Dienstag, 26. Februar 2008

Malaysia fuer Kolonialherren - Cameron Highlands

Nach den vielen Strapazen in der Tiefebene haben wir uns zur Erholung für ein paar Tage in die Teeplantagen der Cameron Highlands zurückgezogen, um frische Luft zu atmen, abends endlich einmal die Pullover anzuziehen und die Ruhe zu genießen. Damit folgten wir den ehemaligen englischen Kolonialherren, die hier im Sommer Zuflucht vor der Schwüle der malariaverseuchten Küsten suchten. Golfplätze, englische Herrenhäuser, Rosenzüchter und die allgegenwaertigen Scones zum Fünf-Uhr-Tee zeugen noch heute von dieser Vergangenheit.

Voller Vorfreude auf einen herrlichen Spaziergang im saftig grünen Regenwald begaben wir uns gestern mit ein bisschen Wasser, Bananen und Keksen auf Jungle Trail No. 8. Der steile Anstieg würde uns gut tun, nachdem wir mehrere Tage in engen Bussen verbracht hatten, so meinten wir. Niemand hatte uns jedoch darauf vorbereitet, dass steiler Anstieg in dieser Gegend häufig mit Erosion einhergeht, deren Ergebnisse sich ohne Zuhilfenahme von Baumwurzeln und erstklassiger Kletterkünste nicht überwinden laessen. Gemessen daran, dass die höchste Anhöhe, die wir im täglichen Leben zu meistern haben, der Prenzlauer Berg ist, bewältigten wir unsere Aufgabe erstaunlich gut. Wir sprangen leichtfüssig über umgefallene Bäume, zogen uns kraftvoll an Ästen und Baumwurzeln hoch und etwa auf dem gefühlten Höhenkilometer 15 durften wir den Triumph erleben, an einem um zehn Jahre jüngeren, weltreisenden Pärchen aus der Schweiz vorbeizuziehen, das bis dahin gemeint hatte, uns etwas vorturnen zu können. Sie hatten jedoch ihrerseits die Klettertour völlig unterschätzt und kamen mit den übersichtlichen malaysischen Frühstücksportionen noch nicht ganz klar, so dass dringend eine Brotzeit vonnöten war. Zwar mussten wir nicht die Bernhardiner losschicken - so schnell gehen Schweizer in den Bergen dann doch nicht verloren - aber weil sich die beiden auf dem Gipfel angelangt mit zwei anderen Weltreisenden beim Abwägen der Vor- und Nachteile von Hawaii verquatschten, hängten wir sie am Ende dennoch unaufhaltsam ab. Wir haben nur drei Wochen und keine Zeit zu verlieren.

Unser heutiger Spaziergang über die Golfplätze und durch die lieblichen Hügel der örtlichen Teeplantagen hatte alle Anlagen, wesentlich gemütlicher zu werden. Morgens schien auch noch alles nach Plan zu laufen. Auf dem Golfplatz vor Tanah Rata trafen wir das freundliche, ältere, asiatische Paar, dem wir hier täglich begegnen, seit sie naserümpfend mit uns in Kuala Lumpur in den Billigbus zu den Camerons eingestiegen sind. Ich hatte mich schon gewundert, denn Chinesen habe ich bislang nicht als Zimperliesen kennengelernt. Als ich die Lady bei gleißender Hitze in langen Ärmeln Golf spielen sah, lüftete sich das Geheimnis. Die beiden sind Japaner, wie sie mir gerne mit einem höflichen Lächeln bestätigten. Ich bin mir sicher, sie hätte am liebsten noch Handschuhe getragen und einen Sonnenschirm.

Das Teeplantagenanwesen, das wir anschließend besuchten, gehört noch heute den Nachfahren des geschäftstüchtigen Engländers, der diese Hügel einst erschloss. Die Nachfahren gerieren sich als große Philantrophen, loben nationale Kultur- und Naturschutzpreise aus und haben auf ihrem Anwesen ein Dorf mit Schule, Buddha- und Hindutempel und langgestreckten Holzbaracken für ihre Arbeiter angelegt. Ein schicker, moderner Glasbau ragt stolz und ein bisschen keck über einen der Hügel hinaus und läd die Besucher zum Teetrinken, Teekaufen und zum Teeplantagenbesitzerbewundern.

Auf dem Heimweg von den Plantagen nach dem wohlverdienten Fünf-Uhr-Tee wurde unser Erfolg vom Vortag etwas relativiert, als es uns nicht gelingen wollte, ein anderes Bleichgesicht-Pärchen einzuholen, mit dem wir an der Hauptstrasse nach Tanah Rata schön ein Taxi hätten teilen können. Die beiden waren einfach zu schnell für uns. Am Ende sollte sich jedoch wieder einmal die biblische Weisheit bewahrheiten, die schon meine Großmutter immer so gerne zitierte: Die letzten sollen die ersten sein. Wir alle wurden von einem tropischen Regenfall überrrascht. Wir fanden ein Wellblechdach als Unterschlupf, die beiden Sprinter kamen irgendwo am Horizont unter einem Baum unter. Irgendwann gesellten sich französische Weltenbummler zu uns, die beim ersten Abklingen des Regens gleich leichtsinnig zum Weitermarsch bliesen. Bloß setzte die wirkliche Sintflut erst ein, als wir längst fernab aller Unterschlüpfe waren. Der Schatz war sehr verzweifelt und ich sah mich schon nach Tanah Rata schwimmen, da hielt einer dieser grossen Geländewagen an, über die ich mich so gerne lustig mache, und lud uns alle ein, um uns nach Hause zu fahren. Dem entzückenden chinesischen Paar aus Kuala Lumpur, das uns aufgelesen hatte, brach es fast das Herz, einige hundert Meter weiter die beiden Sprinter mangels Platz nicht mehr in ihrem Wagen aufnehmen zu können. Der Anblick der beiden, wie sie in der Sintflut unter seinem Vliespullover Schutz suchten, war allerdings auch herzerweichend. Wir hoffen sehr, dass es hinter uns noch andere Chinesen mit großen Geländewagen und großem Herzen gab.

Von unseren Rettern lernten wir einiges über das Sprachenwirrwarr unter malaysischen Chinesen. Sie beide sprechen kantonesisch miteinander, allerdings kann sie das nicht lesen, weil sie eine malaysisch-sprachige Schule besucht hat. Andere Chinesen sprechen Hokkein, Mandarin oder Hainan. Ihre Tochter hingegen versteht zwar malaysisch und kantonesisch, spricht aber lieber nur englisch. In ihrem Eifer, ihre Kinder auf Harvard, Oxford und das spätere Businessleben vorzubereiten, scheinen sich die Malaysier durch nichts von den Singapuris zu unterscheiden, die auch gerne zu Hause die Muttersprache durch das Englische ersetzen, selbst wenn sie dessen nur in Grundzügen mächtig sind.

Weniger Glück hatten wir in unserer kleinen, hübschen Pension mit unseren englischen Zimmernachbarn. In den Highlands klappen sie um elf bereits die Bürgersteige hoch. Trotzdem ließen wir es uns nicht nehmen, uns vor dem Einschlafen noch ein bisschen zu unterhalten. Vermutlich gingen wir sogar so weit, ein Lachen zu wagen. Darauf fiel dem empörten Engländer keine bessere Antwort ein, als ein wütendes Poltern gegen die hauchdünne Wand zwischen uns. Mir kam das sehr unpassend vor. Zwar hatte ich in Kuala Lumpur einen Moment lang einen ähnlichen Wunsch gehegt, als eine Gruppe von Malaysierinnen auf Incentive-Reise um drei Uhr morgens noch keinerlei Anstalten machte, ihrer beeindruckenden Soundshow aus Kichern, Schreien, Singen und Drachenumzugsmusik, die sie ich weiss nicht aus welcher Anlage zauberten, ein Ende zu setzen. Allerdings kam ich im Gegensatz zu dem Engländer schnell zu dem Schluss, dass das viel zu großmütterlich und überdies äusserst unhöflich wäre und ich stattdessen zumindest klopfen und freundlich um Mäßigung bitten müsste. Nach einer weiteren Sekunde entsann ich mich meiner eigenen leichtsinnigen Jugend und beschloss, die Mädels gewähren zu lassen. Statt einer Beschwerde machte ich von meiner durch jahrelanges, hartes Training bei wilden elterlichen Partys erworbenen Fähigkeit Gebrauch, bei ohrenbetäubendem Lärm friedlich zu schlafen.

Dem Engländer sei für nächstes Jahr ein Aufenthalt in einem indischen Ashram empfohlen. Aber vielleicht ist er auch schon gestraft genug dadurch, dass mir um vier Uhr morgens bei einer spontanen Grosswildjagd die Tötung einer Mücke nur dank eines beherzten Schlags auf die Wand zwischen uns gelang, nachdem ich zuvor in Panik den schlafenden Schatz mit Autan eingerieben hatte, um ihn vor dem sicheren Malaria-Tod zu bewahren.

Sonntag, 24. Februar 2008

Asien für Anfänger und sehr Fortgeschrittene - Melakka und Kuala Lumpur

Nachdem uns Singapur - der vermeintliche Hort fuer Asienanfänger - beinahe komplett aus den Latschen gehauen hätte, gelang es uns doch noch ein Idyll zum gemütlichen Eingewöhnen zu finden. Melakka an der gleichnamigen Meerenge ist zwar seit der Vereinnahmung durch die Portugiesen im 16. Jahrhundert berüchtigt fuer Piraterie, aber davon merken die sicher im kolonialen, blitzblank renovierten Chinatown untergebrachten Touristen nicht viel. Es sei sei denn es handelt sich um englische oder amerikanische Senioren, die als Kreuzfahrer von Bangkok angereist sind.

Von den Portugiesen ist abgesehen von einem nicht mehr ganz so famosen Tor der einst stolzen Festung "A Famosa" und einer Abwandlung ihrer Sprache, die noch einige hundert Einwohner sprechen, nicht mehr viel übrig in der Stadt. Es gibt auch eine sehr schöne Fotoserie von Einheimischen, die angeblich Eurasisch sein sollen, aber machen wir uns nichts vor: Das Asiatische dominiert so sehr, dass ohne solche Bildunterschriften kein Betrachter auf die Idee käme, Spuren von Europa in diesen Gesichtern zu entdecken. Dafür hinterließen die Holländer nach der Vertreibung der Portugiesen das Stadthuys, zahlreiche Gräber und eine bis heute anhaltende Treue der einheimischen Bevölkerung zu holländischem Ziegelstein.

Zum richtigen Zeitpunkt veranstalteten die ortsansässigen Chinesen nicht nur den Touristen zu Gefallen, sondern auch zu Ehren des ausgehenden Neujahrsfests eine grosse Kirmes mit Drachenumzug und Karaokeexzessen auf dem zentralen Hauptplatz und in zahlreichen taoistischen Gemeindehäusern. Ganz Chinatown war stilvoll und romantisch mit roten Lampions beleuchtet, an den Ständen konnte man neben Nonya-Leckereien, Produkte einer Kreuzung chinesischer und malayischer Küche, lebende Hunde- und Mäusebabys erstehen und auf einer Tribüne sahen Ratsherren und andere Honoratioren der Stadt dem bunten Treiben wohlgefällig zu. Dass es sich bei diesen Zuschauern um Ratsherren handelte, erklärte uns ein freundlicher, zahnloser Chinese, der uns auch darüber informierte, dass der Busbahnhof von Melakka der modernste in Südostasien ist und dass die orstansässigen Drachenumzügler in internationalen Wettkämpfen nicht selten die Mutterlandchinesen aus dem Felde schlagen. Drachenumzüge sind fuer die Mimen alles andere als eine Kleinigkeit, denn sie müssen die ganze Zeit nicht wie Drachen, sondern eher wie Enten in der Hocke gehen.

Auf dem Jahrmarkt konnten wir uns davon überzeugen, dass unter chinesischen Malaysierinnen der Pipi-Langstrumpf-Look groß im Kommen ist. Malayische Malaysierinnen bevorzugen Kopftücher und jeder wird sofort einsehen, dass sich das nicht mit Pipi-Langstrumpf verträgt. Insgeheim beglückwünschte ich mich, in Mitteleuropa zuhause zu sein, denn der Besuch in Malaysia bestätigte aufs Neue, dass die Mode keine Gnade kennt. Weder hohe Stiefel noch lange Wollstrümpfe machen vor den Tropen halt.

Die himmlische Ruhe von Melakka hatten wir dringend nötig, um uns an die verwirrende Vielfalt von Volksgruppen, Religionen und Gebräuchen zu gewoehnen. Zum Glück hat diese malerische Hafenstadt diesbezüglich echten Crashkurs-Charakter, denn man kann in nur drei Strassenzügen die älteste Moschee, den ältesten Tao-Tempel und den ältesten Hindu-Tempel des Landes besichtigen. Danach ist auch der größte Achtziger-Jahre-Skeptiker absolut weihrauchsicher.

In dem ältesten Hindu-Tempel wurden wir aktiv und gewissermassen on-the-job von einem Gläubigen angelernt, nachdem wir von Anfang an alles falsch gemacht hatten und rechtsherum durch den Tempel gelaufen waren. Der Gläubige griff schnell und beherzt ein und scheuchte uns in die andere Richtung. Jedesmal wenn er vor einer Götterstatue verschiedene Aufgaben erledigt hatte, wie sich flach auf den Boden zu werfen oder die zusammengelegten Hände wie eine Krone über den Kopf zu halten, bedeutete er uns, ihm zur nächsten Statue zu folgen, bis wir uns heimlich davonschlichen. Linksherum versteht sich.

Gut gefiel uns auch die strenge piktographische Anweisung in einem Singapurer Tao-Tempel, die Schuhe auf keinen Fall auszuziehen. Anscheinend muss man Touristen, die verschiedene Buddha- und Hindu-Tempel besucht haben erst wieder mühevoll umschulen.

An den malayischen Gotteshaeusern gefaellt uns ihre Lebendigkeit und ihre gute Integration in das Alltagstempel. Kinderspiele, Klatsch und Mittagsschlaefchen scheinen ebenso in jeden Tempel und in jede Moschee zu gehoeren wie das Abfackeln von Weihrauchstaebchen und Verrichten komplizierter Gebete durch wacherere oder aeltere Glaeubige. Vielleicht muessten sich die Landeskirchen zu Hause auch nur ein bisschen weniger sakral gerieren, um Glaeubige anzulocken, anstatt notgedrungen ihre leer stehenden Gotteshaeuser an radikal evangelistische Gemeinden aus Amerika unterzuvermieten.

Zurueck zu saekulaereren Themen sollte ich noch ueber die Totoversessenheit der Malaysier berichten, der wir neue Kenntnisse ueber die Bundesliga verdanken. Das Spiel Bochum gegen Hannover war abgekartet, wie uns unser chinesisch-malayischer Hotelbesitzer versicherte. Er hatte schon vorher davon Wind und deswegen auf Bochum gewettet, was ihm stolze 500 Ringitt eintrug. Frueher war der europaeische Fussball sauber und Korruption gab es nur in Asien, aber die Zeiten sind lange vorbei. Unser einziger Trost besteht darin, dass es in Italien noch schlimmer ist.

Bevor wir in die Teeplantagen der Cameron Highlands weiterzogen, wagten wir eine Uebernachtung in Kuala Lumpur mit Stadtbesichtung. An Kuala Lumpur ist nichts fuer Anfaenger. Das gleiche Wirrwarr aus Voelkern, Kuechen und Religionen, aber das mit grossem Trubel von Menschenmassen auf den Strassen und in den dazugehoerigen Restaurants, Verkehrschaos, Laerm, Smog, Gestank und Wolkenkratzern, teils Platte, teils raffinierte, islamisch anmutende Architektur. Der einzige Touristenkiller, der hier fehlt, sind die Schlepper, wenn man mal von dem jungen Mann absieht, der auf dem Nachtmarkt in Chinatown Taschen verkauft, den Schatz jedoch vesehentlich mit "Yes sir, another beer" animierte. Trotzdem war ich auf einen Mittagsschlaf am fruehen Abend und der Schatz auf eine einstuendige Massage angewiesen, um uns von dem Uebermass an neuen Eindruecken zu erholen

Nach einer grossen Voellerei mit scharf gewuerzten Nonya-Spezialitaeten blieben uns leider am naechsten Morgen einige reisetypische Beschwerden nicht erspart. Durch geschicktes Verschieben der Abfahrt und Ausnutzen der Busbahnhofstoiletten gelang es uns dennoch, sicher in den Highlands zu gelangen, wo wir uns an der guten Luft und englischem Nachmittagstee laben, wenn wir nicht auf den steilen und hindernissreichen Dschunglewanderpfaden die Schweizer hinter uns lassen. Aber davon spaeter.

Freitag, 22. Februar 2008

Asien nur scheinbar für Anfänger - Singapur

Eigentlich war der Reisestart in Singapur als Asien-für-Anfänger-Programm für den Schatz vorgesehen zum langsamen Eingewöhnen an eine neue, fremde und für viele überwältigende Welt.

Im Grunde eignet sich die Stadt auch dafür. Zum Beispiel Little India: In den Arkaden verkaufen sie in kleinen Geschäften bunte Saris, opulenten Schmuck, exotische Gewürze und Currygerichte; in Hindutempeln mit schreiend bunten Götterstatuen an der Fassade spielen sie uns völlig unbekannte Instrumente und kreiieren mit Räucherstäbchen Schönebergatmosphäre - und das alles ohne Kühe, ohne Dreck und Gestank und ohne unkontrollierte Mopedfahrer, die den Fussgängern unter ohrenbetäubendem Hupen nach dem Leben trachten. Im Rest der Stadt gehen Chinesen, Malayen, Inder und Europäer eilig ihren Geschäften und Besorgungen nach - besonders letzteren, denn Shoppen ist des Singapuris liebster Freizeitspaß - und das alles inmitten von hochmodernen Straßen und Wolkenkratzern, harmonisch nach Feng-Shui-Regeln erbaut, wohlgeregeltem Verkehr und einer hocheffizienten U-Bahn, die so sauber ist, dass man jederzeit auf dem Fußboden eine Notoperation durchführen könnte.

Wahrscheinlich hat sich der Schatz auf die Art und Weise auch bestens an Asien gewöhnt. Nur mich, den alten Traveller-Hasen, hat es aus den Latschen gehauen. Bizarrerweise ließ ich mich ausgerechnet in den Tropen als erstes von einer schweren Erkältung niederstrecken. Ich weiss nicht was mein Immunsystem so geschwächt hat. Vielleicht war es die verwirrende Vielfalt an Göttern, die in dieser Stadt angebetet werden, in Moscheen und Tempeln, die entweder dem Buddha, den Hindugöttern oder dem schnöden Mammon geweiht sind. Vielleicht hat mich die Konsumlust der aufstrebenden Voelker Asiens überwältigt, obwohl ich schon einmal während einer Dienstreise Gelegenheit hatte, mich davon zu überzeugen, dass sich auf mehr als zwei Kilometern Orchard Road eine glitzernde Marmor- und Glaspracht von Shopping Mall an die andere reiht, immer wohl gefüllt mit flanierenden Singapuris, die sich von den europäischen und amerikanischen Luxusmarken bereitwillig anlocken lassen. Oder vielleicht war es der Leistungsdruck in einem Land, in dem Eltern beim Mittagessen in jedem einfachen Foodcourt auf Grabbeltischen Literatur erstehen können, die ihnen dabei hilft, den Sprößling in der Schule auf das bestmögliche Testergebnis zu trimmen. Vieleicht ist aber auch einfach nur so, dass Übung zwar irgendwie den Meister macht, aber deswegen noch lange nicht überall und zu jederzeit vor Kulturschock schützt.

Herr N. aus dem Büro hatte die These aufgestellt, die Asiaten verbrächten ihre Freizeit so gerne mit Einkaufen, weil sie kaum Kultur hätten. Als hätte sich der singapurische Premierminister so etwas nicht zweimal sagen lassen wollen, hat er in den letzten Jahren überall in der Stadt Kulturzentren, Theater und Musikhochschulen mit modernster und gewagtester Architektur errichten lassen, in denen gerade für kleine Projekte viel Zeit und Raum vorgesehen ist. Allerdings sagt man ihm nach, dass er nicht viel von der Meinungsfreiheit hält, weswegen der Schatz und ich ein wenig zweifeln, ob die freie Szene so ohne weiteres blühen kann, auch wenn man ihr zugegebenermassen zumindest architektonisch einen Raum geschaffen hat, von dem die unsere nur träumen kann. Auch das Museum für moderne asiatische Kunst war exquisit und teilweise sehr avantgardistisch, allerdings bei weitem nicht so gut besucht wie die Shoppingmalls. Diese Betrachtung ist möglicherweise jedoch nicht ganz fair, denn wir waren dort wochentags gegen sechs Uhr und wer gerne Luxuswaren shoppt muss sicherlich auch lange arbeiten.

Den größten Shock erlitt ich beim Bücherkauf, als ich die langen Reihen von Fachliteratur nach Belletristik mit Malaysiabezug absuchend ("How to become a successful businessman") in der Abteilung fuer Jugendliteratur auf die Kategorie "award-winning readers" stieß und gleich dahinter das Regal fuer "intermediate readers" erblickte Wie gelingt es diesen Kindern nur, so hip gestylt ununterbrochen die Shoppingmalls zu füllen, wenn sie eigentlich die ganze Zeit damit beschäftigt sein müßten, ihre englischen Lesefähigkeiten zu verbessern oder Lehrwerke aus dem Foodcourt durchzuackern, um ihre Ergebnisse bei amerikanischen Unizugangstests zu optimieren? Das erinnert mich an ein Gemälde aus dem Museum mit dem Titel "vibrant youth", das kraftstrotzende und überglückliche Jugendliche zeigt, die über die Wolkenkratzer von Singapur hinwegfliegen.

Unsere praktische Reisekleidung erlaubte uns leider nicht, an Singapurs Nachtleben teilzunehmen oder im Raffles einen Singapur Sling zu trinken, obwohl uns unser Rucksacktouristenreiseführer diese Attraktionen sehr ans Herz gelegt hat. Allerdings erwähnte er nicht die Hindernisse auf dem Weg dorthin. Rucksackreiseführer sind nicht mehr, was sie einmal waren. Früher brachten sie einem bei, wie man mit zwei US-Dollar durch den Tag kommt. Heute empfehlen sie einem Restaurants und Bars, wo es die Kellner nach einem kurzen, abschätzigen Blick auf die Baumwollhose der angehenden Gäste rundheraus ablehnen, sie auch nur für die Warteliste in Erwägung zu ziehen, selbst wenn ganz offensichtlich Tische frei sind. Vielleicht war das besser so. Am Ende wäre ich noch mit einem zwielichtigen Nick Leeson durchgebrannt und könnte jetzt nicht mit dem Schatz im idyllischen Melakka voller roter Lampions mit Drachenumzug und Karaoke das Ende des chinesichen Neujahrsfestes feiern.

Samstag, 9. Februar 2008

Es lebe Springe - es lebe Kalamazoo

Email aus New York, Dezember 2000

Neulich mit Curzio beim Einkaufen in Chinatown, schlendere ich doch so von Gemüsestand zu Gemüsestand, inspiziere die Qualität der Produkte, da steht vor mein alter Nachbar aus Kindertagen, Jens-Michael H.. Er hat mich Jahr für Jahr um die Weihnachtszeit mit seinen selbstgebastelten Sylvesterböllern davon abgehalten, in Ruhe und Frieden Pippi Langstrumpf zu lesen. Inzwischen ist aus dem Nachbarsjungen mit dem Chemiebaukasten ein promovierter Chemiker mit Wohnsitz in Höxter geworden, der gelegentlich als Geschäftsreisender in New York unterwegs ist.

An solche Situationen bereits bestens gewöhnt sage ich ungerührt: " Hallo Jemi, wie geht's Dir?" Der Mann war wie vom Donner gerührt und wollte sich partout nicht davon überzeugen lassen, daß das auch nichts anderes ist, als wenn wir bei Mundt am Niederntor zusammen Gemüse einkaufen. Schließlich trifft man sich auch in Springe nicht jeden Tag, wenn einer in Höxter und die andere in Hamburg lebt.

Richtig Eindruck schinden konnte ich letzten Sonnabend, als wir morgens um vier nach einer durchtanzten Nacht noch auf einen Absacker in ein Café im Meatpacking District einkehrten. Kaum hatten wir den Saal betreten kam der asiatische Kellner auf mich zugeschossen und behauptete, wir würden uns kennen. Ein bißchen hat mich das gewundert, denn eigentlich sah man ihm mit seinen Wasserstoffperoxid-gefärbten Haaren sofort an, daß er schwul war. Aber als er hinzufügte, wir hätten zusammen in Kalamazoo studiert, wußte ich, daß er die Wahrheit sprach. Meine Mädels, von denen die Hälfte seit sechs Jahren im East Village wohnt, waren allesamt einer Ohnmacht nahe.

Das war ein Triumph! Jeder Deutsche will sich kaputtlachen, wenn ich von meiner Kindheit in Springe am Deister erzähle, und ihr solltet mal hören, was die Amerikaner sagen, wenn ich ihnen erkläre, daß ich meine Englischkenntnisse im wesentlichen in Kalamazoo, Michigan, erworben habe. In besonders schlechter Erinnerung ist mir die in New York aufgewachsene Ehefrau von Rainer K., die mir vor meinem Aufenthalt in Michigan mit einer Wortwahl, die ich hier nicht wiederholen möchte, zuzischte, Kalamazoo sei am Ende der Welt. Aber ich habe noch nicht erlebt, daß eines von diesen hippen Village-Girls in Chinatown beim Gemüseeinkaufen oder des Nachts im Meatpacking District mit Handschlag begrüßt worden ist. Wer wirklich bekannt sein will in der Welt, der muß in Springe aufgewachsen sein und in Freiburg im Breisgau oder in Kalamazoo studiert haben.

Das mit dem Glück ist ja alles schön und gut, aber dann ist da noch die Neurodermitis. Die ist hier so schlimm geworden (ich habe sie unter dem Fuß), daß ich zeitweise im wahrsten Sinne des Wortes mit Blut im Schuh unterwegs war. Als ich anfing, mir morgens Sorgen zu machen, die Tauben am Washington Square könnten behaupten, ich sei eine von den häßlichen Schwestern, dachte ich es sein an der Zeit mal etwas zu unternehmen. Weil ich keine Lust hatte, zum Hautarzt zu gehen, bin ich einfach mal in so einen Drogeriemarkt marschiert, habe versucht der Dame am Arzneitresen schöne Augen zu machen und herzzerreißende Geschichten von Germany und meiner Neurodermitis erzählt. Ich wollte erreichen, daß sie mir ausnahmsweise eine Kortisoncreme ohne Rezept verkauft, die die Apothekerin an der Grindelallee normalerweise extra einen halben Tag lang für mich anrühren muß. Die Amerikaner, dachte ich, bekommen alles fertig...

Die Amerikaner bekommen alles fertig! Ich konnte mir aus einem Riesenregal aus zehn verschiedenen Arten von Kortisoncremen eine aussuchen. So etwas benutzt man hierzulande, wenn einen die Mückenstiche zu sehr quälen. Wie auch immer, die Neurodermitis ist wieder unter Kontrolle, wenn ich gut geschminkt bin und im richtigen Moment 'nen Abgang mache, gehe ich bestimmt zur Not auch als Cinderella durch, und sollte es noch ein bißchen hektischer werden, macht das auch nichts, die vertickern hier bestimmt auch Prozac ohne Rezept locker über den Ladentisch.

Neulich habe ich meine Nachbarn Frank und Arnold mit Lammfleisch und Mangold in Roquefortsoße bekocht. Während ich die Pfannen auf unserer schiefen Herdplatte balancierte, habe ich mich durchaus auch mal gefragt, ob es wohl klug sei, zwei wildfremde Männer, die man in einer Eckkneipe kennengelernt hat, in seine Wohnung einzuladen. Es war klug! Die beiden sind wirklich reizend. Curzio und ich lachen immer noch über die Geschichte, als sie eine Maus in der Küche hatten, und sich acht Stunden lang nicht an ihr vorbei ins Bett trauten, und weitere zwei Stunden brauchten, um das wilde Tier zu erlegen. Oder die Geschichte, als sie Beauty-Tag hatten und mit Gesichtmaske vorm Fernseher ein Fußbad nahmen, während die betrunkene Nachbarin klingelte, weil es ihr wie immer nicht gelingen wollte, die Tür zu öffnen. Nachdem sie sich zehn Minuten lang nicht einigen konnten, wer jetzt mit Gesichtsmaske die Tür aufmacht, lösten sie das Problem einfach, indem sie die Klingel leiser stellten. Ein wenig brutal, wie ich finde, aber am Ende hat sich wohl ein anderer Nachbar der alten Dame erbarmt. In jedem Fall sind das zwei nette und lustige Männer, man darf eben nur am Beauty-Tag nicht zu viel von ihnen erwarten.

Ich habe mir vorgenommen, wenn man mich nächste Mal in der Kneipe ein Mann fragt, ob ich denn auch eine boyfriend habe, die Frage zurückzureichen. Sollte er keinen haben, breche ich die Konversation ab. Die Männer mit boyfriend sind meiner Meinung nach hier die einzigen, die etwas taugen.

Zum Glück muß ich in Hell's Kitchen gar nicht fragen. Salavatore, unser fiorentinischer Pizzabäcker sagt immer, er und Curzio seien die einzigen Heten in unserer Straße. Salvatore macht sich ein bißchen Sorgen darum, und wird nicht müde zu betonen, daß die aber nur bis zu seinem Ladentisch und nie darüber hinweg kommen. Ich weiß nicht, was er glaubt, was unsere Nachbarn vorhaben, wenn sie bei ihm Pizza kaufen kommen. Aber, was soll er machen der arme Mann, er ist eben Italiener...

Gestern abend mußte ich mal wieder feststellen, daß die Ausländer doch die besseren Deutschen sind. Helen hat anläßlich unseres kleinen Umtrunks in Hartmuts Wohnung, in der auch Kurt Cobain schon einmal übernachtet hat, nicht nur Dresdner Christstollen angeschleppt, sondern doch tatsächlich vor meinen staunenden Augen den Glühwein selbst mit den ganzen Kräutern angerührt! Währenddessen erklärte mir ihre New Yorker Freundin Stephanie, die schon einmal ein halbes Jahr für Friedbert Pflüger im Bundestag gearbeitet hat (das ist der Vogel dessen Frau, Maniatoupoulos, oder so ähnlich, damals Willy Brandt zu Fall gebracht), daß für sie das Allerschönste auf der Welt Kaffee und Kuchen sei. Und jetzt sag' noch einer, hier könnte man sich nicht zu Hause fühlen...