Samstag, 28. Februar 2009

Sommerbesuche

Der Sommer in Paris zeigt sich weiter von seiner Schokoladenseite, und außer den streikenden Künstlern habe ich nur eine einzige Klage vorzutragen, diese aber ist schwerwiegend: Es gibt keine Eisdielen in Paris, und schon gar keine italienischen!

Um ein lächerlichen Klassiker wie eine Kugel Schokolade und eine Kugel Vanille in der Waffel zu finden, muss man kilometerweit laufen, von Stracciatella haben die hier noch nie etwas gehört und an Priapismus mit Rabatten für Schwangere - an der Elbe ein Standardprogramm - ist gar nicht zu denken. Auf keinen Fall sollte man für den Fußmarsch zur Eisdiele eine ausreichende Ration Wasser und genügend Wegzehrung vergessen. Was waren das noch für Zeiten, als man mich nur auf die Müggenkampstraße hinunterzurufen brauchte, wenn man ganz vorne in der Eiszeit-Schlange stand!

Da hilft es natürlich auch nicht weiter, dass aufgrund der anhaltenden Künstlerstreiks sämtliche Theaterstücke und Konzerte ausfallen, bis hin zu den Freiluftlichtspielen in Avignon. Gegen Streiks im Öffentlichen Personennahverkehr kann man sich wenigstens noch mit dem Fahrrad wehren. Wie man auf systematischen Kulturabbau reagiert, liegt hingegen völlig im Dunkeln. Ich habe vorsichtshalber " Das trunkene Schiff" von Rimbaud auswendig gelernt, und warte im übrigen darauf, dass die Gemälde im Louvre in den Streik treten.

Ansonsten treffen ich mich so oft es geht mit den hübschen Frauen, die in alle Welt ausgeschwärmt sind, um ihr Glück zu suchen. Neulich machte Sabrina nach einem längeren Brasilienaufenthalt auf der Durchreise von Hamburg nach Washington hier Station. Leider war das Wohnzimmer gerade voll mit italienischen Volkswirten, die hier ihre Forschungsergebnisse vortragen wollten, aber mit denen sind wir eigentlich lässig klargekommen, wenn man davon absieht, dass sie uns öfter mal in Nachtklubs abhanden kamen. Auf der Fete bei meinem Nachbarn, dem Architekten, der sich hier mit seiner schrillen Brille ein szeniges Loft eingerichtet hat, machte ich mich leider ein wenig lächerlich, indem ich in spontaner Empörung aus vollem Halse "nein" rief, als er mir anbot, ich dürfe mir auch das durchgestylte Schlafzimmer gerne ansehen. Aber bei den Franzosen kann man ja nicht vorsichtig genug sein.

Sabrina murrte und knurrte zwar ein wenig, als sie sich nach durchzechter Nacht mit meinen Nachbarn – denen ohne Brille - bei 30 Grad im Schatten durch den Bois de Vincennes joggen sah, wurde aber am Nachmittag bei der Radtour durch einen doppelten Salto vollends dafür entschädigt. Diesen vollführte ein junger Mann, welcher sich leichtsinnig auf ihre Schönheit anstatt auf die stillgelegten Schienen vor ihm konzentriert hatte. Wir waren so entsetzt von der Herzlosigkeit seiner Freunde, die in meinem Angebot, einen Krankenwagen zur Hilfe zu rufen, lediglich ein günstige Gelegenheit sahen, mehr über unsere Mobiltelefonnummer zu erfahren, dass wir mit fliegenden Rockschößen die Flucht ergriffen. Hinterher haben wir uns aber doch ein bisschen geschämt. Ab einem doppelten Salto muss man die Telefonnummer eigentlich hergeben, darüber sind sich hier in Frankreich alle einig.

Um den Besucherspieß endlich mal umzudrehen, machte ich mich anlässlich des Sturms auf die Bastille auf, den Ärmelkanal zu überqueren. Dabei musste ich feststellen, dass es schwieriger ist, den Eurostar nach London zu besteigen als nach dem 11. September in die USA einzureisen. Als ich nach der dritten Paßkontrolle kurz vor dem Röntgengerät für die Handtasche wütend "Eurooooopa ohne Grenzen" bellte, fand ich zum Glück in dem französischen Grenzbeamten eine verwandte Seele. Er warf verzweifelt die Arme in die Luft und rief: "Das Vereinigte Königreich hat nicht unterschrieben". Warum treten die eigentlich nicht aus, wenn denen immer alles nicht passt?

Wenn Sabrina glaubt, ich sei eine anspruchsvolle Gastgeberin, dann hätte sie mal Schlucki sollen. Das Tempo, mit dem ich das ganze Wochenende über zwischen Märkten und Museen hin- und hinter Frisbeescheiben im Hydepark herlief, habe ich nur aufrechterhalten können, weil Schlucki mich zwischendurch immer wieder in ihren offen Cabrio einlud (ein alter Fiat Spider aus den achtziger Jahren, und ich soll sagen, dass er TRAUM heißt), und mich auf der linken Straßenseite quer durch London kutschierte. Während ich geduldig gewartet hatte, bis die Nachbarn klingelten, bevor ich Sabrina im Laufschritt in den Bois de Vincennes jagte, erinnerte mich Schlucki bereits morgens um zehn nach einer durchtanzten Nacht mit durchdringender Stimme an meine soziale Verpflichtungen und hetzte mich ein Stunde lang durch ein sündhaft teures Schwimmbad für Anwälte und Börsenmakler in der Londoner City.

Eines der großen Highlights des Wochenendes war die Hochzeitgesellschaft, der wir auf verschiedenen Etappen der Festlichkeiten gleich einem Leitmotiv immer wieder begegnen sollten. Dabei durfte ich mich einmal mehr davon überzeugen, dass nur Engländerinnen diesen unvergleichlichen Mut zur Hässlichkeit haben, ohne den man ihre Hutkreationen beim besten Willen nicht zur Schau tragen könnte. Bei der dritten oder vierten Begegnung ließ ich mir von den englischen Hochzeitsgästen sagen, dass sie sich unter einer deutschen Hochzeit "lots of beer and frivolities" vorstellten. Bei Lichte betrachtet, ist das auch nichts anderes, als was uns unser Freund Stefano Stefani unterstellt, aber irgendwie kam das bei dem Engländer freundlicher rüber.

Noch immer bin ich mir nicht ganz darüber im klaren, ob es nicht ein folgenschwerer Fehler war, aus lauter Ungeübtheit den Heiratsantrag auszuschlagen, den mir ein betrunkener Engländer in einem Londoner Nachtclub (früher "Diskothek") spontan unterbreitete. Man weiß ja nicht, wann das nochmal wiederkommt, und ob überhaupt und so. Schlucki meint, das war genau richtig so. Den Aston Martin, mit dem englische Bräute vor die Kirche vorzufahren pflegen, hätten wir im Leben nicht mehr organisieren können. Auch liegen wir seit dem Wochenende darüber im Clinch, ob der Bagel aus dem 24-Stunden-Bagelshop morgens um sechs und das hauseigene Spiegelei nur wenige Minuten später wegen der vorausgegangenen Gin und Tonics der beste Bagel und das beste Spiegelei aller Zeiten waren, oder ob beide dieses Etikett auch im nüchternen Zustand bekommen hätten. Na ja, Hauptsache sie waren gut. Und am nächsten 14. Juli gehen wir einfach auf einen Feuerwehrball nach Paris, da können nicht so viele Unklarheiten entstehen. Aber bis morgens um sieben! Und um neun wecke ich alle auf, damit wir Fußball spielen gehen können.