Sonntag, 23. März 2008

Demokratischer Übergang am Ende der Reise - Kuala Lumpur

Ganz am Ende unserer Reise entdeckten wir den schönsten Markt der Welt, der noch vor dem Marché d'Aligre rangiert. Wir bestaunten die Vermählung von modernen Glas- und Stahlmaterialien mit islamischen Stilelementen in der Architektur von Kuala Lumpur und wurden Zeugen des ausgehenden Wahlkampfs, dessen Ergebnis ein beeindruckendes Beispiel für einen demokratischen Übergang in einer asiatischen Autokratie sein könnte.

Am Ende sind wir zu dem Schluss gekommen, dass uns Kuala Lumpur doch noch besser gefällt als Singapur. Beiden darf man ein glückliches Händchen attestieren beim Wahrnehmen ihrer großen Chance, fast alles in der Stadt in kürzester Zeit neu zu bauen. Jeder der beiden Städte ist es gelungen, den modernen Gebäuden aus Glas und Stahl einen eigene Note zu geben: Singapur mit Feng Shui und angedeuteten Pagoden auf den Dächern ihrer Wolkenkratzer; Kuala Lumpur mit einer Hommage an islamische Formen und fein ziselierte Ornamentik.

Doch die beiden Städte unterscheidet nicht nur die Religion, die in der architektonischen Gestaltung dominiert. Singapur hat alles, was schmutzig und sündig erschien, auf Hochglanz poliert. In dem Eifer, blitzblanke Shopping-Malls zu kreiieren, haben die Stadtväter auch vor der Bugis-Street nicht Halt gemacht, dem einstigen Herzen des Nachtlebens der Stadt mit köstlicher chinesischer Straßenküche, Alkohol und Prostitution. Entstanden ist bei dieser Grundüberarbeitung ein übertrieben sauberes Zürich in den Tropen, in dem der einfache Reisende zu sehr eingeschüchtert ist, um sich unbekümmert zu amüsieren, und sehr viel Glück braucht, um eine Ahnung davon zu erhaschen, wie die Atmosphäre vor der große Aufräumaktion gewesen sein muss. Wie wir, als wir mit unseren Blasen an den Füßen um elf Uhr viel zu spät in dem zur Bonbonniere hochrenovierten Chinatown einliefen, um dort noch in einem der den Touristen empfohlenen Restaurants oder Food-Courts auf ein Abendessen hoffen zu dürfen. Am Ende hatten wir doch noch in dem einzigen noch offenen Restaurant des Viertels Glück, das einer ausgebauten Garage glich und durstige und hungrige Chinesen bewirtete, wahrscheinlich alles Arbeiter und Angestellte aus dem Gastronomiegewerbe, die sich von einem langen Tag im Dienste der Touristen erholten.

In Malaysia hingegen sind garagenartige Restaurants, Läden und Werkstätten, in denen das traditionelle asiatische Leben wirbelt, keine von den Aufräumern der Stadt vergessene Raritäten. Asiatisches Chaos und Gewimmel, traditionelle, malaysische Holzhäuser mit kleinen Gärten und heruntergekommene Plattenbauten stellen viemehr die Normalität dar zwischen den hochaufgeschossenen Architekturwundern der Moderne, die Asiens Streben nach oben und nach vorne symbolisieren. Noch sind nicht alle Essenstände von den Straßen in blitzsaubere Shoppingmalls verbannt und davon machen in Chinatown und Little India deutlich mehr hungrige Inder und spruckende Chinesen als gebügelte weiße Banker und Touristen Gebrauch. Aus Little India wurde der Straßenstrich in das Viertel zurückgedrängt, wo sich unser Hotel befand, und in einer der Nebenstraßen war das Treiben der rund um die Woks auf den Bürgersteigen gelassen spät zu Abend essenden Bevölkerung so selbstvergessen und malerisch, dass ich mich fast in einer malaysischen Version der Bugis-Street des 21. Jahrhunderts wähnte.

Der bunteste und lebendigste Ort der Stadt ist der Chow-Kit-Markt, wenn er auch für so manche Kreatur den sicheren Tod bedeutet. Unter einem niedrigen Wellblechdach werden dort mit großem Sinn für gekonnt angeordnete Farbpracht Obst, Gemüse und Kräuter verkauft, Fische aus dem Eimer gezogen und noch zappelnd mit Präzision geköpft und ausgenommen und auch die Hühner werden vor Ort vom gackernden Federvieh zu einer traurigen am Haken hängenden, nackten und bloßen Suppenzutat verarbeitet.

Möglich, dass diese Unterschiede daran begründet sind, dass Malaysia doch noch sehr viel ärmer ist als Singapur. Oder vielleicht sind Malaysias Volksfrontführer zwar kaum weniger autokratisch, aber dafür nicht ganz so große Ordnungsfanatiker wie die erfolgsorientierten und -verwöhnten Herrscher in dem kleinen Nachbarstaat. In jedem Fall schien es uns in Malaysia ein bißchen mehr Raum für das ganz normale, asiatische Leben zu geben. In Singapur hingegen schien der sich sich auf das Gemeinschaftsbad neben unserem Hotelzimmer zu beschränken - der einzige Ort, in dem wir in diesem Land je Zeugen befreiten chinesischen Spuckens und Rachenentleerens werden durften, üblicherweise von morgens um fünf bis um neun. Zwar raubte uns das ein wenig Schlaf, aber immerhin konnten wir uns sicher sein, dass die Chinesen nicht überall in der Stadt ihre intimen Bedürfnisse unterdrücken müssen.

Doch Malaysia und Singapur haben auch Gemeinsamkeiten. Zum Beispiel erfreut sich auch in Kuala Lumpur das Shoppen größter Beliebtheit. Das wurde uns schon bei unserem ersten Aufenthalt bewußt, als uns die Rezeptionistin unseres Hotels zum Fönkaufen in einen "Minimarkt" schickte, der die Größe des Karstadt in der Turmstraße bei weitem übertraf. Im Bauch des Drachens, dem Straßenzug, in dem die Chinesen besonderes Glück für ihre Geschäfte vermuten, wurde das noch deutlicher. Besonders gefiel mir die Mall "Fluß des Geldes", wegen ihres Namens im wesentlichen. Der Schatz ärgert sich immer noch, dass er nicht mit der Achterbahn gefahren ist, die sich in einer der Malls über fünf Stockwerke erstreckte. Mir zuliebe, behauptet er, hat er darauf verzichtet, weil mir vor zwei Jahren beim Zugucken schlecht wurde, als Clara beim Kirschblütenfest in Werder mit einer Karussellschaukel fuhr, die sich in einem großen Bogen überschlug und gleichzeitig innerhalb dessen in vielen kleinen. Ich ärgere mich mehr, dass wir solche leblosen, miesepetrigen und übersättigten Westler waren, uns in der glitzernden Marmorshoppingmall der Petronas Towers eine Ausstellung moderner malaysischer Kunst anzusehen und im Fluß des Geldes Bücher zu kaufen und sonst nichts. Unser Shopping-Karma war einfach nicht gut. Als ich einmal auf ein entzückendes Babydolloutfit zeigte, meinte der Schatz, so etwas würde mir nicht stehen.

Dafür bekamen wir abends eine Lektion in nordindischer, vegetarischer Küche. Natürlich hatte der Schatz nichts mit vegetarischem Essen am Hut, aber es war uns nicht gelungen, zur rechten Zeit etwas Fleischigeres zu finden. Als wenn das nicht schlimm genug wäre, machten wir auch noch beim Bestellen alles falsch. Mal stellten wir Vorspeisen zusammen, die nicht passten, mal bestellten wir Brot zu Hauptgerichten, zu denen Reis passte und umgekehrt. Bei jedem Fehler sah uns der sanft sprechende Kellner traurig an und zog sein Kinn leicht zur Seite. Der Schatz wurde sofort hektisch und änderte bei jeder leisen Kritik mit der Spitze des Kinns komplett seine Bestellung, nur um sich dabei erneut dicke Schnitzer zu leisten und sich dafür ein noch heftigeres Kinnzucken einzufangen. Ich - ganz Frau - bemühte mich indessen redlich das Englisch des Kellners zu verstehen und die Bestellung nur soweit zu korrigieren wie notwendig. Das zahlte sich aus. Als der Schatz mit seiner grünen Matschpampe kämpfte und ich mit meiner roten, unter keiner der beiden man noch erkennen konnte, ob man Fisch, Fleisch oder Käse aß, kam der Kellner mit kritischem Blick an unseren Tisch und bedeutete mir, ich sollte nicht nur den Reis mit der roten Matschpampe vermischen, sondern auch gleich noch mit der grünen und dann alles mit dem Brot aufschaufeln. "Mix, mix, mix?" fragten ich ihn ungläubig mit einer großzügigen Handbewegung, die alle Speisen auf dem Tisch umfasste. "Mix, mix, mix", bestätigte er zufrieden. Von da an waren wir Freunde. Der Schatz machte sich zu guter Letzt vollkommen unmöglich, indem er einfachen Tee bestellte, obwohl der Kellner ihm mit sanfter Stimme gewürzten Tee angeboten hatte. Natürlich verhielt ich mich weltgewandter und wählte die Gewürze. Am Ende fragte uns der Kellner: "Madam, where are you from?". Und ich durfte zum ersten Mal in diesen Breitengraden erleben, wie ein Mann dermaßen seinen Kredit verspielte, dass er an meiner Stelle ignoriert wurde.

Der Wahlkampf war ein großes und besonderes Erlebnis auf unserer Reise. Wie bereits erwähnt tobte dieser besonders in den östlichen Provinzen des Landes in Form einer wilden Fahnenschlacht zwischen der regierenden Volksfront und den dort erstarkenden Islamisten. Es gibt aber noch weitere Oppositionsparteien, eine davon religions- und ethnienübergreifend geführt von einem ehemaligen Vizepremier der Volksfront, dem es allerdings noch bis Frühjahr verboten ist, politische Ämter auszuüben. Offenbar sind das Folgen einer Anklage wegen Homosexualität, mit deren Hilfe man dereinst versucht hatte, ihn aus dem politischen Leben zu entfernen. Eine weitere Oppositionspartei hat hauptsächlich unter den erfolgreichen und geschäftsorientierten Chinesen Anhänger. Außer den Fahnen standen den Oppositionellen nicht viele Mittel für Wahlkampf offen, denn die Volksfront hat die Medien fest in der Hand und Zeitunglesen ist ein wahres Ereignis. Die ersten 30 Seiten sind ausschließlich Porträts von Volksfrontvertretern gewidmet, insbesondere Geschichten darüber, wie sie an der Seite ihrer Gattin voll väterlicher Güte in ihrem Wahlkreis erklären, dass nur die Volksfront Regierungserfahrung hat, und wie sie Mitgliedern ihrer Ethnie dringend davon abraten, die Opposition zu wählen, denn wer solle dann noch die Interessen dieser Volksgruppe vertreten. Weitere fünf Seiten sind negativen Nachrichten über Oppositionsvertreter und ihre gewalttätigen Anhänger gewidmet. Diesen Hindernissen zum Trotz nahm die Opposition alle Möglichkeiten wahr, sich bemerkbar zu machen, in den letzten Nächten vor der Wahl zum Beispiel mit Auto- und Motorradcorsi, bei denen sie wild hupend durch Kuala Lumpur fuhren und die Fahnen aller drei Oppositionsparteien schwenkten, so dass ich schon dachte, in Malaysia kämen die Frischvermählten erst nachts um drei aus der Moschee. Die Parteien hatten bei dieser Wahl ihre Kräfte gebündelt und in jedem Wahlkreis nur die aussichtsreichste unter ihnen antreten lassen. Man kann sich fragen, was Islamisten aus ländlichen Gebieten mit geschäftsorientierten, urbanen Chinesen zu tun haben, oder mit einer Partei, die alle Ethnien des Landes ansprechen will. Offenbar ist es die gemeinsame Abscheu vor dem autokratischen Führungsstil der Regierungsparteien und ihrer Politik, die bumiputras, Söhne der Erde - also Malays und Ureinwohner - in der Wirtschaftspolitik besonders zu fördern, um Rassenressentiments vorzubeugen. Wie es scheint, gefällt diese Politik auch den ärmeren Malays aus ländlichen Gebieten nicht, denn sie kommt in erster Linie den bumiputras zugute, die gleichzeitig mit dem langjährigen Premierminister Mahathir und seinen Freunden gut befreundet sind. Was auch immer sie zusammengeschweisst hat, gemeinsam erzielten die drei Oppositionsparteien einen beachtlichen Erfolg, wie wir nach unserer Heimkehr erfuhren. Sie gewannen fünf Bundesstaaten und konnten die Volksfront so weit schwächen, dass sie nun weit von der gewohnten Zweidrittel-Mehrheit entfernt ist. Wir können uns jetzt so fühlen, als hätten wir nicht nur einen eitlen Trauminsel- und Besichtigungsurlaub gemacht, sondern als wären wir gleichzeitig Zeugen eines eindrucksvollen und friedlichen Demokratisierungsprozesses geworden.

Dass die Rassenbeziehungen in Malaysia nicht immer ganz harmonisch verlaufen, erklärte uns eine Inderin nach unserem Besuch ihres Sikh-Tempels, bei dem einer ihrer Glaubensbrüder uns mit großer Geduld unsere ignoranten Fragen zu seiner Religion beantwortet hatte. Wir hatten schon unsere Kopfbedeckung abgelegt und wollte gerade den Tempel verlassen, als uns die ältere Dame ansprach, um uns nach unserer Heimat zu befragen und allerhand aus ihrem Leben zu erzählen. Unter anderem berichtete sie, dass sie Witwe sei und daher nunmehr frei, was aus meiner Sicht ein interessantes Bild auf das Geschlechterverhältnis in diesem Land warf. Ihre Freiheit wollte sie am liebsten nutzen, um das Land zu verlassen. Immerhin nicht, weil sie fürchtete, noch einmal so jemandem zu begegnen wie ihrem Mann. Die Muslime würden immer intoleranter, so klagte sie, und verlangten inzwischen von allen, zum einizigen wahren Glauben überzutreten. Ihre eigene Religion hingegen gebiete es, anderer Menschen Religion zu akzeptieren, und das alles ist nicht mehr so recht miteinander vereinbar. Also will sie in den Punjab ziehen und das, nachdem sie ein Leben lang auf der malaysischen Halbinsel verbracht hat. Ich bestätigte ihr gerne, dass trotz zahlreicher löblicher Ausnahmen der Islam derzeit vieleorts in keiner guten Phase ist, zumal ich während des Urlaubs trotz eines vollkommenen Verzichts auf Sex-Appeal und Mitführens eines Notschleiers fast nie Zugang zu einer Moschee gefunden hatte. Ich weiss sicher, dass das für meine Vettern aus der Türkei und selbst für muslimische Nordafrikaner ein Ding aus dem Tollhaus wäre, also will ich gerne glauben, dass es im malaysischen Islam derzeit eine gewisser Tendenz zur Intoleranz gibt. Ich verschwesterte mich mit der Sikh-Dame zum Abschied und wir wünschte ihr und ihrem Land Entspannung in der Islam-Frage, zumal ich Zweifel hatte, ob sie sich in einem ihr völlig fremden Land wie dem Punjab ganz alleine wohl fühlen würde, auch wenn dort ihre Religion besser repräsentiert ist als in Malaysia.

Als versöhnlichen Abschied durften wir ganz am Ende der Reise noch Zeugen sein, wie in der Coliseum-Bar, wo schon Somerset Maugham trank, Chinesen, Sihks, Hindus und Malays gemeinsam den Alkohol mächtig fließen und ihre Witze immer lauter und derber werden ließen. Die Hälfte von ihnen durfte wahrscheinlich aus religiösen Gründen gar nicht trinken. Was für ein Glück, dass sie sich davon nicht beeindrucken ließen. Denn was der Alkohol nicht alles verbindet, was sonst nichts zu verbinden scheint, dachten wir wohlgefällig, während wie herzhaft in unser Sizzling-Steak bissen - eine Köstlichkeit, die sich niemand entgehen lassen sollte, der zufällig in der Coliseum-Bar in Kuala Lumpur vorbeikommt.

Dienstag, 4. März 2008

Trauminselmalaysia oder fast - Perhentian

Als krönenden Abschluss unserer Reise durch Malaysia hatten wir uns eine Trauminsel im südchinesischen Meer ausgesucht: Perhentian. Zwar regnete es in Kota Bahru immer noch junge Hunde, aber weil der Wetterbericht baldige Besserung versprach und für die Westküste auch keine angenehmeren Nachrichten parat hatte, hielten wir an unseren Plänen fest. Wir verabschiedeten uns von unseren verschleierten Rezeptionisten mit einem fürstlichen Trinkgeld, der uns ein stattliches Abschiedskomittee eintrug, und bestiegen ein Taxi nach Kuala Besut, von wo aus Schnell- oder Langsamboote zu der Trauminsel starten. Eigentlich...

Schon auf der Hinreise äusserte der Taxifahrer seine Besorgnis, dass die Boote bei dem Sturm möglicherweise nicht fahren könnten. Dafür war bei unserer Ankunft schon alles geregelt: Ein Freund des Taxifahrers, der in Kuala Besut ein auf Perhentian spezialisiertes Reisebüro betreibt, hatte eine Rückfahrtticket für die Überfahrt am morgigen Tag bereit und wies uns den Weg in das Kualer Besuter Hotel, in dem wir notgedrungen übernachten sollten. Nur war der Schatz gut vorbereitet und seine Internetquellen hatten ihm strengstens geraten, keine Rückfahrttickets zu kaufen, weil meistens bei der Rückfahrt weit und breit von dem richtigen Boot nichts zu sehen ist. Der Freund des Taxifahrers weigerte sich, uns eine einfache Fahrt zu verkaufen, schließlich verzichtet niemand gerne auf seine Provision. Daraufhin kauften wir gar nichts und schleppten uns und unsere schweren Rucksäcke zur Strafe im Regen zu dem zweiten Hotel vor Ort. Das bot uns allerdings nur Zimmer zu überhöhten Preisen an und am Ende mussten wir doch reumütig in dem Hotel einziehen, das uns der Freund des Taxifahrers gewiesen hatte. Tatsächlich bekamen wir das letzte erschwingliche Zimmer, das in Kuala Besut an diesem Tag zu haben war. Danach waren die Rezeptionen der Stadt von dramatischen Szenen geprägt, in denen gestrandete Taucher und Sonnenanbeter vergeblich versuchten, die Regen- und Sturmpreise auf ein verträgliches Maß herunterzuhandeln.

Der Taxifahrer und sein Freund waren übrigens nahezu der einzige Fall von Schleppertum, der uns in Malaysia begegnet ist. Anders als ich es aus Indien, Vietnam oder Ägpte kenne, hat während der ganzen Reise hat kaum einmal jemand versucht, uns in sein Hotel oder in das Restaurant der Tante zu zerren, in sein Taxi oder in seine Rikshaw, die es zumindestens an der Westküste auch nur noch zur Belustigung der Touristen gibt. Anthony Burgess würde das sicherlich darauf zurückführen, dass die Malays eine freundliche, attraktive und faule Rasse sind, wie er im Vorwort seiner Malaysia-Trilogie schreibt. Ich bestätige gerne ihre Freundlichkeit und ihr eher ruhiges Naturell. Das Fehlen der Schlepper, die die Touristen in Indien, Vietnam oder Ägypten auf Schritt und Tritt belagern, führe ich indes eher auf den relativen Reichtum Malaysias zurück. Den hat das Land zwar sicher auch seinen Chinesen zu verdanken, aber so ganz außergewöhnlich faul kann auch die Bevölkerungsmehrheit der Malays eigentlich nicht sein, sonst wäre das Land wohl kaum so weit gekommen.

Den angebrochenen Nachmittag nutzten wir, um im Regen zu schlafen ,und abends rannten wir so schnell es ging im Regen zum nächsten Restaurant, wo es hervorragenden Fisch gab. Leider bemerkten wir das erst, als wir auf Anraten eines Holländers schon das Hühnchen bestellt hatten. Holländer sind nette Leute, aber in kulinarischen Dinge sollte man sich nicht allzu sehr auf sie verlassen, das weiss ich, seit der Schatz mal auf dem Bahnhof eines Vorortes von Amsterdam - eine andere Episode des Strandes in unserem Leben - eine Frikandel zog.

In dem Restaurant war eine Atmosphäre wie in Casablanca zu Zeiten des zweiten Weltkrieges. Jeder dort kam aus einem anderen Teil des Kontinents, das malaysische Hochland, thailändische Inseln, Bangkok oder Kuala Lumpur. Alle waren in der - für die meisten vergeblichen - Hoffnung auf ein besseres Leben in einem Traumland in Kuala Besut gestrandet und während sie darauf warteten, irgendwie eine Fahrkarte zu ergattern und das nächste Schiff zu besteigen, versuchten sie gut wie möglich mit Tigerbier, Fisch, Hühnchen und einer malaysisch-chinesischen Version des Traumschiffs sich die Zeit zu vertreiben.

Besonders die Fernsehserie war sehr aufschlussreich. Die Heldin lief mit langen fliessenden Kleidern über mittelalterliche Brücken, durch provenzalische Lavendelfelder oder an den Kreidefelsen der Steilküste von Dover entlang und rief verzweifelt ihren Geliebten. Ab und zu wurde sie von einer Armada europäischer Stubenmädchen mit Häubchen und Schürze in einem Loire-Schloß empfangen. Die Kulisse sollte offenbar eine längst dem Untergang geweihte Welt repräsentieren, gewissermaßen als märchenhafter Kontrapunkt zu dem hektischen High-Tech-Leben in asiatischen Großstädten. Daran wer beide Welten beherrscht ließ die Serie keinen Zweifel. Während ich mein drittes Tigerbier leerte und gebannt in den Bildschirm starrte, fragte ich mich, ob wir nicht doch besser anfangen sollte, unsere Kinder mit Singapurer Drillbüchern zu drillen und sie langsam von der englischen Literatur für mittelgute jugendliche Leser zu der Literatur für preisgekrönte Leser hinzuführen.

Am nächsten Morgen gaben wir übermütig die Schlüssel für unser wertvolles Zimmer ab, voller Zuversicht, dass nun die ersehnte Überfahrt nich mehr lange auf sich warten lassen würde. Eine freundliche Frau in einem der zahlreichen Reisebüros der kleinen Stadt sollte unsere Hoffnungenjedoch sehr bald mit der Information enttäusches, dass an diesem und vielleicht auch am nächsten Tag wegen der Sturmgefahr kein Boot nach Perhentian fahren dürfte. Wir verfluchten unsere voreilige Schlüsselabgabe und überlegten gerade, ob wir jetzt in den Dschungel oder nach zurück Kuala Lumpur fahren sollten, da begegnete uns Antje, die Freundin des Holländers, der uns im Fischparadies zu Hühnchen geraten hatte. Eigentlich heisst sie Ilsa, aber das erfuhren wir erst Tage später. Sie riet zur Besonnenheit, denn sie hatte eben noch eine Frau von einem anderen Reisebüro am Telefon gehabt, die ihr ein Boot um 10:30 Uhr versprochen hatte. Das alles passte nicht sehr gut zusammen und als die Frau in dem Reisebüro nicht anzufinden war, beschlossen wir, erst einmal gemeinsam zu frühstücken.

Irgendwann nach dem zweiten Toast sahen wir Touristen mit schweren Rücksäcken zum Bootsanlegeplatz rennen. Der Berliner Himmel war ja bekanntlich nie geteilt und die sprichwörtliche Luft auch nicht. Vermutlich war sie es, die von Ost nach West den Reflex übertragen hat, sich grundsätzlich immer an langen Schlangen anzustellen und rennenden Konsumenten zu folgen. Der Schatz jedenfalls als geborener Westberliner rannte flugs hinterher und kam stolz wie ein Spanier mit der verheißungsvollen Nachricht zurück, dass gerade ein Boot mit noch vier freien Plätzen nach Perhentian ablegen würde. Ilsa flitzte zurück in das Hotel, um ihren Freund zu wecken und wir versprachen, das Boot noch so lange festzuhalten.

Das Boot sah aus wie ein Piratenschiff aus Fluch der Karibik und spätestens als dort Listen mit unseren Passnummern angefertigt wurden, kamen mir Assoziationen zur Titanic. Ich fragte mich, was ich bei offizieller Sturmwahrnung auf einem Seelenverkäufer wollte, der illegalerweise zu der Trauminsel fuhr. Ich verstehe bis heute nicht so recht, warum ich nicht sofort wieder ausgestiegen bin. Wahrscheinlich war ich angesteckt von der Euphorie des Schatzes. Außerdem hatte es aufgehört zu regnen und die See schien so ruhig. Das lag allerdings darin, dass der Bootsanlegeplatz in einer Flussmündung lag, das wurde schnell deutlich, als wir Antje und Henk (in Wirklichkeit Sander) und mehrere Rationen Lebensmittel eingeladen, Schwimmwesten angelegt hatten und auf das Meer ausgelaufen waren.

Wenn die Wellen nicht mannhoch waren, dann waren sie mindestens kindshoch. Oben angelangt kam mein Magen jedesmal kurz unter dem Kinn zum Stillstand und wurden dann mit dem herabsausenden Schiff bis auf meine Fersen heruntergedrückt. Der kleine Engländer, der zu Beginn noch bei jeder Welle gejuchzt hatte, als führe er auf dem Prtare Achterbahn, begann sehr schnell , bei jeder Welle seine Augen zuzukneifen und seinen Mund zu einem verzerrten Grinsen zu verziehen. Leider fühlte ich mich unter Deck besonders gut aufgehoben - wenigstens konnte man dort nicht so leicht über die Reling gehen. Der Schatz fühlte sich verpflichtet mir dort Gesellschaft zu leisten. Seine aschfahles Gesicht und die Schweißperlen auf der Stirn, trugen jedoch nicht zu meiner Beruhigung bei. Am Ende war ich doch gezwungen, mich mächtig weit über die Reling zu legen, aber wie durch ein Wunder blieb ich an Bord und der Seelenverkäufer brachte uns sogar heile zu der Insel, wenn auch nicht besonders wohlbehalten. Am Bootsanlegeplatz warteten bereits Dutzende Rückreisewilliger Robinson Crusoes, die nicht sehr erbaut schienen, als sie meines Zustandes gewahr wurden. Sie reisten dennoch an das Festland und mir gelang es, am Strand mich mit Mineralwasser und Tee in einen Zustand zu versetzen, der es mir erlaubte, mir mit dem eine schicke, palmengesäumte Bungalowanlage zu suchen. Der Schatz hatte sogar noch die Kraft sich dazu beglückwünschen, dass er nicht in dem wesentlich kleineren Schnellboot gesessen hatte, das kurz nach uns auf der Insel ankam. In der Tat sehen deren Insassen noch fürchterlicher aus als ich.

Danach lagen wir fünf Tage lang reglos unter Palmen im weißen Sand, wenn wir nicht ausnahmsweise mal in dem kristallklare Wasser badeten, Fisch aßen oder vergeblich versuchten, uns mit Malay-Cocktails mit ihren homöopathischen Alkoholanteilen zu betrinken. Die Religion führt hier offenbar auch den Gläubigen die Hand, die sich eigentlich schon vorgenommen hatten, etwa zu sündigen, zum Beispiel durch Cocktailmixen. Aber auch das konnte uns nicht davon abhalten, uns von der Überfahrt und allen anderen zuvor im Leben durchlittenen Strapazen zu erholen.

Wir standen nur zweimal auf. Einmal, um Ilsa und Sander auf der Nachbarinsel bei ihren Bungalows zu besuchen und einmal, um in langen Hosen und Hemden und mit Wanderschuhen - nicht in Badehosen und Badelatschen wie die anderen, sehr viel unprofessionelleren Urlauber - rings um die Insel durch den Urwald zu wandern, um alle Stränder auszuprobieren, die sie bot.

Samstag, 1. März 2008

Malaiisches Malaysia - Kota Bahru

Nachdem wir ausgiebig das Malaysia der Chinesen, der Tamilen, der Sikhs, der englischen Kolonialherren und das der japanischen Golfspieler erkundet hatten, wurde es dringend Zeit, uns um das Malysia der Malaien zu kümmern. Deswegen sprangen wir eines schönen Morgens in den Cameron Highlands in den Minibus, der Rucksacktouristen zu dem Dschungelnationalpark Taman Negara bringt und ließen uns in Gua Nusang absetzen, um dort auf den Postzug nach Kotah Baru an der Ostküste und der Grenze zu Thailand zu warten.

Und richtig, da wartete es schon auf uns: Das Malaysia der Malaien. Keine glitzernden Malls, keine durchgestylten Chinesinnen im Pepita-Look oder im Geländewagen. Statt dessen leuchtete der Bahnhof in den kräftigen Farben der langen Gewänder der Frauen, zu denen ein Schleier ebenso zwingend zu gehören schien wie ein kleines Kind am Rockzipfel, das seine Augen nicht von uns lassen konnte. Die buntgewandeten Frauen warteten allesamt gleichmütig mit ihren neugierigen Kindern auf den Postzug, der sie nach umfangreichen Einkäufen wieder in ihr Dorf bringen sollte, während Ziegen und Hühner die Gleise nach etwas Essbarem absuchten. Zum ersten Mal seit Beginn unserer Reise kamen wir an einen Ort, an dem die blaue Fahne mit Waagenmotiv der Volksfront Barisan Nasional, die zusammengesetzt aus einer Malaien-, einer Chinesen und einer Inderpartei seit der Unabhängigkeit das Land regiert, von dem grünen Emblem der Islamisten-Partei dominiert wurde. Und dabei sollte es im Osten auch bleiben.

Der Schatz war begeistert von der Häufigkeit, mit der der Postzug bei seiner Fahrt durch den Dschungel an unfassbar kleinen und provisorischen Bahnhöfen hielt, während er in Deutschland über die Vor- und Nachteile von fünfzig-Meter-Bahnhöfen gegenueber dreißig-Meter-Bahnhöfen debattiert oder so ähnlich. Ich beschloss, ein malaiisches Kleinkind mit Schmollmund zu adoptieren und machte mir gleichzeitig Sorgen darüber, wie einige Malaysier ihre größeren Kinder behandeln. Uns gegenüber saßen drei Teenager, die alle Narben im Gesicht hatten, einem von ihnen fehlten Zähne und der zweite konnte sein Auge nicht mehr richtig schließen.

In Kota Bahru regnete es junge Katzen und Hunde. Das konnte uns jedoch nicht schrecken. Unsere Reiseführer hatten uns echte malaiische Kultur versprochen und wir waren entschlossen, sie zu entdecken. Also borgten wir uns im Hotel einen Schirm und sausten im Dunkeln durch menschenleere Straßen um Moscheen, Sultanspaläste und nachempfundene malaiische Dörfer, die bei Tag Läden für das Kunsthandwerk der Region beherbergen.

Die vergebliche Suche nach dem sagenumwobenen Nachtmarkt im strömenden Regen hatte uns fast schon vollständig entmutigt, da hob eine alte Dame unter dem Dach, unter dem wir Schutz gesucht hatten ihre Hand zum Mund, als ob sie essen wollte, und redete eifrig auf uns in malaiisch ein. Ich wollte gerade mein Portemonnaie zücken, um eine milde Gabe zu stiften, da fing sie an, in Richtung Norden zu gestikulieren. Mir wurde klar, dass sie keineswegs eine Bettlerin war, sondern lediglich gut vertraut mit den üblichen Bedürfnissen der weissen Frau, die ihre Stadt besuchen.

Der Nachtmarkt war in der Tat eine Wucht. Überall Stände mit exotischen Speisen und bunten Süßigkeiten. Zuerst labten wir uns an der Köstlichkeiten bei den Ständen mit Plastikmöbeln, laufendem Fernseher und Gummidach. Unserm Ausländerstatus verdankten wir es, dass wir mit Messer und Gabel essen durften, die Malaysier benutzen am liebsten die rechte Hand. Als der Regen nachgelassen hatte, probierten wir ayam percik auf die Faust, das Hühnchen in Erdnusssoße, wie es unser Reiseführer empfohlen hatte, der sich dadurch bei uns im kulinarischen Bereich Bibelstatus erkämpft hat, und malaiische Pfannekuchen als Nachtisch. Dieses Erlebnis verlieh uns neue Kraft und Zuversicht, um das malaiische Kulturzentrum zu suchen, in dem mittwochabends Schattenspiele, Singvogelwettbewerbe, Drachensteigen oder Kreiselschlagen zum Besten gegeben werden, auch wenn der chinesische Rezeptionist davon nichts wissen wollte, als ich ihn aufforderte, mir das Programm zu besorgen.

Die Reiseführer sollten recht behalten und der Chinese wurde als ungelernte Hilfskraft im Tourismusgewerbe entlarvt. Im Kulturzentrum fand ein großartiges Schattenspiel statt mit bunten Figuren aus Leder, die aussahen wir die Götter und Dämonen aus uralten Hindumythen. Hinter der offenen Bühne spielte dazu eine traditionelle Musikgruppe auf Pfeifen, Zupfinstrumenten und einem Gong. Mir schien, es standen mehr Kinder hinter der Bühne und machten sich mit der genauen Machart dieses Schauspiels vertraut als davor dem Zauber der Schatten zu erliegen.

Am nächsten Tag feierten wir Mitbringselekzesse in dem Kunsthandwerkzentrum und den Batikmärkten der Stadt und fotografierten vom ersten Stock aus die Marktfrauen, die auf den Ständen hinter ihrem bunten Obst und Gemüse hockten oder ihre Krebse am Ausbüchsen hinderten. Danach waren wir hochzufrieden und bereit auf eine malaysische Trauminsel weiterzureisen, fernab jeder Kultur, ganz gleich welcher Ausrichtung.