Montag, 26. Januar 2009

New York Revisited

Email aus New York, Juli 2002

Allen widrigen Umständen zum Trotz habe ich mich ohne Thrombose und mit verheilender Kniewunde an der gestrengen US-Einwanderungsbehörde als Touristin vorbei schleichen können, und bin auch schon in mein dunkles, dafür aber wunderbar kühles Kellerloch in Park Slope eingezogen. Der italienische Vermieter meines Hauptmieters hat es sich nicht nehmen lassen, mich mit aus den knappen Shorts heraushängender Unterhose zu begrüßen, aber abenteuerliche Wohnungen in New York können mich nun mittlerweile wirklich nicht mehr schrecken. Außerdem darf ich hoffen, täglich beim Einkaufen auf Paul Auster zu treffen. Also bin ich hoch zufrieden.

Bevor ich jedoch meine New-York-Abenteuerberichte endgültig wieder aufnehme, darf ich nicht versäumen, allen denjenigen, die nicht dabei sein durften, von meinen letzten Hamburg-Abenteuern zu berichten – bin mir gar nicht sicher, ob man so tolle Sachen in New York überhaupt erleben kann. Zugegeben sind auch einige auf dem Verteiler, die dabei waren, aber auch für die dürfte ein schriftlicher Bericht nützlich sein. Das kann man zu den Akten heften und hervorholen, falls im Alter einige Erinnerungen schon verblasst sein sollten, wenn man seinen Enkeln von den eigenen, wilden Jugendjahren berichtet, .

Was meine mündliche Doktorprüfung angeht, hatten wir eigentlich immer alle N. mit seiner Loya Jirga für das schwache Glied in der Kette gehalten. Ich will nicht behaupten, daß uns die Nachrichten über die Rangeleien um das künftige afghanische Staatsoberhaupt und daraus resultierende Verzögerungen der Verhandlungen genauso in Atem gehalten hätten wie die Fußballweltmeisterschaft, aber was mich angeht, kam es dem schon sehr nahe, und das lag sicher nicht an meinem mangelnden Interesse für Fußball.

Bei aller Sorge um Ns pünktliche Ankunft in Hamburg hatten wir allerdings völlig außer Acht gelassen, zu was Sonja und ich fähig sein können, wenn wir zusammen losziehen, und welche Folgen das haben kann. Die Schnittwunden, die ich mir bei meinem ebenso kühnen wie illegalen Sprung von unserem Paddelboot aus in das Stadtparkschwimmbad zuzog, hielten wir zunächst für eine Bagatelle, die sich leicht mit Kleenex behandeln ließe. Kein Anlaß jedenfalls auf einige Tannenzäpfle-Biere auf dem Baumaterial am Schulterblatt thronend zu verzichten. Daß die Wunde am nächsten Tag noch unverdrossen weiter blutete führten wir auf meine ausgesprochen schlechte Blutgerinnung zurück.

Erste Zweifel kamen in mir erst auf, als ich mich kurz davor wähnte, mich aus dem geliebten dienstaglichem Oberseminar mit Erbrechen und einer anschließenden spektakulären Ohnmacht zu verabschieden. Mit letzter Kraft konnte ich mich noch in die Praxis von Professor Klaport (oder Klapdorf) im Curio-Haus retten, denn kurz vor so wichtigen akademischen Prüfungen – so dachte ich mir – sollte man sich nur von allerhöchster Stelle behandeln lassen. Daß der Professor ein Internist ist, schien mir eine zu vernachlässigenden Kleinigkeit sein, sollte sich später jedoch als schwerwiegendes Problem herausstellen, denn Internisten – habilitiert oder nicht – säubern grundsätzlich Schnittwunden nicht ordentlich, wie mir später der Arzt im Praktikum in der Eppendorfer Notaufnahme zu verstehen gab, als ich mit meinem Beinumfang bereits mit jedem ausgewachsenen Elefantenbullen konkurrieren konnte.

In die Eppendorfer Notaufnahme schickte mich der sichtlich überforderte Professor passenderweise eine Stunde, bevor ich N. am Flughafen abholen sollte, nachdem er sich drei Tage lang darauf beschränkt hatte, die Schnittwunde kritisch, jedoch ansonsten untätig zu beäugen. Zunächst hielt ich dies lediglich für ein logistisches Problem, zu dessen Lösung ich zum ersten Mal in meinem Leben gerne Mobiltelefonbesitzerin gewesen wäre. N. kam entgegen allen Erwartungen pünktlich an und hatte allen Angebote von Karzai, afghanischer Wirtschaftsminister oder Botschafter bei den Vereinten Nationen zu werden, widerstanden.

Nachdem ich ihn glücklich im Hotel Vorbach abgeliefert und die Ärzte im Praktikum mich zunächst mit ihren Säuberungstinkturen nur mäßig gequält, dafür umso heftiger mit mir geflirtet hatten, fuhr ich zunächst voller Optimismus nach Hause. Auch die Explosion meiner letzten Büchse Tomaten, nahm ich lediglich zum Anlass, eine gewagte Auberginen-Weißwein-Soße zu meinen Spaghetti zu kochen. Nichts ließ mich annehmen, daß es sich um einen Unglückstag handeln könnte. Erst als mein Bein gegen Mitternacht wie schon erwähnt auf Elefantenbullengröße geschwollen war, sah ich mich veranlaßt durch einen Anruf im Elternhause dort für gehörige Panik zu sorgen, indem ich darauf beharrte, daß ich sicherlich an einer Thrombose leiden müsse.

Nachdem ich sichergestellt hatte, daß meine Eltern in dieser Nacht gewiß kein Auge mehr zutun würden, wiederholte ich den Anruf im UKE, wo mich die jugendlichen Ärzte sofort wieder zu sich bestellten und mich in die Obhut eines Sadisten übergaben, der meinem Charme jedenfalls nicht genug verfallen war, daß er sich davon hätte abhalten lassen, solange mit einer Schere in meiner Wunde herumzustochern, bis ich mir wünschte, ich hätte die Sache auf sich beruhen lassen. Daraufhin wurde ich noch mit einer Gipsschiene und Krücken versehen und schon war ich fit für meine Disputation am nächsten Tag.

Immerhin ist es mir gelungen mit meinem Auftritt auf Krücken Sabina lässig an die Wand zu spielen, die sich bekanntlich seinerzeit von einem Grippe/Bronchitis-Krankenlager aus zur Prüfung schleppte. N. schoß noch auf dem Weg vom Hotel Vorbach in den Wiwi-Bunker Fotos von mir, die er Sunbae zeigen wollte, weil ich nach Jahrzehnten an der Uni seine erste Studentin war, die als Invalide zur Prüfung kam. Irina und Isabella überlegen nun verzweifelt, wie sie Sabina und mich noch toppen könnten. Angesichts dessen, daß die Professoren zur Notenfindung den Raum verließen, anstatt mich rauszuschicken, bleibt den beiden eigentlich nur noch, die Prüfungskommission ins Krankenhaus zu bestellen.

Ns Vortrag im HWWA war jedenfalls sehr interessant und auch der Spargel hat am Abend vorzüglich geschmeckt. Außerdem bin ich jetzt stolze Besitzerin einer Luftmatratze, auf der sich demnächst in Paris alle meine Freunde einquartieren wollen, und einer Digitalkamera, mit deren Hilfe ich illustrierte Abenteuerberichte aus New York verschicken kann. Ich sehe es schon förmlich vor mir, wie ich bei jedem romantischen Stelldichein erst einmal die Kamera zücke, damit meine Freunde in Hamburg auch live dabeisein können.

Bei meiner Abschiedsfeier war ich zum Glück schon wieder so flott auf den Beinen, daß ich kräftig dabei helfen konnte, gemeinsam mit meinen tanzwütigen Gästen einen Tag vor der Wohnungsübergabe noch meinen Holzfußboden zu zerstören. Trotzdem ein rauschendes Fest! Die Wohnungsübergabe gelang allerdings nur dank Fannis aufopferungsvollem Einsatz mit dem Poliermittel und etlicher Botendienste durch Gesine und Bernhard. Meine Nerven habe ich nur notdürftig bewahren können, weil Sonja (die echte Sonja!) mir beiseite stand als Nachmieter und Hausverwalter sich eine halbe Stunde eher als geplant in der Müggenkampstraße einfanden. Danke Euch allen!

Inzwischen habe ich auch das Trauma überstanden, in einem Flugzeug voller Österreicher das Weltmeisterschaftsendspiel zu verlieren, indem ich mir immer wieder vor Augen geführt habe, wieviel schlimmer es gewesen wäre, KLM oder British Airways zu fliegen.


Sonntag, 4. Januar 2009

Passage Alexandrine

Email aus Paris März 2003

Mittlerweile ist es ja doch ein paar Sonnabende her, dass ich Euch das Neueste aus der anderen Hälfte des alten Europas berichtet habe. Zu meiner Entschuldigung kann ich anbringen, dass es sich diesmal nicht als Abenteuerberichterstatterin auf Zeit vor Ort bin, sondern mich bis auf
weiteres hier zu Hause zu fühlen und mir ein Nest zu bauen habe. Das kann einen schon einmal ein paar Wochen in Anspruch nehmen.

Der Einsatz beginnt sich auszuzahlen. Ferdinand und Benjamin von gegenüber haben eine große Dachterasse, auf der sie ununterbrochen Aperitif ausschenken und großen Gruppen lärmender Franzosen mehrgängige Diners servieren. Da lohnt es sich schon einmal, in einen Frankenwein zu investieren, um sich näher zu kommen. Auch Hugo, mein Nachbar von der anderen Straßenseite winkte mich vergangene Woche ans Fenster, um mich auf einen Aperitif zu sich einzuladen. Jetzt weiß ich, dass er sich gemeinsam mit anderen Nachbarn verschworen hat, den Bürgermeister unseres Arrondissements einzuladen, um ihm vorzuführen, wie laut die Kinder in der Halfpipe nebenan sind. Für mich hingegen sind Halfpipe und Bolzplatz die einzige Entschädigung dafür, dass mein Grundig-Fernseher mit dem französischen Dekodierungssystem nicht fertig wird. Es gibt immer spektakuläre Unfälle zu beobachten, oder junge, verantwortungslose Väter, die lieber mit ihren Kumpels einen auf Zinedine Zidane machen, anstatt über ihre Kleinstkinder zu wachen, während die sich ohne Rollschuhe und Helm zwischen lauter Teenagern in Kampfausrüstung die Halfpipe hinunterstürzen. Ich habe erhebliche Zweifel, dass die Mutter ahnt, was sich da jeden Sonntag vor meinem Küchenfenster abspielt.

Jedenfalls sind Hugos' und meine nachbarschaftlichen Verhältnisse etwas unter Spannung geraten, als ich ihm vorhielt, ob es ihm denn lieber sei, wenn die Kinder mit Drogen dealten. Immerhin ist das leiser als Rollschuhfahren. Aber wir haben dann gottlob doch noch die Kurve bekommen. Es gelang ihm, mich sehr mit der Geschichte zu erheitern, wie seine Mutter
ihm in einem Brief vorhielt, er lebe in Todsünde, als sie Verdacht schöpfte, dass er nicht die ganze Zeit mit seiner Freundin im Katechismus liest, wenn er bei ihr übernachtet.

Im Mélac, meinem Haus- und Hofweinkeller nebenan, bekomme ich inzwischen auch ohne die schwangere Nina Bratsch ohne größeren Widerstand eine Karaffe Wasser, seit ich die betont unfreundlichen und bevormundenden Kellner gemeinsam mit meinen Eltern mit dem Konsum eine Flasche französischen Weins je Schnapsnase beeindruckt habe. Der Gemüsehändler aus Djerba begrüßt mich inzwischen mit Handschlag und verabschiedet mich jedesmal mit einem Bund Petersilie. Er fand es so lustig, daß ich "petersile" verlangte, obwohl es doch "persil" heißt. Das wiederum will mir komisch vorkommen, aber es ist mir zu kompliziert, ihm das zu erklären. Am Sonnabend kam er eigens aus eine hölzernen Bodenluke gekrochen, um sich danach zu erkundigen, wie es vergangene Woche in der mit Federica
Normandie war.

Christelle, Filmregisseurin von Beruf, wohnt auch um die Ecke. Natürlich habe ich sie auf einer Vernissage kennen gelernt. Sie zeichnet sich neben ihrem interessanten Beruf vor allem dadurch aus, dass sie die einzige bekennende germanophile Französin auf der Welt ist. Ihr gefallen nicht nur die deutsche Sprache und Literatur, sondern auch die deutsche Geschichte, was ich zum ersten Mal im meinem Leben höre. Ich freute mich aber so über die Zuneigung,
dass ich davon absah nachzuhaken. Während der Fußballmeisterschaft ging sie zum Entsetzen ihres Freundes so weit, eine Deutschlandfahne vor ihrem Fenster zu hissen.

Außer strenggläubigen Katholiken frequentiere ich als Ausgleich eine Gruppe strenggläubiger, wenn auch nicht orthodoxer Juden. Wie man es von ihnen erwartet, verfügen sie alle über viel Intelligenz, Bildung und Mutterwitz, und sie feiern und tanzen gerne. Das macht die Freundschaft sehr anregend und bereichernd und gleicht kleinere Unannehmlichkeiten aus, wie die, dass einige von ihnen sonnabends den Telefonhörer nicht abheben, weil sie keine Elektrizität benutzen dürfen. Auch kommt es gelegentlich vor, dass sie bei einer Einladung zum Abendessen nur den Reis verzehren, weil sie mir nicht glauben wollen, dass mein Hühnchen koscher ist. Zum Glück konnten wir nicht feststellen, wie es sich mit Rotbarsch verhält, und so zeigten sich meine Gäste einmal liberal und aßen auf Verdacht. Alleine hätte ich mir nun doch
nicht zugetraut, den ganzen Rotbarsch zu verzehren.

Elise und Julie sind hingegen ganz weltlich, essen und trinken alles und zwar nicht zu knapp, und stürzen sich ohne nennenswerte Proteste aus dem Elternhaus in zahlreiche Liebesabenteuer, meistens mit feurige Salsatänzern aus Kuba oder den Antillen. Ihre Freunde laden mich auf Grillfeste in die Vorstadt ein und Ostern haben wir essend, trinkend und diskutierend auf dem
Bauernhof von Elises Oma verbracht.

Essen und Trinken nehmen die Franzosen überhaupt sehr ernst. Das musste vor allem mein polnischer Kollege Andreij leidvoll erfahren, als er im Weinkeller den Käse auf das Baguette legte, anstatt das Brot zu öffnen und ihn hineinzulegen. Der schrille Entsetzensschrei von Olivier und Julie, der wie aus einem Munde kam, hallt mir heute noch in den Ohren. Alina, die sich zu dem Zeitpunkt mit Martin kurzfristig ein Liebesnest in Clichy gebaut hatte, half mir anschließend, mir den Schrecken gemeinsam mit den Kellnern aus dem Leibe getanzt. Aber Andreij konnte sich nie wieder so richtig erholen, jedenfalls ist er seither nicht mehr mit uns ausgegangen.

Berichtenswert erscheint mir auch noch, dass die Franzosen nach jahrzehntelangen erbittertem Widerstand vollständig und ohne Bedingungen vor der Dominanz der englischen Sprache kapituliert haben. Dies zeigte sich mir unlängst eindrucksvoll in der Metro, wo ein französischer Bettler am anderen Ende des Wagens eine längere Geschichte zum Besten gab, um seine Bedürftigkeit zu veranschaulichen. Offensichtlich nahm er dennoch nicht viel ein, denn als er bei mir ankam, murmelte er, er müsse Englisch lernen, die Leute verstünden ihn einfach nicht, wenn er französisch rede. Er tat mir so leid, dass ich doch noch schnell fünfzig Zents zückte.