriertem Kunstgenuß nach Brooklyn in die Smith Street geeilt, wo die italienische NYU-Community nicht nur geschlossen wohnt, sondern auch gerne lärmend und wild gestikulierend zum Essen ausgeht. Dort sind wir blind ihren Menüvorschlägen gefolgt, was sich als wesentlich erfolgreicher herausstellen sollte, als Brooklynern auf F-Zug-Odysseen zu folgen. Leider lehnten es zumindest die Paare mit eifrigen Vertröstungen auf das kommende Wochenende kategorisch ab, Silke und mir ins East Village zum Tanzen zu folgen. Am Sonntag beim Frühstück gestanden sie mir hinter vorgehaltener Hand, daß sie Angst vor Silkes offensichtlich großer Motivation gehabt hatten. Verständlich.

Nur Paolo wartete mit einer amerikanischen und einer russischen Freundin an der Bleeker Street auf uns, so daß die italienischen Buschtrommeln es bereits am nächsten Morgen bis an die Smith-Street kommuniziert hatten, daß wir auf dem Weg von Carroll Gardens nach Manhattan einen netten jungen Mann namens Derrick kennengelernt hatten. Natürlich bei F-Zug-Unregelmäßigkeiten! Er sollte sich als sehr wertvoller Szenekenner entpuppen, wenn er uns auch allesamt in den A-Zug in Richtung Far Rockaway anstatt nach Manhattan lotste. Nachdem er uns zahlreiche Tanz- und Trink-Hotspots empfohlen hatte, waren wir jedoch bereit, darüber hinwegzusehen, und luden ihn ein, uns auf einen Drink zu folgen.

Derrick arbeitet für AT&T im Mobilfunkbereich. Neben seinen Szenetipps hat uns sehr seine Erklärung dafür erfreut, warum die Europäer anders als in allen anderen Hochtechnologiebereichen im Mobilfunk einen gewissen Vorsprung vor den Amerikanern haben. Staunend durften wir erfahren, dies sei darauf zurückzuführen, daß es für die Europäer besonders lohnend war, ein Mobilfunknetz einzurichten, während die Amerikaner doch bereits überall schon Kabel verlegt hatten und daher auf ein funktionierendes Festnetz zurückgreifen konnten. Am nächsten Tag analysierten wir, daß Derrick wohl von einigen ländlichen Gebieten Finnlands auf das europäische Ganze geschlossen haben müsse. Da uns allen gelegentlich nicht ganz zulässige Verallgemeinerungen unterlaufen, haben wir es ihm nachgesehen, zumal sich sein Szenetipps als erstklassig erweisen sollten.

Nachdem wir uns im Tapis Rouge so lange die Füße zusammen mit geschmeidigen Afroamerikanern wund getanzt hatten, bis es Silke zu grabschig wurde, beschlossen wir uns auf die Suche nach einer geeigneten Bar für einen Absacker zu machen. Das kann kaum später als drei Uhr gewesen sein. Trotzdem sollte sich die Suche als äußerst schwierig erweisen, und dies obwohl wir uns in Manhattans Nr. 1 Vergnügungsviertel befanden. Wir irrten solange verzweifelt auf der Suche nach der 10th Street Lounge umher, bis Silke einen etwa mittezwanzigjährigen Blondschopf mit einem wildgemusterten Polyesterhemd aus einem Taxi zog, das ihn und seine Freunde wohl mit ähnlichen Absichten wie unseren gerade in dieser Gegend absetzte. Es bedurfte kaum großer Mühen, ihn davon zu überzeugen, seine Freunde stehenzulassen und stattdessen uns auf unseren Absacker zu begleiten.

Nur war die 10th Street Lounge natürlich geschlossen, was soll man auch anderes erwarten in New York City, wenn die Nacht gerade erst angefangen hat. Auch eine längere Taxifahrt nach Tribeca ins Sugar sollte sich in alkoholischer Hinsicht als vollkommen fruchtlos erweisen. Dafür erzählte uns Chris, der sich uns als koksender Investmentbanker empfahl, eine spannende Geschichte, wie er von einem angeblichen Undercover-Polizisten in der Vornacht beim Drogenkonsum beobachtet und danach um 900 US-Dollar erleichtert wurde. Natürlich sicherten wir ihm sofort unsere Sympathie und die Übernahme aller anfallenden Taxi- und Getränkekosten zu, was ihm wiederum peinlich zu sein schien. In Tribeca überschütteten wir ihn solange mit Hohn und Spott über "the City that never sleeps", in der man um halb vier noch nicht einmal mehr ein Bier bekommt, bis er verzweifelt bei einem Delivery Service anrief, und mit der Zusatzerklärung, daß er zwei junge deutsche Damen zu versorgen hätte, zwei Sechser-Packs Brooklyn Lager orderte. Als Silke schließlich in seiner vollkommen verwahrlosten Investment-Banker-Junggesellenwohnung in Lagerfeuermanier die Bierflaschen entschlossen mit dem Feuerzeug öffnete, brach der sichtlich ermüdete, wenn auch bestens unterhaltene Mann, endgültig zusammen.

Ich versuchte ihm noch das Versprechen abzunötigen, daß er im nächsten September beim Messiahs-Sing-In in der Avery Fisher Hall mitsingen würde. Entrüstet verwahrte er sich dagegen, daß ich sein Leben ändern wolle, das nun einmal nur aus Arbeiten und Ausgehen bestünde. Dabei hatte ich eigentlich nur in die Gestaltung eines einzigen Abends eingreifen wollen. Nach ein paar matten Versuchen, uns mit seinen Drogengeschichten zu beeindrucken, gestand er uns schließlich unter Tränen - na, ja, beinahe jedenfalls- , daß er eigentlich nur deswegen so viel kokst, trinkt und ausgeht, weil er schüchtern ist und hofft, auf diese Art und Weise eine Frau kennenzulernen und sich zu verlieben, um endlich nicht mehr koksen, trinken und ausgehen zu müssen.

Immerhin erwies er sich als vollendeter Gentleman und begleitete uns morgens um sieben zur U-Bahn, die uns völlig überraschend auf direktem Wege sicher nach Hause brachte.

Samstag, 19. Januar 2013

Umwelt-Al-Quaida aus Germany


Email aus New York, Sommer 2002

Als ich mich letzten Sonnabend so richtig in Rage geschrieben hatte und mich gerade ausschweifend über die Hasenfüßigkeit der Amerikaner nach dem 11. September ausließ, erloschen auf einmal alle Lichter, auf der Straße heulten Feuerwehrsirenen und als ich vorsichtig aus dem Fenster lugte, konnte ich gerade noch drei Militärflugzeuge erspähen, die in Richtung Brooklyn schossen.

Etwas eingeschüchtert dachte ich mir "Hochmut kommt vor dem Fall", und weil ich nicht auf das Internet zugreifen konnte, rief ich vorsichtshalber in Deutschland an, um herausfinden, was in New York gerade vor sich ging. In den Sieben-Uhr-Nachrichten waren indes keine besonderen Vorkommnisse aus der Neuen Welt gemeldet worden, außer der, daß Doris Schröder-Kopf New York City liebt und gerne zu mir stoßen würde. Der Kanzler, so wurde mir berichtet, stritt energisch ab, daß dieser Plan mit seiner Amtsmüdigkeit im Zusammenhang stehen könnte, und ich konnte auch nach langem Überlegen keinen Zusammenhang mit den Feuerwehrsirenen und den Düsenjets herstellen.

Ohne Licht und ohne die Möglichkeit Euch meine Erlebnisberichte zu schicken, irrte ich also hilflos in den Straßen herum, bis es Zeit war Jenny am Bahnhof abzuholen. Wie sich herausstellte war ein Transformator in einem Elektrizitätswerk in Flammen aufgegangen. Jetzt bekomme ich immer Sammelemails vom Präsidenten der NYU-Verwaltung, ich möchte doch immer schön das Licht ausschalten und Strom sparen helfen. Ihr könnt Euch vorstellen, daß ich dies nur als blanken Hohn empfinden kann, denn nichts wäre mir lieber, jemand würden endlich mal die Klimaanlage ausschalten und aufhören, mein Büro in ein Gefrierfach zu verwandeln.

Wieland von der Humboldt-Uni hat ähnliche Empfindungen, zumal seine Mitbewohnerin grundsätzlich alle Lichter anläßt, wenn sie die Wohnung verläßt. Der arme Elektriker, der am Mittwoch in unseren Büros Bewegungsmelder zum Energiesparen anbrachte, die dafür sorgen, daß automatisch das Licht nach DREISSIG Minuten ausgeht, wenn sich niemand mehr im Raum bewegt, sah sich völlig schuldlos bohrenden Fragen und hitzigen Anschuldigungen der gesamten deutschen Gemeinde auf dem achten Stock ausgesetzt. Wir alle meinten, ihm auf das Energischste mitteilen zu müssen, daß man viel effizienter Energie sparen könne, wenn einfach alle selbständig das Licht ausschalten (und die Klimaanlage), wenn sie den Raum verlassen.

Am Wochenende besuchte mich Sabrina mit Schatzi und wir machten uns gemeinsam einen Spaß daraus, beim Betreten von Museen, öffentlichen Gebäuden und U-Bahnen jedesmal umständlich unsere Pullover anzuziehen, uns heftig die Nase zu schneuzen und dann anklagend zu gucken. Gestern Abend stellten wir nach einem langen Marsch durch Brooklyns ethnische Stadtviertel zusammen mit Schatzi mal so richtig New York auf den Kopf, indem wir uns am Küchentisch einen Eßlöffel Hustensaft nach dem andern die Kehle herunter jagten, bevor wir um zehn Uhr ins Bett fielen. Hoffentlich legt sich das wieder.

Neben meinen akademischen Errungenschaften bemühe ich mich intensiv meine Szenescout-Qualitäten fortzuentwickeln und stürme sämtliche Open-Air-Tanzveranstaltungen der Stadt. Eines meiner Highlights ist das PS1, ein Museum für moderne Kunst in Queens, wo sonnabends im Innenhof wechselnde DJs die neuesten Scheiben auflegen. So kann man den Nachmittag damit verbringen, ein bißchen zu tanzen, Bier zu trinken und sich zwischendurch über die letzten Trends sowohl der modernen Kunst als auch der Sonnenbrillenmode zu informieren. New York ist bekanntlich eine kleine Stadt und natürlich liefen mir vor dem PS1 Niamh and Turlock, zwei irische Freunde von Yvette über den Weg. Nach und nach trudelten auch Turlocks Kollegen ein, deren erster ein Inder war, der zweite ein Chinese, der dritte ein Jamaicaner und ein weiterer ein Afro-Amerikaner. Das ist New York!

Etwas anderes als Afro-Amerikaner kann man hier nicht in den Computer tippen. Wenn man die Hautfarbe zur näheren Personenbeschreibung hinzuzieht, erschrillt eine Uni-eigene Alarmglocke, man wird verhaftet und ohne Berücksichtigung der Menschenrechte nach Guantamo Bay gebracht. Helen berichtete mir neulich, daß sie für einen Freund, der ein Drehbuch für den deutschen Markt verfaßt, eine bekannte Süßigkeit, die gerne auf Kindergeburtstagen serviert wird - außen schokoladig und innen weiß - beim deutschen Namen nennen mußte. Um diese email zu schreiben, ist sie extra vom Büro nachhause gefahren, aus Furcht vor den Konsequenzen für ihre Anwältinnen-Karriere.

Wie auch immer, der Afroamerikaner war sehr nett, und berichtete mir von seiner Kindheit in einem Brooklyner Stadteil, wo er aus Furcht um sein Leben seine Wohnung nie verlassen konnte. Inzwischen ist er zurück in Brooklyn, anscheinend jedoch in einer sichereren Gegend. Der Jamaicaner war auch sehr nett und bot mir beim Tanzen sofort Marihuana an. Das wäre gar nicht nötig gewesen, denn obwohl wir im Freien tanzten, konnte man lässig auch vom Mitrauchen high werden. Jeder ,der meine Erfahrungen auf einer inzwischen legendär gewordenen Hasch-Kekse-Party kennt, deren Ausrichter ich hier aus Datenschutzgründen nicht namentlich nennen möchte, wird sich denken können wie meine Antwort lautete. Ich lehnte höflich ab, mit dem Hinweis, daß ich nicht Marihuana rauche. "It's okay", meinte der Jamaicaner gelassen:"everybody has their limitations." Hier in New York ist man eben entspannt und gelassen, und jeder darf so sein, wie er will.

Auf dem Bootsanleger in Chelsea trainiere ich bei "Spice" jetzt jeden Mittwoch Samba und neulich war ich in einem tschechischen Biergarten in Queens tanzen zusammen mit Brian und seinem entzückenden bulgarischen Freund Ruman. Der erfreute mich mit seinen Schwärmereien darüber, daß alle seine Bekannten die nach Deutschland auswanderten ganz verliebt in unser Land sind, weil dort alles so schön grün und sauber ist. Das war Balsam für meine geschundene Seele, denn ansonsten hat man ja als Deutsche im Ausland nichts als Kummer und Sorgen. Der Höhepunkt war Antonio, der mich gestern beim Mittagessen wissen ließ, daß Nordeuropäer sich nicht so gut zu amüsieren verstehen wie Südländer. Dazu muß man wissen daß Antonio zwar ein guter Junge, aber alles andere als eine Stimmungskanone ist. Nun gut ich versuche das sehr philosophisch zu sehen. Vielleicht gewöhne ich mir hier dadurch neben Szenescoutqualitäten noch echte Gelassenheit an und bewege mich bald so elegant wie N.

Am Freitag habe ich es geschafft mir einen italienischen Kommunisten anzulachen, der nicht älter als 32 ist. In seiner Freizeit singt er am liebsten Partisanenlieder und liest Adorno auf Deutsch. Komischerweise versteht er in der gesprochenen Sprache jedoch die einfachsten Sätze nicht. Ich habe ihm mein Beileid ausgedrückt, weil er nicht dreißig Jahre früher geboren wurde. Aber er meint er sehe sich nicht als Überbleibsel einer längst vergangenen Zeit, sondern als Vorbote einer neuen Revolution. Na da bin ich ja mal gespannt!

Über Viren und die menschliche Eitelkeit/acht Millionen geschundene 11.-September-Seelen


Email aus New York, Sommer 2002

Nachdem es etliche Klagen über zusammenbrechende Mailboxen gab, alle Leser mit hotmail-account die letzte, reich bebilderte Nachricht nicht erhalten haben, und Malte Bedenken äußerte, die knallharte digitale Realität könne eventuell hinter meinen blumigen Schilderungen zurückbleiben, habe ich mich entschieden, mich doch wieder mehr auf meine Qualitäten als Geschichtenerzählerin zu konzentrieren und allenfalls ab und zu noch einmal ein besonders gelungenes Foto zu schicken. Ich sage mir "Schuster bleib bei Deinen Leisten", denn schließlich will ich nicht so enden wie Daimler Benz, die jedesmal auf die Nase fallen, wenn sie versuchen sich zu diversifizieren.

Nun habe ich aus Angst vor Viren, drei Jahre lang von jeder Datei, die meine Doktorarbeit betraf, völlig umsonst Sicherheitskopien gemacht : Eine auf dem Desktop, eine auf dem Notebook, eine auf dem Server und eine mußte mein Vater jeden Abend auf seinem Computer ablegen, ohne genau zu wissen, was er da tut. Jetzt hat es mich getroffen. Ein Wurm schlich sich auf meinem Computer ein, den mir Werner Bönte geschickt hatte, wahrscheinlich als Dank dafür, daß ich immer seine Aufsätze lese und mit meinen intelligenten Kommentaren Schwung in seine wissenschaftliche Karriere bringe.

Ich habe keinerlei Anhänge geöffnet und mich auch sonst völlig korrekt verhalten. Die Betreffzeile war sofort verdächtig, dennoch wollte ich eben mal "previewen", wie man im Hacker-Slang sagt, um zu sehen, ob es doch etwas Wichtiges ist. Schon war es passiert. Das Virenkiller-Programm ließ sich aus irgendeinem Grund nicht installieren, was ich sogleich auf die üblen Machenschaften des Virus zurückführte. Nach mehreren Stunden hektischen Recherchierens im Internet und etlichen panischen Anrufen bei Luca und Malte, der zur Ruhe mahnte, hatte ich dann auch irgendwann den Namen des Virus, genauer handelte es sich um einen Wurm, herausgefunden und mich über die Besonderheiten seiner Übeltaten informiert. Eigentlich gab es im Internet auch Anleitungen, wie man ihn manuell entfernen kann, aber so richtig konnte ich mit alledem nichts anfangen. Nachdem Alejandro anfing, mir von seiner Grippe zu erzählen, als ich ihn um Hilfe bei dem Kampf gegen den Virus bat, kam ich zu dem Schluß, daß hier Fachmann ranmuss und machte mich auf zu Computer Services am Astor Place.

Ich sollte bei dieser Gelegenheit kurz anfügen, daß hier trotz 30 Grad Celsius Außentemperatur jeder Grippe hat, weil sich die Amerikaner einen Spaß daraus machen, mit ihrer Klimaanlage Büros und U-Bahnen auf Temperaturen nahe dem Gefrierpunkt zu bringen und dafür Straßen und U-Bahn-Schächte auf 40 Grad zu heizen. Neulich erzählte Anna, daß 1.) die Frau von Francesc mit Winterpulli und HEIZKÖRPER ins Büro geht und daß 2.) der angehende Vermieter ihrer Freundin mit einem entnervten "Oh you Europeans with your windows" reagierte, als sie sich erkundigte, ob man vielleicht die Fenster auch öffnen könne. Das ist dann immer unser Einsatz, verzweifelt die Hände gen Himmel zu strecken und in ein lautes europäisches Wehklagen über die Sünden und Perversionen der Amerikaner auszubrechen. Das ist unser Lieblingsspiel, wir machen das mindestens einmal am Tag. Insgeheim stelle ich mir vor, daß die alten Germanen Ähnliches taten, wenn sie mit ihren Keulen in Rom zu Besuch waren, und die Patrizier dabei beobachteten, wie sie mit Pfauenfedern in ihrem Hals kitzelten, um nachher noch ein bißchen weiter essen zu können. Man fühlt sich dann einfach nicht mehr so schäbig dabei, auf den Bäumen zu leben. Ist es das?

Aber zurück zum Thema: Auf der Reeperbahn fällt es mir ab und zu mal schwer, junge Männer zu bezirzen, aber wenn ein feindlicher Virus droht meine getane Arbeit zu zerstören und künftige Schaffenskraft zu hemmen, dann kann ich zu Höchstformen auflaufen. Sicher ist es nicht die Aufgabe von NYUs Computer Services Abteilung Viren von den privaten Computer illegal eingereister Gäste zu entfernen, doch der Chinese am Empfang war im Handumdrehen mein und Schwups hatte ich einen Termin am nächsten Tag, für den er sich ein geschlagene Stunde Zeit nahm, um gemeinsam mit mir dem Virus den Garaus zu machen.

Da ich nun schon so ein persönliches Verhältnis zu ihm geknüpft hatte, faßte ich die Gelegenheit beim Schopfe, um mich über ein Rätsel aufklären zu lassen, das meiner Freundin Ines keine Ruhe läßt: Was veranlaßt Virenprogrammierer zu ihren Missetaten? Das sei doch nicht so, daß man dadurch zu Ruhm und Ehren gelangen könnte, argumentiert Ines leidenschaftlich und wild gestikulierend - fast wie ein Italiener, der sich über Amerika aufregt – so wie wenn man einen Aufsatz im „American Economic Review“ veröffentlicht. Und doch ist es genau das, erklärte mir der Chinese. "Recognition" gab er als Motivation an. Als ich einwandte, daß doch niemand wissen könne, wer den Virus programmiert hat, antwortete er "your peers will know". Also, Ines, weißt Du jetzt Bescheid? Für den „American Economic Review“ interessieren sich schließlich auch nur die anderen Torfköpfe, die davon träumen, dort zu veröffentlichen. Wenn man ein bißchen abstrakt denkt, ist alles im Leben im Grunde das gleiche.

Eine interessante Studie über die menschliche Eitelkeit konnten wir auch am Mittwoch anfertigen, als ich mit Sophie aus Starnberg zu "Spice" ging, einer Tanzveranstaltung auf einem Bootssteg in Chelsea. Dort fegte ein ausgesprochen gutaussehender Türke in unserem Alter wie ein junger Salsa-Gott über die Tanzfläche. Er sollte sich nur wenig später als Sophies Doktorvater entpuppen. Zunächst tanzte er etliche gewagte Salsas mit seiner Doktorandin, nicht ohne sie dabei fallen zu lassen. Ich hoffe, daß ist kein böses Omen für ihre Diss, aber ich glaube nicht. Das sieht alles sehr chefig aus, was sie da macht. Dann beklagte er sich darüber, er würde immer bemitleidet, wenn er seinen Beruf angibt. Hochschullehrer zu sein, ist hier in Amerika nur wenig prestigeträchtiger als Highschool-Lehrer und vor allem auch nicht sehr viel lukrativer. Auch wenn wir uns das immer anders vorstellen, in Amerika gibt es 20 bis 50 Elite-Universitäten, für die man ein toller Hecht sein muß, um dort unterrichten zu dürfen, und an denen die Professoren gut verdienen. An den restlichen 6000 Universitäten arbeiten dem Türken zufolge nur arme Teufel. Und irgendwie gelingt es dem bemitleidenswerten Kerl wohl nicht, seinen Gesprächspartnern unterzujubeln, daß er zu der ersten Kategorie gehört.

Ich wollte schon Mitleid mit ihm haben, weil ich befürchtete, daß er immer in der Einkommensklasse zwischen 20.000  und 30.000 Dollar eingeordnet wird (auch darüber klagte er), und dann trotz angenehmer äußerer Erscheinung keine Schnitte beim schönen Geschlecht hat. Aber dann wollte Sophie von ihm die schmutzigen Details der Cocktail-Party anläßlich der Society of Economics Design Konferenz erfahren. Als er lahm behauptete, es gäbe nichts Interessantes zu berichten, konfrontierte sie ihn kurzerhand mit den Knutschflecken, mit denen er offenbar bei seinem Vortrag aufgelaufen war.

Zum einen bin ich jetzt sehr beeindruckt, denn ich kann mir beim besten Willen keinen meiner Professoren Salsa tanzend vorstellen und noch viel weniger mit Knutschflecken auf einer Konferenz. Zum anderen glaube ich jetzt Ines Schilderungen aufs Wort, daß wissenschaftliche Konferenzen hauptsächlich zum Trinken und Flirten genutzt werden, und daß man bei letzterem Vergnügen sich als Frau eindeutig auf der kurzen Marktseite bewegt. Ich freue mich jetzt doppelt auf Venedig und Lissabon. Sophie meint übrigens, sie hätte jetzt eine Menge für unser beider Vergnügen getan und nächstes Mal müsse ich nun N. mit zum Tanzen bringen. Ich habe versprochen, dies bei unserem nächsten wissenschaftlichen Gespräch anzuregen, aber meistens kann ich mich sowieso nicht durch die Phalanx afghanischer Gesandter und finster dreinblickender Warlords bis zu seinem Büro kämpfen. Hinzu kommen noch gewisse Zweifel, ob N. die Salsa-Schritte so beherrscht wie sein junger Kollege, aber davon habe ich Sophie nichts erzählt.

Am Donnerstag war ich im Pfiff, wo Luca kellnert und nahm etliche Drinks mit einem jungen Mann zu mir, der sich mir als westfälischer Bauer vorstellte. Er würde nur vorübergehend eine Fett-Eiweiß-Diät machen - das ist jetzt die neueste Entdeckung in Amerika – in der langen Frist bräuchte er dann aber wieder Kartoffeln. Beruflich macht der westfälische Bauer übrigens Direktmarketing. Unter anderem vermarktet er das Acht-Minuten-Dating, bei dem man mit acht verschiedenen Menschen des anderen Geschlechts jeweils acht Minuten reden muß, um dann schnell zu entscheiden, ob man eine Freundschaft, eine Liebesbeziehung, eine Geschäftsbeziehung oder gar nichts mit ihnen anfangen will.

Danach schüttete mir Lucas Chef, der ein westfälischer Bildhauer und im Nebenberuf Gastronom ist, sein Elftes-September-Herz aus. Er schilderte alle Details, wie er das erste Flugzeug kommen sah, zunächst noch an ein Unglück glaubte, dann aber das zweite kam, und wie innerhalb von fünf Sekunden der erste Turm zusammenbrach. Um dies zu veranschaulichen, zählte er immer wieder bis fünf. Dann die nächsten Tage, wie man ihn nicht mehr nach SoHo zu seiner Wohnung lassen wollte, weil er Ausländer war, wie ihn die Polizei diskriminierte und so weiter und so fort. Und nun kommen die Auswärtigen nicht mehr in sein Restaurant, sondern bleiben schön in Brooklyn und New Jersey. Das glaube ich sofort, denn heute kommt mich Jenny besuchen, die nach dem elften September nie wieder in New York war. Sie ist völlig außer sich vor Angst. Ich weiß gar nicht, was sie hier erwartet, außer daß man leider die Türme nicht mehr sehen kann.

Persönliche Geschichten vom elften September hört man hier von fast jedem, mit dem man länger als eine halbe Stunde spricht. Am 4. Juli haben wir am Grill Stunden damit verbracht. "Everyone has their story - there are eight million of them" meinte Brians englischer Mitbewohner zufrieden, als er mit seiner fertig war. Die Ausländer sind übrigens sehr viel gelassener als die Amerikaner, wahrscheinlich haben die einfach nicht genug Katastrophenerfahrung. Umso weniger verstehe ich, warum Bush so heiß darauf ist, den Irak anzugreifen.

Nachdem Dave nun jahrelang das amerikanische System gegeißelt hat und so stolz darauf war, Israeli und Deutscher zu sein, aber kein Amerikaner, will er sich nun doch einbürgern lassen Seine Begründung: " I wanna kick Osama Bin Laden’s ass".